Frage an Axel Schäfer von Lothar K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Schäfer,
ich habe in der Schule gelernt das die Türkei mit maximal 8% europäisch ist meine Frage ist warum soll die Türkei der EU beitreten.
Gruß
Lothar Kuhn
Sehr geehrter Herr Kuhn,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema EU-Beitritt der Türkei. Gerne schildere ich Ihnen im Folgenden meinen Standpunkt und erläutere Ihnen, warum ich mich für einen Beitritt der Türkei in die Europäische Union – sofern sie die Voraussetzungen für einen Beitritt erfüllt - einsetze.
Grundsätzlich definiert sich die EU nicht über die Religionszugehörigkeit, sondern über ganz bestimmte Werte und Ziele. Wer diese letztlich sein Eigen nennt und die sich aus den unterschiedlichen gemeinschaftlichen Verträgen ergebenen Rechtsverbindlichkeiten erfüllt und anwendet, kann, muss aber nicht zwangsläufig Mitglied der EU werden.
Die Erfahrungen der beiden vergangenen Erweiterungsrunden 2004 und 2007 haben ganz deutlich werden lassen, dass es künftig keinen Bonus für Kandidatenländer mehr geben wird. Die Verhandlungen mit der Türkei werden momentan ergebnisoffen geführt. Das bedeutet, dass am Ende der Verhandlungen allein der Umstand über eine Aufnahme zur EU entscheidet, ob die Türkei in der Lage ist, die Beitrittskriterien zu erfüllen oder nicht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der zu übernehmende Rechtskatalog nicht weniger wird, sondern kontinuierlich anwächst. Gleichzeitig muss jedoch die EU in der Lage sein, weitere Länder aufnehmen zu können. Die Mitgliedschaft ist aber nicht nur mit Rechten, sondern auch mit einer Vielzahl von Pflichten verbunden. Zudem geht der Beitritt mit einer teilweisen Übertragung von Souveränitätsrechten auf die EU einher.
Im Vergleich zu den bisherigen Staaten in Europa mit denen die EU bzw. die EG über einen Beitritt verhandelt hat, nimmt die Türkei zweifelsohne einen Sonderstatus ein. Es spielt hierbei auch keine Rolle, ob ein Land zu 3 Prozent oder zu 100 Prozent auf dem europäischen Kontinent liegt. Dies ist letztlich eine politische Entscheidung, die nicht von einer politischen Partei in Deutschland oder eines anderen Mitgliedslandes, sondern von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union einstimmig getroffen wurde. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sind im Jahr 2005 eröffnet worden, nachdem sie bereits 1987 einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Erwähnt werden sollte aber auch, dass die Sonderbeziehungen zwischen der EU und der Türkei auf ein Assoziierungsabkommen aus dem Jahr 1963 zurückgehen. Auch darf nicht vergessen werden, dass die Türkei seit 58 Jahren dem Europarat angehört.
Die EU hat seit ihrem Bestehen bislang sechs Erweiterungsrunden vollzogen. Im Mittelpunkt standen hierbei stets politische sowie wirtschaftliche Motive, die zur Aufnahme einzelner Länder geführt hat. Mit den Ereignissen des 11. September 2001 in den USA haben zudem wichtige geoostrategische Aspekte an Bedeutung gewonnen. Ob die Türkei am Ende eines langen Verhandlungsprozesses tatsächlich Mitglied werden wird, d.h. die Beitrittskriterien erfüllt, kann heute niemand vorhersagen. Es handelt sich hierbei um einen Zeitraum von 12 bis 15 Jahren. Entscheidend ist jedoch für die Europäische Union, dass die demokratischen und pro-europäischen Kräfte in der Türkei langfristig gestärkt werden. Dieser notwendige Reformprozess wird in der Türkei durch die Verhandlungen aktiv begleitet. Das ist zweifelsohne sehr schwierig, verläuft bedauerlicherweise nicht immer komplikationslos und erfordert sehr viel Geduld.
Die Diskussion über einen Beitritt der Türkei in Deutschland, aber auch in anderen Ländern der EU, ist leider oftmals von taktischen Erwägungen im Vorfeld von Wahlen auf Landes- und Bundesebene geprägt. Dies trägt in der Regel nicht zur Sachlichkeit bei, weil hier Ängste und Sorgen instrumentalisiert werden.
Wer entscheidet schließlich über die Aufnahme eines neuen Mitgliedslandes? Es sind dies die Staats- und Regierungschefs der EU, die einstimmig einer Aufnahme zustimmen müssen, das Europäische Parlament mit Mehrheit, ebenso die nationalen Parlamente, die den Beitrittsvertrag ratifizieren müssen.
Wie die Verhandlungen am Ende ausgehen werden, lässt sich nicht vorhersagen. Dass wir in Europa aber ein großes Interesse an einer demokratischen, stabilen Türkei haben, ist unabhängig von der Parteizugehörigkeit unbestritten.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Schäfer