Analyse

Könnte Gerhard Schröder weiter Lobbyarbeit betreiben, obwohl er nicht im Lobbyregister steht?

Mehr als 22.000 Interessenvertreter:innen haben sich im Lobbyregister eingetragen, um Kontakt zur Bundesregierung oder den Abgeordneten aufnehmen zu können. Nicht verzeichnet ist bislang der Gaslobbyist Gerhard Schröder. Könnte er dennoch Lobbyarbeit betreiben? Die Antwort lautet: Ja  unter bestimmten Voraussetzungen.

von Martin Reyher, 22.03.2022

Es gab Zeiten, da war Gerhard Schröder in der Bundesregierung ein gern gesehener Gast. Nicht selten brachte er Vertreter von Unternehmen mit, die Geschäfte mit russischem Gas machen.

Überliefert ist zum Beispiel ein Treffen aus dem Februar 2017. Damals war Schröder mit Gazprom-Chef Alexej Miller bei Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) vorstellig geworden, um über die Pipeline Nord Stream 2 zu sprechen. Zwei Jahre zuvor hatte Schröder schon dem Geschäftsführer der Nord Stream AG, Matthias Warnig, die Tür ins Wirtschaftsministerium geöffnet. Die Herren tauschten sich mit dem damaligen Minister Sigmar Gabriel (SPD) über die „Zusammenarbeit mit Russland“ aus, wie die Bundesregierung später angab.

Nicht lange her sind Schröders letzte offizielle Kontakte zu Kabinettsmitgliedern. Wenige Tage nach der Bundestagswahl, am 4. und 6. Oktober 2021, führte der Gaslobbyist und Altkanzler Gespräche mit der damals geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie mit dem frisch gewählten Kanzler Olaf Scholz (SPD). Die Themen der Unterhaltungen sind bis heute unbekannt

Für den Gaslobbyisten Schröder ist die Arbeit schwieriger geworden

Inzwischen hat sich durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine der Blick der Bundesregierung auf Russland, die Gaspipeline Nord Stream 2 und die Energieversorgung fundamental geändert. Für den Gaslobbyisten Gerhard Schröder ist die Arbeit aber noch aus einem anderen Grund schwieriger geworden.

Am 1. Januar 2022 trat das Lobbyregistergesetz in Kraft, das Interessenvertreter:innen zum Teil enge Vorgaben macht. Eine Anmeldung im Lobbyregister ist Voraussetzung dafür, um mit Regierungsmitgliedern oder Abgeordneten im Bundestag in Kontakt treten zu können. Mehr als 22.000 Personen sind dort inzwischen verzeichnet – einen Namen sucht man jedoch vergeblich: den des bislang äußerst umtriebigen Lobbyisten für Gasgeschäfte und Versicherungsangelegenheiten, Gerhard Schröder.

(Tabelle "Regierungskontakte von Gerhard Schröder mit Russland-Bezug". Ggfs. müssen Sie die Grafik aktivieren)

Ergibt sich aus der fehlenden Registrierung als Lobbyist, dass Schröder seinen Lobbyaktivitäten gegenüber der Bundesregierung oder dem Bundestag nicht länger nachgehen darf? 

So eindeutig ist die Sache nicht. Relevant sind hier drei Fragen:

1. Wie oft finden Gespräche statt?

Wie alle anderen Interessenvertreter:innen, muss Gerhard Schröder sich laut Lobbyregistergesetz dann registrieren, wenn eine Tätigkeit „regelmäßig“ und/oder „auf Dauer“ angelegt ist. Näher ausgeführt wird dies in einem vom Bundestag herausgegebenen „Handbuch für Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter“. Danach ist eine regelmäßige Lobbytätigkeit „ab der dritten Kontaktaufnahme“ anzunehmen, „sofern auch weiterhin von Kontaktaufnahmen auszugehen ist“ und die Abstände zwischen den einzelnen Kontaktaufnahmen nicht zu groß sind. Bei der Frage, was eine „auf Dauer“ angelegt Lobbytätigkeit ist, gibt es eine solche Richtzahl nicht. Im Lobby-Handbuch ist ganz allgemein von einem „längeren Zeitraum“ die Rede.

Dass Schröders mit seinen bisherigen Lobbyaktivitäten für diverse Energiekonzerne unterhalb dieser sogenannten „Erheblichkeitsschwelle“ liegt und sich einer Registrierungspflicht entziehen kann, ist unwahrscheinlich. Allein dadurch, dass er seit längerer Zeit Unternehmensposten innehat, dürfte von einer auf Dauer angelegten Lobbytätigkeit für die Unternehmen auszugehen sein.

2. Wer initiiert das Gespräch?

Darf Schröder dennoch Gespräche mit Regierungsmitgliedern und Abgeordneten führen? Die klare Antwort darauf lautet: Ja. 

