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Sarah Ryglewski
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Frage von Anita A. •

Frage an Sarah Ryglewski von Anita A. bezüglich Staat und Verwaltung

Sehr geehrte Frau Ryglewski!

Stimmen Sie einer Verkleinerung des Bundestages zu und wenn ja, wie setzen Sie sich aktiv dafür ein?

Mit freundlichem Gruß
Arndt

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SPD

Sehr geehrte Frau Arndt,

Vielen Dank für Ihre Nachricht. Das aktuelle System des Ausgleichs von Überhangmandaten mit weiteren Mandaten sorgt seit einigen Legislaturperioden für einen größeren Bundestag. Grund dafür ist die Zersplitterung der Parteienlandschaft und die daraus resultierende größere Zahl der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Das deutsche Wahlsystem, das im Wesentlichen seit 1956 unverändert besteht, wurde seinerzeit unter ganz anderen Bedingungen entwickelt. Es braucht unter den neuen Bedingungen aber ein Wahlsystem, das mit einer sich verändernden Parteienlandschaft gut zurechtkommt, also immer annähernd gleich viele Mandate „produziert“. Eine größere Kontinuität bezüglich der Parlamentsgröße wäre der Arbeitsfähigkeit des Bundestages sicherlich zuträglich. Daneben gibt es jedoch weitere Kriterien, nach denen ein Wahlsystem bewertet werden sollte.

Dazu gehört etwa die Repräsentationsdichte von Bürgern durch Abgeordnete im Bundesgebiet, also jener Anzahl von Wählerinnen und Wählern, die durch eine Abgeordnete vertreten werden. Dieses Verhältnis liegt in Deutschland aktuell bei etwa 138.000 Wählern pro Abgeordneten. Zum Vergleich: Im US-Repräsentantenhaus kommen für den Bundesstaat Montana auf einen Abgeordneten 967.440 Einwohner. Der Zugang zu amerikanischen Abgeordneten ist auch deshalb deutlich „exklusiver“ als das in Deutschland der Fall ist. Eine Verringerung der Wahlkreise – das ist Teil der Oppositionsvorschläge – würde nicht nur die Zahl der Überhangmandate verringern, sondern auch die Zahl der Abgeordneten insgesamt. Damit ginge aber eine geringere Repräsentationsdichte einher. Das es in Deutschland möglich ist, die Abgeordneten des Bundestages relativ unkompliziert und in Wohnnähe zu treffen ist aber eine klare Stärke unseres aktuellen Systems. Die Erreichbarkeit der Abgeordneten durch Wähler würde durch eine Senkung der Wahlkreise oder Kappung der Mandatszahl dagegen erschwert. Und leider gibt es schon jetzt, besonders im ländlichen Raum, auch in Deutschland Wahlkreise deren Fläche so groß ist, dass Bürgernähe zu einer immer größeren Herausforderung wird. Für sich genommene erscheint mir eine solche Maßnahme daher zunächst einmal nicht förderlich, wenn die Qualität der politischen Vertretung im Mittelpunkt steht und nicht allein die Größe des Parlaments.

Eine Distanzierung zwischen Wählern und Gewählten kann im Übrigen auch durch ein allzu komplexes Wahlrecht entstehen. Deshalb wäre nicht nur eine Änderung des Wahlsystems wünschenswert, sondern auch dessen Vereinfachung. Für viele Wählerinnen und Wähler ist schließlich bereits heute nicht mehr ohne weiteres nachvollziehbar, wie sich ihre Stimme auf die Zusammensetzung des Bundestages auswirkt. Die Komplexität nimmt durch weitere Verrechnungsschritte von Wählerstimmen oder zusätzlich Grenzziehung bei Mandatszuteilungen natürlich nicht ab, sondern zu. Das kann aber nicht das Ziel einer Wahlrechtsreform sein. Diese Aspekte finden sich in der aktuellen Debatte nicht wieder, dabei sind sie von großer Bedeutung, denn die Qualität des deutschen Parlamentarismus bemisst sich nicht alleine an der Zahl der hier vertretenen Abgeordneten, sondern auch an der Verständlichkeit der Prozesse oder eben der Erreichbarkeit der Abgeordneten durch die Wähler.

Da sich Mehrheiten zur Veränderung des Wahlsystems nur schwer finden lassen, sollten der aktuelle Wille aller Fraktionen zur Veränderung des Wahlrechts als „Gunst der Stunde“ genutzt werden, um grundsätzlichere Reformen anzugehen und damit weitere Verbesserungen vorzunehmen. Daher plädiere ich für einen breiteren Diskurs, der seinen Blick nicht nur auf die Größe des Bundestages beschränkt, sondern die Qualität der Vertretung der Bürgerinnen und Bürger insgesamt verbessern will. Eine Qualitätssteigerung erreichen wir nämlich dann, wenn die Abgeordneten des Bundestages besser erreichbar sind oder das Wahlrecht einfacher und nachvollziehbarer wird.

Abschließend möchte ich betonen, dass es mit einiger Schwierigkeit verbunden ist, sich dem Vorschlag einer Fraktion anzuschließen und für sich zu beanspruchen, man stimme damit für eine Verkleinerung des Bundestages. Das Wahlrecht sollte im Konsens und mit großer parlamentarischer Mehrheit geändert werden. Die Vorschläge der einzelnen Fraktionen liegen aber so weit auseinander, dass eine Einigung in der verbleibenden Legislaturperiode höchst unwahrscheinlich ist. Das Verharren auf den eigenen Positionen führt in dieser Situation aber eben nicht zur Verringerung der Zahl der Bundestagsabgeordneten, sondern schlicht dazu, dass es gar kein neues Wahlrecht geben wird. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Debatte über ein neues Wahlrecht im Sande verläuft. Im Gegenteil. Die Debatte muss vorangetrieben werden, damit wir, vielleicht nicht mehr in dieser, aber spätestens in der nächsten Legislaturperiode zu einem Ergebnis kommen.

Mit freundlichen Grüßen
Sarah Ryglewski

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