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Frage von Ullrich K. •

Frage an Swen Schulz von Ullrich K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Schulz,

als ehemaliger Spandauer habe ich 2 Fragen an Sie:

1. Wie stehen Sie und Ihre Partei zum lange geplanten Zentrum für Vertreibungen in Berlin und weshalb kommt es bei der Umsetzung dabei laufend zu Verzögerungen?

2. Wie stehen Sie als Abgeordneter persönlich zu Volksabstimmungen (Verfassung, Euro-Einführung, EU allgemein, Kriegseinsatz Afghanistan usw.)?

Vielen Dank für Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Ullrich Krone

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Krone,

vielen Dank für Ihre Fragen.

Die SPD hat das Projekt eines "Zentrums gegen Vertreibungen" in der Form, in der es vom Bund der Vertriebenen und von der im Jahr 2000 gegründeten gleichnamigen Stiftung angestoßen worden ist, stets in aller Deutlichkeit abgelehnt. Dieses Projekt wurde sowohl im eigenen Land als auch von den europäischen Nachbarn Deutschlands, insbesondere Polen abgelehnt, da mit der einseitigen Fokussierung auf die Vertreibungen der Deutschen Geschichtsrevisionismus befürchtet wurde.
Die SPD plädierte stattdessen seit je her für einen europäischen Ansatz, der den gemeinsamen europäischen Blick auf die schmerzvollen Erfahrungen der Deutschen, aber auch anderer Völker im Europa des 20. Jahrhunderts dokumentiert und die Verständigung darüber fördert.

Das "Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität", von Kulturstaatsministerin Dr. Christina Weiss mit ihren Kollegen aus Polen, der Slowakei und Ungarn im Februar 2005 gegründet, vernetzt bestehende Initiativen und Institutionen, die sich europaweit und grenzüberschreitend mit dem Thema Vertreibungen, aber auch allgemeiner mit den Opfern von Totalitarismus und Diktaturen befassen. Das Netzwerk befördert den Dialog über diesen Teil europäischer Geschichte. Die SPD hält es für wichtig, die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn in dieser Form fortzusetzen und zu intensivieren, um die Perspektive einer gemeinsamen europäischen Geschichtsaufarbeitung zu entwickeln.

Die SPD hat sich in der Diskussion um das Gedenken an Flucht und Vertreibung dafür eingesetzt, dass diese schwierige Geschichte im Dialog mit den europäischen Nachbarn aufgearbeitet und dargestellt werden muss. Zudem war es Anliegen der SPD, dass eine Einrichtung zum Gedenken an Flucht und Vertreibung in öffentlicher Trägerschaft entsteht. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005 wurden die unterschiedlichen Positionen von Union und SPD in einem Kompromiss zusammengeführt: im Geist der Versöhnung mit den Nachbarländern sollte eine Erinnerungs- und Dokumentationsstätte in Berlin entstehen.

Der SPD war es immer wichtig, diese Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag nach innen wie nach außen in einem offenen und aufrichtigen Dialog über die Aufarbeitung der Geschichte der Vertreibungen umzusetzen. Offen und aufrichtig heißt vor allem, die historischen Ursachen und Hintergründe deutlich zu benennen: den vom nationalsozialistischen Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg und die dabei begangenen brutalen Verbrechen. Dazu gehören auch die in Polen und Tschechien erfolgten Zwangsumsiedlungen der dortigen Bevölkerung durch die deutsche Besatzung.

Am 19. März 2008 hat das Bundeskabinett den Gesetzesentwurf zur Errichtung einer Stiftung Deutsches Historisches Museum zur Abstimmung vorgelegt, den der Deutsche Bundestag schließlich am 4. Dezember 2008 beschlossen hat. Damit wird in der Trägerschaft der Bundesstiftung Deutsches Historisches Museum eine unselbstständige Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung mit folgenden, aus Sicht der SPD zentralen Bestandteilen eingerichtet: eine Dauerausstellung auf der Grundlage der vom Bonner "Haus der Geschichte" (HdG) konzipierten Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration", eine Institution in ausschließlich öffentlicher, staatlicher Trägerschaft, eingebettet in die bestehende Museumslandschaft, die differenzierte historische Darstellung von Ursache und Wirkung und die Einbeziehung der Perspektiven unserer europäischen Nachbarstaaten.

