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Paul Lehrieder
CSU
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Frage von Peter T. •

Frage an Paul Lehrieder von Peter T. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Lehrieder,

mit zunehmender Sorge verfolge ich die Entwicklungen im Bereich der Inneren Sicherheit. Immer mehr Maßnahmen werden von Bundesinnenminister Schäuble und anderen in die Politik gebracht und durchgesetzt.

Ich fühle mich persönlich durch die immer weitergehenden Freiheitseingriffe in eine unangenehme Lage gebracht, in der ich nicht beurteilen kann, wie frei das Leben in Deutschland künftig sein wird. Ich möchte nicht, dass irgendjemand befugt ist, verdachtsunabhängig meine Telekommunikationsdaten zu speichern, mich beim Verlassen meines Hauses neben der Bushaltestelle zu filmen und sämtlichen Datenverkehr, den ich am Internetknoten meines Internetanbieters produziere, nach irgendwelchen Kriterien zu durchsuchen! Ich will nicht, dass irgendjemand meine Wohnung überwachen und dabei sogar den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung abhören/filmen darf (vgl. 1. Artikel), nur weil ich eventuell Besuch von einem Terrorverdächtigen bekomme -- wovon ich vielleicht gar nichts weiß!

Lesen Sie bitte einmal nach:
1. http://www.sueddeutsche.de/,tt2m1/deutschland/artikel/457/169962/
2. http://www.heise.de/newsticker/Bericht-Verfassungsschutz-will-Internet-Knoten-abhoeren--/meldung/106404
3. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,548190,00.html

Wo sind wir gelandet? Wem nützt das?

Wie viele Leute sind in den vergangenen Jahren in Deutschland durch Terror zu Schaden gekommen?
Wie viele Leute sind in letzter Zeit in Deutschland durch innenpolitische Maßnahmen in Angst versetzt worden?

Ob ich tatsächlich überwacht werde oder nicht, ist unerheblich -- allein die Möglichkeit darf nicht sein. Ich weiß nicht, ob Sie mir glauben -- ich habe Angst um meine Freiheit, und Angst um unseren Staat! Wachen Sie auf -- und auch an andere Leser: Wachen Sie auf!

Ich bin ratlos und beinahe resigniert -- und gespannt auf Ihre Antwort.

Mit freundlichen Grüßen nach Berlin.

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Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr Thomassen,

für Ihre E-Mail vom 19. April dieses Jahres danke ich Ihnen sehr herzlich. Sie äußern darin Ihre Besorgnis über die aktuellen politischen Entwicklung zum Thema Innere Sicherheit, u. a. zur Vorratsdatenspeicherung.

Die Rechtspolitik bewegt sich im Bereich der Telekommunikationsüberwachung in einem Spannungsfeld. Dem Grundrechtsschutz der Bürger steht die ebenfalls verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung gegenüber. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des staatlichen Gemeinwesens hervorgehoben. Grundrechtsschutz der Bürger und Strafverfolgungsinteresse des Staates müssen deshalb in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden. Ermittlungsinstrumente sollten deshalb aus Sicht der CSU-Landes-gruppe im Deutschen Bundestag nicht weiter beschränkt werden, als dies verfassungsrechtlich geboten ist.

Die so genannte Vorratsdatenspeicherung ist ein solches Ermittlungsinstrument, das für die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten unabdingbar ist. In der Diskussion hierüber wird bedauerlicherweise vielfach übersehen, dass bereits nach der gegenwärtigen Rechtslage Telekommunikationsunternehmen Verbindungsdaten (Verkehrsdaten) zu Abrechnungszwecken speichern dürfen. Gesprächsinhalte dürfen in diesem Zusammenhang bislang und auch künftig nicht gespeichert werden. Über diese Daten haben die Telekommunikationsunternehmen nach den Vorschriften der Strafprozessordnung den Strafverfolgungsbehörden Auskunft zu erteilen, wenn es um die Verfolgung schwerer Straftaten oder von Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen wurden, geht. Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft ist an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u.a. konkreter, durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht, keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung, Richtervorbehalt) geknüpft.

