Portrait von Stefan Urbat
Stefan Urbat
PIRATEN
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Stefan Urbat zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Ludwig K. •

Frage an Stefan Urbat von Ludwig K. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Urbat,

meine Frage bezieht sich auf die internationale Finanzkrise. Mir ist von der Piratenpartei bis jetzt kein Plan bekannt, wie man aus dieser Krise gestärkt heraußkommt. Vielleicht können sie mir sagen wie ihre Partei dazu steht. Es würde mich interessieren wie sie Arbeitsplätze erhalten und schaffen wollen.

Mit freundlichen Grüßen
Ludwig Koch

Portrait von Stefan Urbat
Antwort von
PIRATEN

Sehr geehrter Herr Koch,

zunächst muss ich dazu anmerken, dass zum Einen unsere Partei bislang kein Wirtschafts- und Arbeitsprogramm hat, ich Ihnen also unmittelber nur meine persönliche Meinung als Direktkandidat mitteilen kann, und dass zum Anderen ich selbst kein Experte für Wirtschaft bin.

Trotzdem werde ich Ihnen versuchen, diese Frage so gut wie möglich aufgrund meiner vorhandenen (eingeschränkten) Kenntnisse und Erfahrungen sowie Einschätzungen zu beantworten.

Ich muss dennoch weiter ausholen, da es sich um ein sehr komplexes Problem handelt, das möglicherweise gar nicht optimal gelöst werden kann (unter realen Bedingungen von Wirtschaft und Politik).

Zunächst demonstriert diese Krise, wohin mangelnde Transparenz führen kann: in weltweite hausgemachte Katastrophen nämlich. Das betrifft hier v.a. die sogenannten "neuartigen Finanzderivate", die der Kern des Übels sind. Hier ist zweierlei Versagen aller wichtigen Staaten weltweit, nicht nur Deutschlands, festzustellen: es gab keine konsequente Aufsicht über diese Hochrisikopapiere und auch keine Aufsicht über die sogenannten Steueroasen, die z.B. die gefährlichen Hedge-Fonts beherbergen. Letztere haben zwar die Krise nicht ausgelöst, in der Folgezeit aber dieselbe aufgrund mangelnder Kapitalreserven für ihre Geschäfte noch verschärft.

Die Bankenaufsicht hat sich generell als mangelhaft erwiesen: viel zu niedrige Eigenkapitalquoten wurden unbeanstandet gelassen bzw. nicht abgestellt, beliebige dieser Derivate zum Handel zugelassen.

Hier lassen sich für die Zukunft schon in unserem Sinne erstrebenswerte Änderungen durchführen: konsequente Aufsicht von Banken und Finanzprodukten weltweit ohne weiße Flecken. Das können die großen, reichen Länder schon durchsetzen, wenn sie konsequent sind, ohne eine gewisse Duldung können Länder wie die Schweiz, Luxemburg, Cayman Islands etc. diese Masche nicht durchziehen. Das geht hin bis zum Verbot von allzu undurchsichtigen Finanzprodukten und -geschäften, eine Forderung, die z.B. in der Zeitschrift unserer Hausbank aufgestellt wurde, also nicht etwa von Anti-Kapitalisten.

Eine weitere Möglichkeit ist die Zerlegung von Banken in überschaubare Einzelbanken, so dass Gigantbanken wie die UBS nicht mehr existieren und alle noch bestehenden Banken nicht mehr systemgefährdend sind. Einzelne solche versagenden kleineren Banken lassen sich nämlich von den Anderen oder auch (notfalls) dem Staat auffangen, ohne sich eine aberwitzige staatliche Neuverschuldung wie im Fall der Hypo Real Estate (HRE) dabei einzuhandeln, die uns alle auf Dauer schwer belasten wird.

Leider helfen diese Maßnahmen in der aktuellen Lage kaum bis gar nicht, sie sind nur eine Absicherung für die Zukunft, die jetzt aber, wenn überhaupt, am Ehesten durchsetzbar ist.

