Wie stehen Sie zu Waffenlieferungen nach Israel? Wie sollte die Bundesregierung eine Zunahme antisemitischer Übergriffe verhindern? Wie stehen Sie zur beabsichtigten Einladung Netanjahus?
Wir sind eine Gruppe politisch interessierter Frauen, die sich regelmäßig zu aktuellen Themen austauschen.
Wir sind zunehmend beunruhigt über die Haltung der Bundesregierung zum Geschehen in Israel, dass mit dem Ziel die Hamas zu zerschlagen ein ganzes Volk vertrieben und vernichtet wird, die Siedlungspolitik brutal weitergeführt und kritische Stimmen und NGOs im Land bedroht und verfolgt werden. Die deutsche Staatsräson in Bezug auf den Staat Israel kann nicht bedeuten, eine rechtsradikale Regierung zu unterstützen und mit Waffen zu beliefern.
Auch in Deutschland werden kritisch-solidarische Stimmen zur Situation der Menschen in Gaza und der Westbank unterdrückt und behindert, obwohl unsere Verfassung das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert. Wenn einer kritischen Auseinandersetzung kein Raum geboten wird, dann fürchten wir eine weitere Zunahme antisemitischer Angriffe in Deutschland.
Es erschüttert uns, dass Friedrich Merz Ministerpräsident Netanjahu einladen möchte.

Sehr geehrte Frau W.,
vielen Dank für Ihre Fragen! Die Ereignisse in Israel und im Gaza-Streifen seit dem 07. Oktober 2023 haben auf beiden Seiten des Konflikts traumatische Dimensionen und stellen eine Zäsur im politischen Nahen Osten dar. Israel hat das Recht, sich selbst zu schützen und zu verteidigen. Deshalb ist jedoch Kritik an der Kriegsführung auch möglich und nötig, was übrigens auch in Israel selbst vehement debattiert wird. Der Militäreinsatz Israels muss unter den Bedingungen des humanitären Völkerrechts erfolgen. Viel zu viele unschuldige Menschen sind beim Gegenschlag Israels im Gaza-Streifen gestorben oder schwer verwundet worden. Auch bei jeder Entscheidung über Rüstungsexporte ist das humanitäre Völkerrecht zu beachten. Wenn dem Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza nicht genug Rechnung getragen ist, dürfen im Einzelfall solche Waffen nicht exportiert werden.
Angesichts der dramatischen humanitären Lage für die Zivilbevölkerung in Gaza erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie sich stärker gegenüber der israelischen Regierung für die Einhaltung des humanitären Völkerrechts, einen Waffenstillstand und ein sofortiges Ende der Blockade humanitärer Hilfslieferungen einsetzt. Zudem verurteilen wir den Siedlungsbau und Annexionspläne der israelischen Regierung, die gegen das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen verstoßen und die illegale Enteignung von Wohnungen in Ost-Jerusalem sowie im Westjordanland.
Zur Verhinderung von antisemitischen Übergriffen sollte die Bundesregierung einerseits die jüdische Bevölkerung stärker schützen und andererseits umfassende präventive Maßnahmen ergreifen. Für den Schutz jüdischer Gemeinden und israelischer Communities muss die Finanzierung entsprechender Maßnahmen gesichert werden. Gleichzeitig muss mit einer umfassenden Bildungsstrategie verstärkt daran gearbeitet werden, eine Erinnerungskultur tief zu verankern: Neue Formen des Erinnerns müssen gefördert, bereits erfolgreiche Programme verstetigt werden. Unter anderem sollten Jugendverbände, die sich gegen Antisemitismus einsetzen, gezielt unterstützt werden und auf der anderen Seite, die Förderung von Projekten, die Antisemitismus propagieren, gestrichen werden. Es sollte allen Schüler*innen durch finanzielle Unterstützung möglich sein, einmal in ihrer Schulzeit eine NS-Gedenkstätte zu besuchen. Zudem sollte eine Antisemitismusstrategie für den digitalen Raum erarbeitet werden.
Ich teile Ihre Erschütterung über die Einladung des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu nach Deutschland trotz des vom internationalen Strafgerichtshof verhängten Haftbefehls. Das internationale Recht lässt keinen Raum für politisches Ermessen. Deutschland muss sich unabhängig von politischen Fragestellungen an das Völkerrecht halten und sollte in diesem Rahmen an Israel appellieren, mit dem internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten.
Wenn Sie unsere Pressestatements in den vergangenen Monaten verfolgt haben, werden Sie feststellen, dass wir mit scharfen Worten die Politik der radikal rechtsgerichteten Regierung unter Benjamin Netanjahu kritisiert haben. Sie hat das Land innenpolitisch zerrissen und außenpolitisch vor riesige Herausforderungen gestellt. Neben nationalistischen und religiösen Kräften sind in ihr auch rassistische und rechtsextreme sowie u.a. wegen Korruption und Terrorismus vorbestrafte Politiker vertreten. Nach innen polarisiert diese Regierung die israelische Gesellschaft, da Kräfte in ihr die Arbeit von NGOs vor allem zu Menschenrechten einschränken wollen und sich massiv gegen LGBTQ- und Frauenrechte ausgesprochen haben.
Seit Beginn des Konflikts haben wir humanitäre Waffenruhen gefordert in der Hoffnung, dass sie letztendlich in einen verhandelten Waffenstillstand und langfristig in eine politische Lösung münden. Dabei lehnen wir alle Vorschläge zur Umsiedlung oder Vertreibung von Palästinenser*innen, die aus einigen israelischen Kreisen wie aus der US-Regierung kommen, als groben Verstoß gegen das Völkerrecht ab. Auf dem steinigen Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung unterstützen wir daher auch zivilgesellschaftliche Friedensdialogarbeit von Israelis und Palästinenser*innen gegen den aktuellen Strom der Radikalisierung und des beispiellosen Hasses auf allen Seiten.
Viele Grüße
Till Steffen