Das Instrument der Verbindungsdatenabfrage hat sich in der Vergangenheit als unverzichtbar bei der Bekämpfung und Aufdeckung schwerer Kriminalität erwiesen. Mit der stetigen Zunahme so genannter "Flatrate-Tarife", bei denen eine Speicherung von Verbindungsdaten zu Abrechnungszwecken durch die Telekommunikationsunternehmen nicht mehr erforderlich ist, drohte es mehr und mehr seine Wirksamkeit zu verlieren. Die Möglichkeit, alleine durch Nutzung solcher Flatrate-Tarife Strafverfolgungsmaßnahmen zu erschweren oder zu vereiteln, dürfte insbesondere der organisierten Kriminalität nicht verborgen geblieben sein. Bereits deshalb war es erforderlich, eine entsprechende Speicherungsverpflichtung der Telekommunikationsunternehmen gesetzlich festzulegen, unabhängig davon, ob diese Daten zu Abrechnungszwecken benötigt werden. Die bisherigen gesetzlichen Schutzvorkehrungen sind dabei uneingeschränkt beibehalten worden.

Nicht zuletzt diese Erwägungen haben die Bundesregierung bewogen, der Richtlinie Nr. 2006/24/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, zuzustimmen. Die Bundesregierung hat dies mit Unterstützung des Deutschen Bundestages getan. In dem Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD vom 07. Februar 2006, der mit der Mehrheit der Stimmen des Deutschen Bundestages angenommen wurde, wurde die Bundesregierung aufgefordert, dem Text der Richtlinie bei der abschließenden Befassung des Rates der Europäischen Union zuzustimmen. Auch der Deutsche Bundestag hat in diesem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Zugriff auf Telekommunikationsverkehrsdaten insbesondere bei Straftaten mit komplexen Täterstrukturen, wie sie für den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität kennzeichnend sind, und bei mittels Telekommunikation begangenen Straftaten unverzichtbar ist.

Dem Deutschen Bundestag war dabei bewusst, dass das hierfür gewählte Instrument der Richtlinie möglicherweise nicht ganz frei von kompetenzrechtlichen Risiken ist. Er hat sich dennoch dafür ausgesprochen, weil es sich insoweit um einen Kompromiss der EU-Mitgliedstaaten gehandelt hat (das Instrument des Rahmenbeschlusses war innerhalb der EU-Mitgliedstaaten nicht mehrheitsfähig) und es jedenfalls gelungen ist, in der Richtlinie Regelungen mit Augenmaß (z.B. keine Speicherung von Gesprächsinhalten, Beschränkung der Speicherungsfrist auf 6 Monate, Datenabfrage nur bei Verdacht erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten) zu erreichen. Nur deshalb, weil die Bundesregierung diesen Weg der Richtlinie mitgetragen hat, hatte sie die Möglichkeit, diese Kautelen im Text der Richtlinie zu verankern.

Mit dem Gesetz zur Umsetzung dieser EU-Richtlinie werden die oben genannten Vorgaben des Deutschen Bundestages vom 07. Februar 2006, mit denen sowohl dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung als auch dem Schutz der Grundrechte in ausgewogener Weise Rechnung getragen wird, eingehalten: Von den Telekommunikationsunternehmen dürfen nur die Verkehrsdaten gespeichert werden. Die Speicherungsfrist ist auf 6 Monate begrenzt und liegt damit am untersten Ende des durch die Richtlinie eröffneten Handlungsspielraums. Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft über die Verkehrsdaten ist nach wie vor an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u.a. konkreter, durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder einer Straftat, die mittels Telekommunikation begangen wurde; keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung; Richtervorbehalt) geknüpft.

Eine anderweitige Verwendung dieser Daten ist nur zu Zwecken der Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit möglich, wenn dies gesetzlich unter Beachtung der Verwendungsbeschränkungen im Telekommunikationsgesetz festgelegt ist. Eine Verwendung beispielsweise zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche ist nicht zulässig.

Mit freundlichen Grüßen

Paul Lehrieder MdB

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