Michael Leutert
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Frage von Nico R. •

Frage an Michael Leutert von Nico R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Leutert,

ich habe vor kurzem erfahren, dass noch immer ein überproportionaler Großteil der Eliten in Deutschland westdeutscher Abstammung ist - selbst in Ostdeutschland(!) Ob in den hohen Ämtern von Bundeswehr, Polizei oder an Universitäten, sowie den Ministerämtern und in der Wirtschaft -überall sind Westdeutsche überrepräsentativ vertreten - und das 20 Jahre nach der Wiedervereinigung!

http://www.wdr.de/tv/monitor//sendungen/2010/0930/elite.php5
http://sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2586933

Gleichzeitig gibt es heutzutage oftmals eine Frauenquote, man spricht im öffentlichen Diskurs sogar schon über eine Migrantenquote - aber was ist mit den ganzen Ost-Deutschen?

Nun würde ich von Ihnen, wo Sie ja auch ein Sachse sind, gerne wissen, was Sie von diesem Problem halten, und ob Sie sich für eine Anpassung stark machen wollen/können?

Mit den besten Grüßen,

Nico Rudolph

Michael Leutert
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Rudolph,

bitte entschuldigen Sie zunächst die späte Antwort. Die über Abgeordnetenwatch gestellten Fragen wurden an eine zwischenzeitlich veraltete Mailadresse weitergeleitet, wie mir erst vor kurzem auffiel.

Zu Ihrer Frage: Sie benennen das Problem sehr genau: Es gibt - in Deutschland insgesamt, aber vor allen auch in Ostdeutschland selbst - viel zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen. Dieser Mangel zieht sich durch verschiedene gesellschaftliche Bereiche.
Bespielsweise stammt in keinem der 30 deutschen DAX-Unternehmen ein Vorstandsmitglied aus dem Osten. Und nur 30 Prozent aller Führungsposten in Ostdeutschland selbst sind von Ostdeutschen besetzt. Das betrifft auch Hochschulen oder die Verwaltung.
Die Ursachen dafür liegen in der Art, in der die deutsche Einheit vollzogen wurde. Auf dem Gebiet der Wirtschaft muss man es nicht groß erklären, wenn man weiß, dass es keine eigenständige ostdeutsche Wirtschaft mehr gab, weil selbst markt- oder sanierungsfähige Unternehmen von der Treuhand zerschlagen beziehungsweise verkauft wurden. Aber auch auf politischer, administrativer, wissenschaftlicher und kultureller Ebene wurden damals bewusst Westdeutsche auf Spitzenpositionen in Ostdeutschland gesetzt. So hatte jedes ostdeutsche Bundesland ein Partnerland in Westdeutschland, mit dem sogenannte „Verwaltungshilfeverträge“ geschlossen wurden, um die ostdeutsche Verwaltung an die westdeutsche anzugleichen. Damit einher ging ein massiver Transfer von westdeutschen Personal in Spitzen- und mittlere Positionen in Ostdeutschland. Nicht unerwähnt bleiben sollte in diesem Zusammenhang schließlich auch ein weit verbreitetes Misstrauen in Westdeutschland gegenüber Ostdeutschen in Spitzenpositionen. Völlig unabhängig von der Frage, was man damals anders hätte machen können und sollen, sind die Folgen jener doppelten Dominanz in Führungspositionen - auf dem Gebiet der Wirtschaft und dem der Verwaltung und Politik - bis heute zu spüren.
Den Vorschlag einer Quote für Ostdeutsche finde ich deshalb richtig. Jene würde nicht nur das quantitative Problem relativieren, sondern meines Erachtens auch zu anderen Sichtweisen auf und anderen Lösungen für die Probleme in Ostdeutschland führen, da ostdeutsche Führungskräfte ihre spezifisch ostdeutschen Erfahrungen und Problemlösungskompetenzen einbringen können. Eine ´Ossi-Quote´ kann die grundsätzlichen Probleme der ostdeutschen Bundesländer aber nicht alleine lösen. Es geht nicht nur um Führungspositionen. Die ´nachholende Entwicklung´ nach westdeutschem Vorbild hat in 22 Jahren weder zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse, noch zu einer wirtschaftlichen Angleichung geführt. Der wirtschaftliche Aufholprozess ging 2011 im Vergleich zum Vorjahr sogar wieder zurück, wie der diesjährige Bericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit belegt ( www.heute.de/ZDF/zdfportal/web/heute-Nachrichten/4672/24504018/2073df/Einigkeit-und-Recht-und-Ungleichheit.html ). Die ostdeutschen Bundesländer brauchen endlich einen selbsttragenden und nachhaltigen Aufschwung Ost.
Die Linke hat bereits 2009 das ´Leitbild Ostdeutschland 2010´ ( www.michael-leutert.de/article/399.leitbild-ostdeutschland-2020.html ) vorgelegt, das meines Erachtens eine differenzierte Analyse mit fundierter Kritik und konkreten Vorschlägen für eine nachhaltige Entwicklung Ostdeutschlands verbindet. Mich würde Ihre Meinung dazu genauso interessieren, wie zu dem aktuellen Projekt ´Plan B´ der Linken für einen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft ( www.plan-b-mitmachen.de ), das Anknüpfungspunkte gerade auch für die Vorschläge des ´Leitbilds´ bietet und in dessen Rahmen wir zur Debatte einladen.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Leutert