Warum ignoriert die CDU die Fakten zur Cannabisreform?
Sehr geehrte Frau Borchardt,
die verfügbaren Daten zeigen klar, dass die Cannabisreform nicht zu mehr Konsum bei Jugendlichen geführt hat. Laut aktueller Drogenaffinitätsstudie ist der Konsum bei 12–17-Jährigen stabil oder leicht rückläufig. Auch der EKOCAN-Zwischenbericht bestätigt: In der Gesamtbevölkerung gibt es kaum Veränderungen, der Jugendtrend bleibt rückläufig. Gleichzeitig gingen cannabisbezogene Strafverfahren um rund 100.000 zurück.
Trotzdem warnt Silke Launert (CDU/CSU), „noch mehr Jugendliche“ würden konsumieren. Friedrich Merz spricht von „rasant zunehmender“ Rauschgiftkriminalität, und Alexander Hoffmann (CDU) erklärt: „Die Suchtproblematik gerade bei jungen Menschen nimmt weiter zu.“ Diese Aussagen widersprechen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und offiziellen Statistiken.
Warum hält die CDU an dieser Linie fest, obwohl die Fakten eine andere Sprache sprechen? Welche Rolle spielen dabei politische Strategie und Ideologie im Vergleich zur wissenschaftlichen Evidenz?
Vielen Dank für Ihre differenzierte Frage. Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: die Bewertung der Folgen der Cannabisreform und die Haltung der CDU/CSU dazu.
1. Unterschied zwischen kurzfristigen Daten und langfristigen Entwicklungen
Die von Ihnen genannten Studien – etwa die Drogenaffinitätsstudie der BZgA oder der EKOCAN-Zwischenbericht – liefern wertvolle Momentaufnahmen. Sie zeigen tatsächlich, dass der Konsum bei Jugendlichen aktuell nicht steigt. Diese Daten gelten jedoch für einen sehr kurzen Zeitraum nach Inkrafttreten der Reform.
Aus Sicht der CDU/CSU ist es zu früh, um von einer stabilen Entwicklung zu sprechen. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass steigende Konsumraten bei Jugendlichen oft erst nach mehreren Jahren auftreten. Darauf weisen Suchtforscherinnen und Suchtforscher etwa aus Kanada oder den USA hin. Vorsicht und Beobachtung sind daher kein Misstrauen gegenüber Wissenschaft, sondern Ausdruck von Verantwortungsbewusstsein.
2. Schutz Minderjähriger bleibt Priorität
Die CDU/CSU teilt das Ziel, Erwachsene eigenverantwortlich zu behandeln. Gleichzeitig steht für uns der Jugendschutz an erster Stelle. Die Reform führt zu neuen Herausforderungen:
– Cannabis ist jetzt gesellschaftlich präsenter, in Sprache, Medien und öffentlichem Raum.
– Der Zugang über Anbauvereinigungen und die Entkriminalisierung im Umfeld erschweren Kontrollen.
– Polizei und Jugendämter berichten bereits von Unsicherheiten bei Vollzug und Prävention.
Wenn Kolleginnen und Kollegen wie Silke Launert oder Alexander Hoffmann auf „zunehmende Suchtprobleme“ hinweisen, meinen sie also nicht ausschließlich Cannabis-Konsumzahlen, sondern die Gesamtentwicklung von riskantem Verhalten, Mehrfachkonsum (z. B. Cannabis und Alkohol) und psychischen Belastungen bei Jugendlichen.
3. Rauschgiftkriminalität und soziale Folgen
Auch die Aussage von Friedrich Merz zur „zunehmenden Rauschgiftkriminalität“ bezieht sich nicht allein auf Cannabis, sondern auf die gesamte Drogenszene. Die Zahl der schweren Delikte im Zusammenhang mit harten Drogen und Drogenhandel ist in vielen Regionen tatsächlich gestiegen. Die CDU sieht mit Sorge, dass durch die Legalisierung Signale der Verharmlosung entstehen könnten, die Kriminalität und Konsumverhalten indirekt beeinflussen.
4. Ideologie oder Vorsicht?
Die CDU hält sich an das Prinzip: Erst prüfen, dann bewerten.
Wir wollen keine ideologische Politik, sondern eine verantwortungsvolle. Eine Reform, die in Lebensrealitäten eingreift, muss ihre Wirkungen langfristig belegt haben. Dass wir Risiken betonen, bedeutet nicht, Forschung zu ignorieren – sondern sie sorgfältig im Kontext von Sicherheit, Prävention und Gesundheitsschutz einzuordnen.
5. Fazit
Die aktuelle Datenlage ist wichtig, aber sie ersetzt keine langfristige Folgenabschätzung. Für die CDU steht fest:
– Jugendschutz geht vor.
– Legalisierung darf keine Normalisierung des Konsums auslösen.
– Forschung muss fortgeführt und die Reform regelmäßig evaluiert werden.
Wir bleiben offen für wissenschaftliche Erkenntnisse, aber ebenso wachsam gegenüber Entwicklungen, die erst in einigen Jahren sichtbar werden.
Mit freundlichen Grüßen
Simone Borchardt, MdB
Gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