Außerdem haben natürlich die Bürger einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie jetzt mit ihren Geldern die Banken saniert werden, auch hier bestehen große Defizite in der Praxis.

Wie man aus der Krise (auch noch möglichst schnell und gut) heraus kommt, ist schwer zu sagen, hier hat niemand, nicht nur wir nicht, ein Patentrezept. Dafür ist diese Krise zu singulär, unterscheidet sich sehr deutlich von allen Vorgängern, insbesondere der Weltwirtschaftskrise von 1929.

Zunächst einmal gibt es zwei Möglichkeiten: die Krise ist schon am Abflauen, das Tal wird gerade in etwa durchschritten; oder aber das Schlimmste kommt noch. Ich halte zwar Zweiteres für wahrscheinlicher, weil die Gebirge an nunmehr (fast) wertlosen Finanzderivaten keineswegs abgebaut oder entschärft sind, und die Kurzarbeit in Deutschland vermutlich einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit mittelfristig nicht wird verhindern können.

Ich bin hier aber auf Vermutungen angewiesen, und hoffe, dass ich mich und v.a. die betreffenden Experten sich hier täuschen.

Ich halte gezielte Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur schon aus psychologischen Gründen momentan für sinnvoll, sie sollten aber keine kurzfristigen, undurchdachten Strohfeuer sein wie z.B. die Abwrackprämie, die offenbar nur den Autobauern und -fahrern zuliebe beschlossen wurde (wieder eine Folge von Lobbyismus und Populismus).

Wenn diese Maßnahmen wirklich gut gezielt sind, d.h. z.B. für den Aufbau nachhaltiger Energiewirtschaft, dann können diese Maßnahmen nicht nur die Krise dämpfen, sondern einen Wiederaufschwung mit begründen.

Worüber ich mir allerdings nicht sicher bin ist, ob z.B. in Bereichen wie regenerative Energieen wirklich genug Arbeitsplätze entstehen (werden), um z.B. durch moderne Technik entfallende auch nur zu kompensieren, oder ob wir nicht doch immer weniger (im Durchschnitt) an Arbeit zu verteilen haben.

Diese Zweifel werden genährt durch die via Blasen wie der zuletzt von neuartigen Finanzderivaten ausgelösten Produktions- und Konsumanstiege, die offenbar nur auf Pump gebaut waren, und denen keine realen Werte (wie z.B. Gold, wie es lange Zeit nach dem zweiten Weltkrieg bis in die 70er-Jahre der Fall war) mehr gegenüberstanden bzw. -stehen. Der Produktivitätsfortschritt moderner Technik ist meines Erachtens deutlich größer und wird es auch bleiben. - Ich hoffe nur, dass nicht die massiv verschärften Sicherheitsgesetze, die noch weiter verschärft werden sollen, wenn es nach dem aktuellen Bundesinnenministerium und der großen Koalition geht, nicht missbraucht werden, um auf nicht von einem demokratischen, freiheitlichen Rechtsstaat zu rechtfertigende Weise protestierende Bürger wie Terroristen mit äußerster Härte zu behandeln.

Am Wichtigsten für uns erscheint mir, dass wir durch Transparenz künftig solche Fehlentwicklungen im Keim ersticken können, dass wir ein möglichst barrierefreies Bildungssystem haben sollten (keine Studiengebühren, sondern Lehrmittelfreiheit, keine Überfrachtung von Lehrplänen an Gymnasien durch G8 etc.), über das so viel wie möglich junge Menschen mit wirklich guter Ausbildung (eher Rückkehr zum Diplom bzw. dessen Standards statt gescheitertem Bologna-Prozess) anspruchsvolle Aufgaben, auch aus Eigeninitative, in Deutschland übernehmen können. Ob ein bedingungsloses Grundeinkommen statt dem aktuell die Menschenwürde verletzenden Hartz-IV-System künftig eine Rolle dabei spielen kann und muss, kann nur die Zukunft zeigen (innerparteiliche Diskussion, genauere Planungen aufgrund besserer Abschätzbarkeit solcher Ansätze).

Mit freundlichen Grüßen,
Stefan Urbat