Geldgeber unbekannt: Abgeordnete erhalten Millionen aus anonymen Quellen

Einige Bundestagsabgeordnete kassieren nebenher beträchtliche Summen – wer hinter den Zahlungen steckt, bleibt oftmals im Verborgenen. Nach Berechnungen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL ist bei mindestens 6 Mio. Euro unbekannt, wer die Geschäftspartner der Abgeordneten sind. Vorschläge für strengere Transparenzpflichten liegen zwar auf dem Tisch, doch die Umsetzung lässt seit Monaten auf sich warten.

von Martin Reyher, 16.08.2019
Anonyme Geldgeber (Symbolbild)

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Enrico Komning hat in seinem Nebenberuf als Rechtsanwalt meist mit kleineren Fällen zu tun, doch einer seiner Mandanten ist eine recht große Nummer. Mindestens 600.000 Euro, so gibt Komning auf der Internetseite des Deutschen Bundestages an, hat er seit 2017 von einem Mandanten mit der Bezeichnung „30468“ erhalten. Allein im vergangenen Jahr waren es mehr als eine Viertelmillionen Euro.

Komning ist einer von zahlreichen Parlamentariern im Deutschen Bundestag, bei denen nicht klar ist, von wem sie Geld bekommen. Denn Abgeordnete, die nebenher als Rechtsanwalt, Landwirt oder Berater arbeiten, müssen ihre Vertragspartner lediglich in anonymisierter Form auf der Internetseite des Bundestages veröffentlichen, auch wenn es teilweise um beträchtliche Beträge in fünf- oder gar sechsstelliger Höhe geht. Bei den Summen handelt es sich im Fall von Selbstständigen und Freiberuflern um Bruttoumsätze, sie sind also nicht mit Gewinnen gleichzusetzen.

Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de und SPIEGEL verfügen mehr als drei Dutzend Bundestagsabgeordnete über Einkünfte von unbekannten Geldgebern, insgesamt bleibt die Herkunft von über 6 Millionen Euro im Dunkeln. Drei Beispiele:

  • Ein anonymer „Mandant 1“ beschert dem CSU-Bundestagsabgeordneten und früheren Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer für dessen Dienste als Strategieberater ein monatliches Zusatzeinkommen zwischen 7.000 und 15.000 Euro.
  • Ein unbekannter „Vertragspartner 1“ hat dem Landwirt und CDU-Abgeordneten Hans-Georg von der Marwitz seit 2017 mehr als 400.000 Euro bezahlt. 
  • Der Steuerberater und CSU-Abgeordnete Sebastian Brehm gibt für den namentlich nicht bekannten „Mandant 41289“ Bruttoumsätze zwischen 72.000 und 120.000 Euro an.

Mögliche Interessenkonflikte bleiben verborgen

Die Herkunft der Mittel ist von großer Bedeutung. Denn aus den privaten Geschäftsbeziehungen können sich eklatante Interessenkonflikte für das Abgeordnetenmandat ergeben. Was, wenn ein Landwirt im Bundestag in Zukunft über die Einführung einer Zuckersteuer mit entscheiden muss – und er eine geschäftliche Beziehung mit einem Süßwarenkonzern unterhält? Oder ein Abgeordneter, der als Steuerberater die Steuerlast seiner Mandanten gering halten will, und im Bundestag mit einem Gesetzentwurf zum Schließen von Steuerschlupflöchern befasst ist? In diesen - rein fiktiven - Fällen könnten Parlamentarier ihr Abgeordnetenmandat nicht unbefangen ausüben. Nach den geltenden Veröffentlichungsregeln bliebe dies der Öffentlichkeit jedoch verborgen.

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Um potentielle und eindeutige Interessenkonflikte von Abgeordnete sichtbar zu machen, sind weitere Angaben zu den Vertragspartnern notwendig. Konkrete Vorschläge dafür liegen auch auf dem Tisch. Im September 2018 empfahl die Rechtsstellungskommission des Bundestags, dass Parlamentarier künftig zumindest die Branchen ihrer Geschäftspartner veröffentlichen sollen. Doch in den vergangenen elf Monaten ist in dieser Hinsicht nichts passiert – die Sache steckt im Geschäftsordnungsausschuss fest. Laut Verhaltensregeln könnte der Bundestagspräsident auch allein aktiv werden und festlegen, „dass statt der Angaben zum Auftraggeber eine Branchenbezeichnung anzugeben ist“. Doch von dieser Möglichkeit hat Wolfgang Schäuble bislang keinen Gebrauch gemacht.

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Die Linksfraktion drängt nun auf eine zügige Umsetzung. Er sehe „keinen Grund, die mehrheitlich gefundene Lösung nicht zügig nach der Sommerpause zu verabschieden", erklärte der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte gegenüber abgeordnetenwatch.de. Seine Fraktion hatte nach der Bundestagswahl 2017 als eine der ersten Initiativen einen Antrag zur Einführung von Branchenbezeichnungen eingebracht – dieser hängt ebenfalls im Ausschuss fest.

Kritik vom Europarat

Auch der Europarat mahnt strengere Transparenzpflichten des Bundestages an. Kürzlich stellte die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) Deutschland ein beschämendes Zeugnis aus. Von Seiten des Bundestags würden „sehr wenig Fortschritte gemacht, um die Transparenz des parlamentarischen Prozesses voranzubringen, Interessenkonflikte enger zu regulieren und eine effektive Kontrolle und Durchsetzung der Verhaltensregeln für Abgeordnete des Bundestages sicherzustellen,“ heißt es in dem Bericht. Der Stand der Umsetzung sei „allgemein unbefriedigend“.

Frühestens im September, wenn der parlamentarische Betrieb wieder Fahrt aufnimmt, werden sich die Abgeordneten erneut mit den verpflichtenden Branchenangaben befassen. Bis zur tatsächlichen Umsetzung dürfte es dann noch einige Zeit dauern. So lange bleibt auch unklar, wer sich hinter dem finanzstarken „Mandant 30468“ des Abgeordneten Enrico Komning verbirgt.

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