Frage von Jan-Hendrik S. •

Wie verträgt sich die Komplexität des deutsche Steuergesetz mit der angestrebten Chancengleichheit?

Sehr geehrter Herr Lehmann,
das deut. Steuergesetz ist bekanntlich sehr komplex. Im Vergleich zu anderen Ländern sind auch private Steuererklärungen nicht einfach zu verstehen. Selbst von Expert*innen hört man immer wieder, dass die Regelungen und Ausnahmen undurchsichtig sein können. Gleichzeitig streben wir eine Chancengleichheit in Deutschland an.

Zu meiner Frage: Wenn nicht jede*r Bürger*in die Zeit und das Geld aufwenden kann die eigene Steuererklärung mit allen Ausnahmefällen zu "optimieren", ist dies nicht eine direkte Einschränkung der Chancengleichheit?
Sollte im Umkehrschluss eine Steuererklärung so "einfach" sein, dass jede*r Bürger*in die gleiche Möglichkeit hat seine oder ihre Steuer zu erklären?

Viele Grüße
Jan-Hendrik S.

Portrait von Sven Lehmann
Antwort von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Guten Tag Jan-Hendrik S.,

vielen Dank für Ihre Frage.
Wir teilen Ihre Einschätzung. Ein Steuerrecht mit wenigen Ausnahmen und klaren Strukturen lässt weniger Gestaltung zu, die oft komplexe (und teure) Beratung nötig macht, die nicht jeder in Anspruch nehmen kann. 

Tatsächlich gibt es im deutschen Steuersystem unterschiedliche Faktoren, die eine Chancenungleichheit verstärken: 

Im Bereich der Einkommensteuer sehen wir die größeren Ungerechtigkeiten darin, dass Steuervergünstigungen bei hohen Einkommen und damit höherem Steuersatz aufgrund der Progression auch eine erheblich größere Nettowirkung entfalten. Besonders augenfällig ist dies beim Kindergeld im Vergleich zum Kinderfreibetrag. Aber auch bei der Entfernungspauschale profitieren Menschen mit hohem Einkommen netto deutlich stärker als jene, die besonders auf Unterstützung aufgrund niedrigerer Löhne angewiesen wären. Abzugsbeträge bei der Steuerschuld statt an der Bemessungsgrundlage anzusetzen, würde hier Abhilfe schaffen.

Unkomplizierte Steuerfälle in der Einkommensteuer (also ein Arbeitseinkommen, nur geringe Zinseinnahmen und keine Vermietung) sind dennoch recht übersichtlich. Durch die Vorausausfüllung einer digitalen Steuererklärung lässt sich diese, auch mithilfe von Apps und Ausfüllprogrammen insgesamt gut bewerkstelligen. wenngleich diese Möglichkeiten noch einfacher und anwenderfreundlicher ausgestaltet werden könnten.

Große Ungleichheiten sehen wir v.a. bei vermögensbezogenen Steuern. Zum einen sind Kapitaleinkünfte weiterhin durch die Abgeltungssteuer von 25% privilegiert und eröffnen Gestaltungspotential. Zum anderen gibt es eine Umkehrung des Prinzips, dass starke Schultern auch mehr tragen sollen, bei der Erbschaftsteuer. Hier sind kleinere und mittlere Erbschaften prozentual stärker belastet als besonders große. Und insbesondere die Kombination verstärkt die in Deutschland besonders ausgeprägte Ungleichverteilung bei Vermögen: Wenn Erträge aus Vermögen als auch die Vererbung und Verschenkung davon gegenüber Arbeitseinkommen bevorzugt werden, läuft etwas falsch in Sachen Gerechtigkeit.

Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass das Steuersystem in Deutschland gerechter ausgestaltet wird und werden dies auch in der Opposition weiter vorantreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Sven Lehmann

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