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Nadja Sthamer
SPD
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Frage von Anneke S. •

Sie stimmten nicht für die Impfpflicht. Was werden Sie tun, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern? Wie werden Sie vulnerable Mitmenschen schützen, alte, immungeschwächte?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau S., 

vielen Dank für Ihre Frage, ich möchte zu Beginn eine Kleinigkeit korrigieren: Ich habe nicht gegen die Impfpflicht gestimmt, ich befürworte eine Impfpflicht ab 18 Jahren, ich habe mich enthalten. Letztendlich fand kein Antrag für eine Impfpflicht die parlamentarische Mehrheit.

Ich habe mich bereits früh für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren ausgesprochen. Die dazugehörige parlamentarische Initiative hatte auch mit Abstand die meisten Unterstützungsunterschriften für das Verfahren. Hätten sich die CDU  und CSU aus parteitaktischen Gründen gestern nicht quergestellt, hätten wir einen solidarischen und gesellschaftspolitisch einenden Weg aus der Pandemie beschließen können.  Wir stehen im kommenden Herbst voraussichtlich wieder vor harten Entscheidungen, da wir weiterhin eine niedrige Impfquote haben. Rund 50 Prozent der Bevölkerung haben eine Booster-Impfung. Das ist viel zu wenig. Die Lockerungen, welche wir gerade erleben, sind wohltuend. Dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir weiterhin überlastete Klinken haben. Die letzten Wochen hatten wir täglich neue Höchststände bei den Infektionszahlen und Toten zu verzeichnen. Eine allgemeine Impfpflicht für den älteren Teil der Bevölkerung wäre zwar medizinisch vertretbar, jedoch nicht gesellschaftspolitisch. 
Für mich gilt weiterhin: bitte lasst euch impfen und tragt eine Maske! Die Pandemie ist noch nicht vorbei.
Die vorgelegten Kompromisslösungen sind unter hartem Ringen entstanden. Das verdient meinen Respekt. Allerdings ist das abgestimmte Ergebnis für mich am Ende nicht ausreichend. Eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren wäre ein rechtssicherer und solidarischer Akt zur Überwindung der Pandemie, für den Eigen- u. Fremdschutz gewesen. So haben wir viele neue Fragen und kein Ergebnis.

Konkret zu Ihrer Frage bezüglich der Überlastung des Gesundheitssystems. Die kommenden Wochen werden wir in der Fraktion gemeinsam mit unserem Gesundheitsminister und Arzt Karl Lauterbach nutzen, um das Gesundheitssystem nach den Jahren der Entbehrungen zu stärken. Als Lehre aus der Pandemie bedarf es eines gestärkten Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD), der im Zusammenspiel zwischen Bund, Ländern und Kommunen sichergestellt wird. Wir verlängern beim Pakt für den ÖGD die Einstellungsfristen und appellieren an die Sozialpartner, einen eigenständigen Tarifvertrag zu schaffen. Auf der Grundlage des Zwischenberichts stellen wir die notwendigen Mittel für einen dauerhaft funktionsfähigen ÖGD bereit. Mit einem Gesundheitssicherstellungsgesetz stellen wir insbesondere die effiziente und dezentrale Bevorratung von Arzneimittel- und Medizinprodukten sowie regelmäßige Ernstfallübungen für das Personal für Gesundheitskrisen sicher. Zur weiteren Erforschung und Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung rund um die Langzeitfolgen von Covid19 sowie für das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) schaffen wir ein deutschlandweites Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht in einem Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit am Bundesministerium für Gesundheit auf, in dem die Aktivitäten im Public-Health Bereich, die Vernetzung des ÖGD und die Gesundheitskommunikation des Bundes angesiedelt sind. Das RKI soll in seiner wissenschaftlichen Arbeit weisungsungebunden sein.

Um die Ambulantisierung bislang unnötig stationär erbrachter Leistungen zu fördern, setzen wir zügig für geeignete Leistungen eine sektorengleiche Vergütung durch sogenannte Hybrid-DRG um. Durch den Ausbau multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren stellen wir eine wohnortnahe, bedarfsgerechte, ambulante und kurzstationäre Versorgung sicher und fördern diese durch spezifische Vergütungsstrukturen. Zudem erhöhen wir die Attraktivität von bevölkerungsbezogenen Versorgungsverträgen (Gesundheitsregionen) und weiten den gesetzlichen Spielraum für Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern aus, um innovative Versorgungsformen zu stärken. In besonders benachteiligten Kommunen und Stadtteilen (5 Prozent) errichten wir niedrigschwellige Beratungsangebote (z.B. Gesundheitskioske) für Behandlung und Prävention. Im ländlichen Raum bauen wir Angebote durch Gemeindeschwestern und Gesundheitslotsen aus. Die ambulante Bedarfs und stationäre Krankenhausplanung entwickeln wir gemeinsam mit den Ländern zu einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung weiter. Die Notfallversorgung soll in integrierten Notfallzentren in enger Zusammenarbeit zwischen den kassenärztlichen Vereinigungen (KV) und den Krankenhäusern (KH) erfolgen. Wir räumen den KVen die Option ein, die ambulante Notfallversorgung dort selbst sicherzustellen oder diese Verantwortung in Absprache mit dem Land ganz oder teilweise auf die Betreiber zu übertragen. Durch eine Verschränkung der Rettungsleitstellen mit den KV-Leitstellen und standardisierten Einschätzungssystemen (telefonisch, telemedizinisch oder vor Ort) erreichen wir eine bedarfsgerechtere Steuerung. Wir nehmen das Rettungswesen als integrierten Leistungsbereich in das SGB V auf und regeln den Leistungsumfang der Bergrettung sowie die Verantwortung für Wasserrettung jenseits der Küstengewässer. Wir stellen gemeinsam mit den KVen die Versorgung in unterversorgten Regionen sicher. Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf. Die Gründung von kommunal getragenen Medizinischen Versorgungszentren und deren Zweigpraxen erleichtern wir und bauen bürokratische Hürden ab. Entscheidungen des Zulassungsausschusses müssen künftig durch die zuständige Landesbehörde bestätigt werden. Die Arzneimittelversorgung durch Apotheken an integrierten Notfallzentren in unterversorgten Gebieten verbessern wir durch flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung. Wir entwickeln den Nacht- und Notdienstfonds zu einem Sicherstellungsfonds weiter und schaffen eine Verordnungsfähigkeit für Notfallbotendienste in der ambulanten Notfallversorgung. Wir novellieren das „Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“, um pharmazeutische Dienstleistungen besser zu honorieren und Effizienzgewinne innerhalb des Finanzierungssystems zu nutzen.

Um es abzukürzen: Wir haben eine lange Aufgabenliste, welche wir nach dem jahrelangen Missmanagement des CDU geführten Gesundheitsministeriums zügig abarbeiten werden.
Dazu gehört auch:
- Krankenhausplanung und -finanzierung verbessern
- Rechte von Patientinnen und Patienten stärken
- Versorgung mit Arzneimitteln und Impfstoffen ausbauen
- Gesundheitsfinanzierung solidarisch gestallten

Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Bitte bachten Sie jedoch, Gesundheitspolitik ist nicht mein Kernthema, hier hilft Ihnen gerne meine Kollegin Heike Baehrens (https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/heike-baehrens) als gesundheitspolitische Sprecherin weiter.

Mit freundlichen Grüßen 
Nadja Sthamer

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