Um konkrete Elemente der Dauerausstellung zu erarbeiten, wurde unser Vorschlag aufgegriffen, eine internationale Konferenz unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus mehreren Ländern durchzuführen. Dabei sollen Vorschläge und Kriterien zu Konzeption und Umsetzung der Ausstellung erarbeitet werden. Diese Konferenz wird zu Beginn der kommenden Legislaturperiode stattfinden.

Im April 2009 wurde der Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung benannt, im Juli 2009 der Direktor der Stiftung, Prof. Dr. Manfred Kittel, vom Stiftungsrat bestellt. Damit können die nun anstehenden Entscheidungen über die Ausschreibung des Architektenwettbewerbs für die Sanierung des Deutschlandhauses und die Benennung des wissenschaftlichen Beraterkreises der Stiftung erfolgen.

An der Chronologie dieser Entscheidungen können Sie erkennen, dass die Umsetzung der Beschlüsse des Deutschen Bundestages zügig erfolgt.

Ich bin ein absoluter Befürworter, wenn es um die Einführung von Instrumenten der direkten Demokratie in unser Grundgesetz geht.

Die Einführung von Elementen direkter Demokratie stellt aus meiner Sicht eine sinnvolle Ergänzung zum parlamentarisch-repräsentativen System dar. Dadurch bekämen die Bürgerinnen und Bürger über ihre Teilnahme an den Wahlen zum Deutschen Bundestag hinaus endlich auch die Möglichkeit, direkt auf die Bundespolitik und deren Entscheidungen Einfluss zu nehmen und selbst mit zu gestalten. Das kann nicht zuletzt auch zu einer Belebung der parlamentarischen Demokratie führen.

Die SPD-Bundestagsfraktion vertritt schon seit vielen Jahren die Position, die plebiszitären Elemente im Grundgesetz insgesamt zu stärken und den Bürgerinnen und Bürgern mehr Möglichkeiten zur direkten Teilhabe zu verschaffen. So brachte die SPD-Bundestagsfraktion bereits 1993, im Anschluss an die Beratungen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, einen Gesetzentwurf ein, mit dem ein Volksentscheid auf Bundesebene ermöglicht werden sollte.

Im Jahr 2002 verständigten wir uns mit unserem damaligen Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen und erarbeiteten gemeinsam einen erneuten Antrag zur Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden (Bundestags-Drucksache 14/8503). Dafür müsste allerdings das Grundgesetz geändert werden und eine solche Verfassungsänderung bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages und zwei Drittel der Stimmen des Bundesrates. Da die CDU/CSU-Fraktion die Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung damals ablehnte, kam diese Mehrheit nicht zustande.

Zuletzt hatten die Koalitionsfraktionen der vergangenen Wahlperiode im Herbst 2004 dazu einen Anlauf unternommen und einen entsprechenden Gesetzentwurf mit der Opposition diskutiert. Die FDP hatte bereits Dialogbereitschaft und grundsätzliche Zustimmung signalisiert, doch auch dieses Mal ließen sich die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion nicht umstimmen.

Für die SPD war das Thema Volksgesetzgebung damit aber keinesfalls vom Tisch. Wir haben unserer Forderung dann erneut in unserem Wahlprogramm zur Bundestagswahl im Jahr 2005 explizit Ausdruck verliehen. So hieß es darin: "Wir brauchen mehr direkte Demokratie und damit den Volksentscheid".

Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU nach der letzten Bundestagswahl haben wir erreicht, dass im Koalitionsvertrag zumindest folgende Formulierung aufgenommen wurde: "Die Einführung von Elementen der direkten Demokratie werden wir prüfen".

An meinen Ausführungen merken Sie sicherlich schon, dass der Wille allein bei diesem Vorhaben leider nicht ausreicht, sondern dass die Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung auf Bundesebene nur möglich ist, wenn auch die CDU/CSU dieses Vorhaben endlich unterstützt. In dieser Legislaturperiode wurde leider nicht erkennbar, dass sie von ihrer bisherigen Position abrücken werden. Und ich befürchte, dass auch zukünftig die CDU/CSU bei ihrer Position bleiben und das Thema ignorieren wird.

