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Sascha Raabe
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Frage von Thomas S. •

Frage an Sascha Raabe von Thomas S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Raabe,

1. Wie stehen Sie zu der von Parteichef Schulz inzwischen favorisierten Neuauflage einer Großen Koalition?

2. Was halten Sie von einer "stabilen Regierung" und was verstehen Sie darunter?

3. Landwirtschaftsminister Schmidt hat im Alleingang der Verwendung der umstrittenen Chemikalie Glyphosat auf Euro-Ebene zugestimmt, führt der CSU-Minister damit nicht die SPD vor?

4. Ohne amtierende neu gewählte Bundesregierung haben 504 von 709 Bundestagsabgeordneten dem von CDU/CSU, SPD und FDP eingereichten Antrag zur automatischen Anpassung der Abgeordnetendiäten zugestimmt.
Hat diese Abstimmung nicht eindrucksvoll bewiesen, dass die Abgeordneten stabile Mehrheiten ohne Koalition bilden können, wenn sie wollen?

5. Jakob Augstein schreibt im Spiegel:

"Die SPD hat getönt, es werde mit ihr keine Obergrenze für Flüchtlinge geben. Die CSU hat sie durchgesetzt. Die SPD forderte einen angemessenen Familiennachzug. Die CDU will davon nichts wissen. Die SPD wollte Steuererhöhungen. Die CDU hat sie verweigert. Die SPD bat um die Bürgerversicherung. Die CDU gab ihr einen Korb. Die SPD war schon als Bettvorleger in diese Verhandlungen gestartet. Gelandet ist sie als Küchenlappen."

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-und-die-grosse-koalition-der-tod-ist-gar-nicht-so-schlimm-kolumne-a-1187932.html

Wie- werten Sie Augsteins Thesen?

Viele Grüße T. S.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr S.,

aus meiner Sicht ist der Koalitionsvertrag eine gute Grundlage für den Eintritt der SPD in eine neue Bundesregierung. Ich sage das bei allem Respekt vor all denen, die aus verständlichen grundsätzlichen Erwägungen gegen eine erneute GroKo sind. Niemand in der SPD hat sich nach der enttäuschenden Bundestagswahl eine erneute Große Koalition gewünscht. Ebenso klar war aber auch, dass wir uns, nachdem sich Christian Lindner feige aus der Verantwortung gestohlen hatte und Jamaika gescheitert war, der Bitte des Bundespräsidenten nach Koalitionsgesprächen nicht entziehen konnten. Unser Parteitag hat daher richtigerweise für Verhandlungen gestimmt. Nun liegt das Ergebnis vor und ich glaube, dass wir mit den jetzt getroffenen Vereinbarungen in den nächsten Jahren wirklich Gutes für die Menschen in unserem Land erreichen können.

So haben wir zum Beispiel die Wiedereinführung der Parität in der Krankenversicherung, Entlastungen bei den Sozialversicherungsabgaben und die Abschaffung des Solidaritätszuschlages für 90 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler durchgesetzt. Das sind Maßnahmen, die besonders kleine und mittlere Einkommen entlasten. Und es ist ein Beitrag zu mehr Verteilungsgerechtigkeit, weil der Soli für die oberen zehn Prozent der Steuerzahler bestehen bleibt. Wir sorgen dafür, dass Wohnen bezahlbar bleibt, indem wir Familien durch ein Baukindergeld beim Erwerb von Wohneigentum unter die Arme greifen und indem wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau massiv aufstocken. Wir stärken darüber hinaus Mieterinnen und Mietern durch die Begrenzung der Modernisierungsumlage und eine Verschärfung der Mietpreisbremse.

Ein besonderes Augenmerk haben unsere Verhandler auf die Bereiche Bildung und Ausbildung gelegt – und hier ganze Arbeit geleistet: Wer hätte gedacht, dass wir die Union zu einer Aufhebung des Kooperationsverbotes in der Bildung, zu einem Einstieg in die Gebührenfreiheit in den Kitas, zu einem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter und zu mehr BAföG und einer Mindestausbildungsvergütung bringen würden? Mit all dem erreichen wir eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und schaffen endlich mehr Chancengleichheit und Gerechtigkeit in der Bildung – ursozialdemokratische Anliegen. Durchgesetzt haben wir uns auch bei der Rente. Die Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, eine Solidarrente, die 10 Prozent oberhalb der Grundsicherung liegt, und Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sind wichtige Schritte zur Stabilisierung der gesetzlichen Rente und im Kampf gegen die Altersarmut. Wir verbessern die Bedingungen in der Pflege mit einem Sofortprogramm mit 8.000 neuen Stellen allein für die medizinische Behandlungspflege in Alteneinrichtungen. Darüber hinaus verbessern wir die Situation im ländlichen Raum durch präventive Hausbesuche und eine bessere Finanzierung der ambulanten Pflege.

