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Ralf Stegner
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Frage von Thomas H. •

Sind Ihrer Meinung nach vor dem Jahr 2022 alle berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands seitens des Westens berücksichtigt worden?

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Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für Ihre Frage.

Aus meiner Sicht wurden die sicherheitspolitischen Interessen Russlands vom Westen über viele Jahre hinweg ernst genommen und in vielfältiger Weise berücksichtigt. Über Jahrzehnte hinweg gab es zahlreiche diplomatische Initiativen und Kooperationsangebote mit dem Ziel, stabile und konstruktive Beziehungen zu Russland aufzubauen – auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher politischer Systeme und Werteordnungen. Die NATO-Russland-Grundakte von 1997 etwa legte den Grundstein für eine besondere Partnerschaft und sah regelmäßige Konsultationen zu sicherheitspolitischen Fragen vor. Auch die Einrichtung des NATO-Russland-Rats sowie der Dialog im Rahmen der OSZE unterstreichen, dass Russland in multilaterale Strukturen eingebunden war – nicht isoliert. Darüber hinaus war Russland wirtschaftlich und politisch eng verflochten: Es bestanden umfassende Energiepartnerschaften und Handelsbeziehungen, die unter anderem zur starken energiepolitischen Abhängigkeit insbesondere in Europa führten. Hinzu kam eine breite Zusammenarbeit in den Bereichen Wissenschaft, Kultur und Bildung. Russland war bis 2014 Mitglied der G8 und damit Teil der zentralen internationalen Gesprächsformate.

Ein Wendepunkt war die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014. Mit der militärischen Besetzung wurde die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine verletzt – entgegen der UN-Charta, der Schlussakte von Helsinki und der Budapester Erklärung. Das unter russischer Kontrolle durchgeführte „Referendum“ ist international nicht anerkannt und kann keine legitime Grundlage für eine Grenzverschiebung in Europa sein. Die Annexion markierte einen klaren Bruch mit der europäischen Friedensordnung und hat das Vertrauen in die Sicherheitsarchitektur nachhaltig erschüttert. Trotz dieser schwerwiegenden Entwicklung blieb der Westen im Dialog: Die Umsetzung des Minsker Abkommens war ein Versuch, eine politische Lösung für den Konflikt in der Ostukraine zu finden.

Dass Russland Entwicklungen wie die NATO-Osterweiterung missfiel, ist nachvollziehbar – aber: Diese Erweiterungen erfolgten stets auf den eigenen Wunsch souveräner Staaten, die sich demokratisch und aus nationalen Sicherheitsinteressen für den Beitritt entschieden haben. Kein Land – auch Russland nicht – hat ein Vetorecht über die außenpolitische Ausrichtung seiner Nachbarn. Sicherheit in Europa bedeutet nicht, Einflusssphären mit Gewalt durchzusetzen. Die These, Russland sei systematisch übergangen worden, hält einer nüchternen Analyse nicht stand und ist schlichtweg die Propaganda des Kriegsverbrechers Putin. Die Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 war ein eklatanter Bruch des Völkerrechts, ist durch nichts zu rechtfertigen und verursacht tagtäglich nichts außer Leid und Tod. Wer militärische Mittel einsetzt, um politische Ziele zu erreichen, stellt sich selbst außerhalb der internationalen Ordnung.

Mit freundlichen Grüßen

Ralf Stegner

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