Eine solche Unterhaltung hat es seit Inkrafttreten des Lobbyregisters zu Jahresbeginn auch schon gegeben. Am 5. Januar traf Gerhard Schröder mit dem früheren Russland-Beauftragten der Bundesregierung und jetzigen Parlamentarischen Staatssekretär im Innenministerium, Johann Saathoff (SPD), zusammen. Bei dem Treffen in Hannover waren außerdem der damalige Honorarkonsul Russlands, Heino Wiese, sowie die früheren SPD-Parteichefs Martin Schulz und Matthias Platzeck anwesend.

Matthias Warnig, Gerhard Schroeder (beide Nord Stream AG), Alexei Miller (Gazprom), Sergei Ivanov (russische Regierung)
Gerhard Schröder mit Nord Stream AG-Geschäftsführer Matthias Warnig, Gazprom-Chef Alexei Miller und Sergei Ivanov, Präsidialamtschef des Kreml (8. Oktober 2012)

Ob der langjährige Gaslobbyist Schröder im Lobbyregister angemeldet ist, spielt in diesem Fall jedoch keine Rolle. Die entscheidende Frage ist: Wer initiierte das Gespräch? Bei dem Treffen in Schröders Heimatstadt Hannover will dies der frühere Russland-Beauftragte Johann Saathoff gewesen sein, wie er dem SPIEGEL sagte: „Die Initiative zu dem Treffen ging von mir als Parlamentarier aus.“

Lobbyakteure können sich mit Regierungsmitgliedern und Abgeordneten also auch dann austauschen, wenn sie nicht im Lobbyregister angemeldet sind – sogar regelmäßig. Voraussetzung: Die Gespräche werden von Politiker:innen initiiert. Geregelt ist das in § 2 des Lobbyregistergesetzes ("Registrierungspflicht"). 

3. Worum geht es im Gespräch?

Worum ging es bei dem Treffen mit Schröder Anfang Januar? Ob das umstrittene Pipeline-Projekt Nord Stream 2 zur Sprache kam, kann Initiator Johann Saathoff zumindest nicht ausschließen. Der SPD-Abgeordnete und Parlamentarische Staatssekretär sagte dem SPIEGEL, die Pipeline sei „nach meiner Erinnerung kein Thema“ gewesen. Ihm sei es „um die Entwicklungen in der Zivilgesellschaft in Russland“ gegangen.

Ist es also rechtlich zulässig, dass ein Lobbyist einem Abgeordneten und Mitglied der Bundesregierung sein Anliegen vorträgt, obwohl er nicht im Lobbyregister angemeldet ist? Die klare Antwort lautet: Ja. 

Ob sich die Herren-Runde im Januar ausschließlich über die Entwicklung der russischen Zivilgesellschaft austauschte oder ob auch Energiethemen zur Sprache kamen, lässt sich für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehen. Eine Veröffentlichungspflicht für Gespräche zwischen Politik und Lobbyakteuren existiert nicht.

Dass das Schröder-Treffen überhaupt bekannt wurde, ist einem Zufall geschuldet. Nur weil sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer bei der Bundesregierung nach Kontakten zwischen Schröder und Mitgliedern der Ampel-Regierung erkundigte, erfuhr die Öffentlichkeit von der Zusammenkunft.

Fazit:

Interessenvertreter:innen werden durch das Lobbyregistergesetz einerseits enge Grenzen gesetzt. Wer regelmäßig Kontakt zu Regierungsmitgliedern oder Abgeordneten aufnehmen will, muss sich dafür im öffentlichen Lobbyregister eintragen – dies kann schon ab der dritten Kontaktaufnahme der Fall sein. 

Anderseits lassen sich die Vorgaben des Gesetzes umgehen. Hierzu reicht es, dass ein Regierungs- oder Parlamentsmitglied als Initiator eines Gesprächs mit einer Lobbyistin oder einem Lobbyisten auftritt. Sind sich Politiker:in und Interessenvertreter:in vertraut, begünstigt dies einen Missbrauch. Wer vermag am Ende nachvollziehen, von wem der Wunsch nach einem Gespräch ausgegangen ist?

Nach jetzigem Wissen soll Gerhard Schröder im Juni in den Aufsichtsrat von Gazprom einziehen, in den Gremien anderer Energiefirmen sitzt er bereits. Ob der Gaslobbyist die Anliegen seiner Auftraggeber in Gesprächen mit Regierungsmitgliedern oder Abgeordneten weiterhin vorträgt, ist nicht zu beurteilen. Zulässig wäre es – unter bestimmten Voraussetzungen.

Wie erfolgreich er dabei wäre, steht auf einem anderen Blatt.

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