Mit dem Europakapitel ist uns ein wirklich großer Wurf gelungen. In fast allen Punkten haben wir unsere Vorstellungen von einem sozialen und solidarischen Europa 1:1 im Koalitionsvertrag festschreiben können. Wir schaffen einen echten Sozialpakt mit europäischen Mindestlöhnen und gerechter Unternehmensbesteuerung. Wir konnten auch durchsetzen, dass die EU künftig faire Handelsabkommen mit starken durchsetzbaren sozialen Standards und Arbeitnehmerrechten abschließen soll, um Fluchtursachen zu vermindern sowie Arbeitsplätze und gute Löhne in Deutschland zu sichern.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir uns natürlich nicht mit all unseren Forderungen durchsetzen konnten. Wir hatten uns beim Familiennachzug für subsidiär Geschützte mehr gewünscht, aber wir werden immerhin 1.000 Angehörigen pro Monat und zusätzlich Härtefällen den Nachzug wieder ermöglichen. Und wir haben die von der CSU geforderte Obergrenze für Flüchtlinge abwehren können. Eine Bürgerversicherung in Reinform ist mit der Union leider nicht zu machen. Aber wir haben wie vom Parteitag beschlossen, den Einstieg in das Ende der Zwei-Klassen-Medizin durchgesetzt und die Stellung von gesetzlich Versicherten deutlich verbessert. Wir haben auch wichtige Regelungen zur Beendigung des Missbrauchs von befristeten Arbeitsverhältnissen durchgesetzt. Ich teile die Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dass nur mit der SPD in der Regierung Arbeitnehmerrechte gestärkt und eine soziale Politik verwirklicht werden kann.

Um als SPD stark in der Regierung und nach außen sichtbar zu sein, haben wir uns mit dem Finanzministerium das entscheidende Schlüsselressort und weitere wichtige Ministerien (Außen-, Arbeits- und Sozial-, Justiz-, Familien- und Umweltministerium) gesichert. Auf dieser Grundlage bin ich für eine Neuauflage der Großen Koalition und werde dafür im Rahmen des Mitgliederentscheids der SPD auch werben. Die einzig wirklich realistische Alternative, Neuwahlen, die wohl nur die AfD stärken würden, kann niemand wirklich wollen.

Zu Ihren weiteren Punkten:
Der Alleingang von Agrarminister Schmidt in Sachen Glyphosat war sicherlich ein böses Foul. Aber das müssen wir abhaken. Im Koalitionsvertrag haben wir nun eine klare Regelung zu Glyphosat festgelegt. Dort heißt es: „Wir werden mit einer systematischen Minderungsstrategie den Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln deutlich einschränken mit dem Ziel, die Anwendung so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden.“ Ich persönlich habe übrigens schon in der vergangenen Legislatur gegen die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung gestimmt.

Was die Anpassung der Abgeordnetendiäten angeht, möchte ich klar stellen, dass es uns verfassungsrechtlich so vorgegeben ist, dass der Bundestag die Anpassung der Diäten selbst beschließen muss. Um dem ständigen Vorwurf entgegenzuwirken, der Bundestag sei ein „Selbstbedienungsladen“ und die Abgeordneten würden nach Gutsherrenart über die eigenen Bezüge entscheiden, beschloss das Parlament im Jahr 2014 einen Systemwechsel. Dabei ist der Bundestag ausdrücklich den Vorschlägen einer unabhängigen Expertenkommission gefolgt. Diese hatte empfohlen, als Maßstab für die Abgeordnetenentschädigung die Besoldung von Richtern der obersten Bundesgerichte heranzuziehen und die Diäten jährlich automatisch auf Grundlage der Nominallohnentwicklung in Deutschland anzupassen.

Seit dem 1. Juli 2016 ist das neue System in Kraft. Seitdem entwickeln sich die Abgeordnetendiäten genau in der Höhe des Bruttodurchschnittsverdienstes aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Parallel hat der Bundestag übrigens in der letzten Wahlperiode die Transparenzregeln verschärft und eine Reihe von Schritten zur Absenkung der Altersvorsorge beschlossen.

Der richtige Systemwechsel, den wir in der letzten Legislatur vereinbart haben und den ich in höchstem Maße transparent finde, bleibt gemäß § 11 Absatz 5 des Abgeordnetengesetzes für die neue Wahlperiode nur in Kraft, wenn der Bundestag innerhalb von drei Monaten nach der Konstituierung einen entsprechenden Beschluss fasst. Nicht mehr und nicht weniger ist geschehen. Ohne die Verlängerung der Regelung wären wir in das alte System zurückgefallen. Es war also richtig und notwendig, diesen Beschluss, der nun wirklich kein Geheimbeschluss war, wie man mancher Schlagzeile entnehmen konnte, so herbeizuführen. Wie sich nun der Nominallohn entwickelt und ob sich daraus eine Erhöhung ergibt, bleibt abzuwarten.

Ich halte das neue System, das den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entspricht, für fair und angemessen.

Lassen Sie mich abschließend noch klarstellen: Mir persönlich ist es wichtig, dass ich meine ganze Kraft meinem Abgeordnetenmandat widme. Dafür erhalte ich die Abgeordnetenentschädigung, die für jedermann transparent ist. Weitere Nebenjobs oder bezahlte Posten habe ich nicht.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Sascha Raabe