Meines Erachtens sollte sich die Bundespolitik der direkten Demokratie nicht verschließen, zumal sie auf der Ebene der Bundesländer und in den Kommunen bereits zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist und sich grundsätzlich auch bewährt hat.

Obwohl Sie sich eigentlich nur bezüglich der Einführung von direkter Demokratie in das Grundgesetz an mich gewandt haben, möchte ich gerne kurz auf die Situation in Berlin zu dieser Thematik eingehen. Als ehemaliger Spandauer ist es für Sie sicherlich interessant, zu erfahren, welche Entwicklungen stattgefunden haben und welche Neuerungen in der Stadt und insbesondere in den Bezirken eingeführt wurden.

Lange Zeit konnte Berlin beim Thema direkte Demokratie nicht mithalten, war stets Schlusslicht und landete Jahr für Jahr auf Platz 16 beim Bundesländervergleich. Im Jahr 2005 ist es jedoch auf Initiative der Koalition aus SPD und DIE LINKE endlich gelungen, den Weg frei zu machen für mehr Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte der Bürgerinnen und Bürger in den Bezirken. Durch diese Initiative, die im Abgeordnetenhaus von Berlin von allen Fraktionen, außer der CDU-Fraktion, unterstützt wurde, hat Berlin endlich seine Außenseiterposition aufgegeben und einen ersten Schritt in Richtung einer Landes- und Bezirkspolitik unternommen, bei der die Bürgerinnen und Bürger als Mitgestalter, das heißt als aktive Bürgerinnen und Bürger, akzeptiert und ernst genommen werden. Der Verein "Mehr Demokratie e.V." bescheinigte Berlin sogar die "bürgerfreundlichste Regelung, die in Deutschland je von einem Parlament beschlossen wurde".

In Spandau fand beispielsweise im Februar letzten Jahres der erste Bürgerentscheid im Bezirk statt, es ging dabei um die Zukunft der Halbinsel am Großglienicker See. Inzwischen wurden in dieser Form die Bürgerinnen und Bürger sowohl in einzelnen Bezirken als auch in Gesamt-Berlin schon mehrere Male an die Wahlurne gerufen und viele von ihnen haben ihr Recht wahrgenommen. Hier seien nur die Bürgerentscheide zum Thema "Tempelhof" oder "Pro-Religion" zu erwähnen.

Anfang 2008 hat die Mehrheit im Abgeordnetenhaus von Berlin weitere Schritte zur Vereinfachung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden unternommen.
So können seit dem 20. Februar 2008 beispielsweise auch 16-Jährige an einer Volksinitiative teilnehmen, das war bislang nur möglich, wenn man volljährig war. Bisher wurden für einen Antrag auf Behandlung einer Volksinitiative 90.000 Unterschriften benötigt, nach der Neuregelung sind nur noch 20.000 Unterschriften notwendig.
In Berlin haben meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD damit einen großen Durchbruch erlangt. Ein Durchbruch, der auf der Bundesebene zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht erreichbar scheint.

Notwendig wäre, dass auch die CDU/CSU endlich den Trend hin zu mehr direkter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürgern und die Annahme und Akzeptanz dieser Verfahren sowohl von Seiten der Politik als auch von Seiten der Bürgerinnen und Bürger erkennen, ihre Position noch einmal überdenken und ihre Vorbehalte gegenüber direkter Demokratie endlich über Bord werfen. Nur dann kann es uns gelingen, mehr direkte Demokratie im Grundgesetz zu verankern.

Hannover liegt nun nicht gerade um die Ecke von Spandau. Aber falls Sie sich mal in Berlin aufhalten und weiteren Gesprächsbedarf auch zu anderen Themen haben, können Sie gerne zu einem persönlichen Gespräch in meine Bürgersprechstunde in meinem Bürgerbüro in der Bismarckstr. 61 in Spandau kommen. Einen Termin können Sie unter der Telefonnummer 030/ 36 75 70 90 vereinbaren.
Darüber hinaus erreichen Sie mich direkt unter

Swen Schulz, MdB