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Marcus Optendrenk
CDU
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Frage von Hansbernd S. •

Warum werden Unternehmenssteuern und Steuerschulden aus Cum-Ex „Geschäften“ mit geschätzten 12 Mrd. Euro und Cum-Cum „Geschäften“ mit geschätzten 30 Mrd. Euro Schaden, nicht konsequenter eingetrieben?

Sehr geehrter Herr Optendrenk,

Laut kürzlicher Aussage des Bundeskanzlers können wir uns aus den in unserer Wirtschaft erwirtschafteten Erträgen den "Sozialstaat" in derzeitigem Umfang nicht mehr leisten.

Anscheinend können wir es uns andererseits jedoch durchaus leisten, Steuern nicht konsequent einzutreiben (siehe auch in „FINANZPRAXIS“: Steuerhinterziehung: Zahl der Betriebsprüfungen geht seit Jahren zurück - das bringt Probleme mit sich | Online-Magazin zu den Themen Finanzen, Marketing-, Vertrieb- & Investment-Tipps") und dadurch auf schätzungsweise 100 (in Worten: HUNDERT) Milliarden Euro jährlich zu "verzichten".

Vermutlich in stetigem Bestreben um mehr "Steuergerechtigkeit" werden andererseits Heerscharen von gut bezahlten Beamten damit „beschäftigt“, die Steuererklärungen von Rentnern und abhängig Beschäftigten akribisch zu „prüfen“ sowie „Verstösse“ konsequent – oftmals sogar unter Vernachlässigung ökonomischer Grundsätze - zu verfolgen.

Was stimmt hier nicht...???

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr S.,

 

herzlichen Dank für Ihre Anfrage vom 3. September 2025 per abgeordnetenwatch.de. 

 

Steuergerechtigkeit ist ein Grundpfeiler der staatlichen Ordnung. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugt sind, dass es bei der Besteuerung gerecht zugeht, sind sie auch bereit, ihren Teil beizutragen. Deshalb ist es mir als nordrhein-westfälischer Finanz­minister ein besonderes Anliegen, die „schwarzen Schafe“ ausfindig zu machen und unser Gemeinwesen wirksam zu schützen. Allein im Jahr 2023 brachten die Steuerfahndungen der Länder ein Steuermehrergebnis von ca. 2,5 Milliarden Euro. In Nordrhein-Westfalen waren es knapp 660 Millionen Euro, die durch 610 Fahnderinnen und Fahnder vereinnahmt werden konnten.

 

Es gilt, unser Land durch die Zerschlagung krimineller Strukturen für alle sicherer machen. Dabei fällt der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche eine Schlüsselrolle zu. Wir brauchen vernetztes Arbeiten, kurze Wege mit effektiven Abstimmungsprozessen, opti­male Schnittstellen über Ressort- und Landesgrenzen hinweg sowie modernste digitale Ermittlungsmethoden – dafür schaffen wir mit dem neuen Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität (LBF NRW) in Nordrhein-Westfalen die Grundlage. Hier sind die Sonder­einheiten mit überregionalem Bezug (die Task Force NRW gegen Terrorfinanzierung, Orga­nisierte Kriminalität und Geldwäsche, die Analyseeinheit Risikoorientierte Ermittlungen im Bereich der Steueraufsicht (ARES), die Zentralstelle zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung (ZEUS), sowie die Zentrale Ermittlungs- und Koordinierungsstelle XPIDER NRW (ZEKoX), Cum-Ex) gebündelt und neue Einheiten für Geldwäschebekämpfung und für fahndungs­spezifische IT-Themen geschaffen worden. Auch die ehemals zehn selbständigen Finanz­ämter für Strafsachen sind organisatorisch integriert, führen als regionale Niederlassung aber ihre wichtige Ermittlungsarbeit vor Ort fort.

 

Der Aufbau des LBF NRW wurde zum Jahresbeginn 2025 abgeschlossen. Damit hat Nord­rhein-Westfalen nicht nur die bundeweit größte Steuerfahndung, mit dem LBF NRW haben wir auch eine moderne, schlagkräftige Einheit geschaffen, die grenzüberschreitend agiert und hochkomplexe Fälle gezielt verfolgt. Die im Länderverbund bislang einzigartige Heran­gehensweise führt zu deutlich kürzeren Wegen, effektiveren Abstimmungsprozessen, einer Bündelung von Wissen und Ressourcen sowie deren landesweiter Lenkung. Dies vereinfacht die Ermittlungen und ermöglicht insbesondere auch die schnellere Fortentwicklung foren­sischer Ermittlungsarbeit sowie die Prüfung und den Einsatz neuer digitaler Ermittlungs­methoden, wie z.B. den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.

 

Steuergerechtigkeit erschöpft sich aber nicht nur darin, die „schwarzen Schafe“ ausfindig zu machen; es gilt, die geltenden Steuergesetze gegenüber den Steuerpflichtigen gleicher­maßen durchzusetzen. Deshalb werden Unternehmen regelmäßig einer Prüfung unterzogen. Laut einer Statistik des Bundesfinanzministeriums wurden im Jahr 2023 mehr als 146.000 Betriebe durch die Betriebsprüfer im Bundesgebiet geprüft. Dies entspricht einer Prüfungs­quote über alle von 1,7 Prozent. Je größer das Unternehmen, desto höher ist der Anteil der Prüfungen: Bei Großunternehmen lag die Quote bei 17,8 Prozent, bei mittelgroßen Betrieben noch bei 4,5 Prozent und bei Kleinbetrieben bei 2,3 Prozent bzw. bei Kleinstbetrieben bei 0,7 Prozent. Damit existiert bei Großbetrieben eine fast nahtlose Prüfung alle fünf Jahre.

 

Im Jahr 2023 waren deutschlandweit 12.386 Betriebsprüferinnen und Betriebsprüfer der Finanzverwaltung im Einsatz. Das erzielte steuerliche Mehrergebnis der Prüfungen lag bei rund 12,9 Milliarden Euro. Davon entfielen allein 10,2 Milliarden Euro auf die Prüfung von Großbetrieben. 

 

In Nordrhein-Westfalen liegt der Fokus sogar noch ein wenig stärker auf den Großbetrieben: Die Prüfquote lag 2023 bei 19,0 Prozent (insgesamt bei 1,6 Prozent) bei Einnahmen von 2,2 Milliarden Euro (insgesamt 2,9 Milliarden Euro).

 

Hingegen wird bei der Prüfung der einfachen Steuererklärungen der Bürgerinnen und Bürger in den Festsetzungsfinanzämtern aufgrund der großen Fallzahlen zunehmend auf eine auto­mationsgestützte Bearbeitung gesetzt. Nur wenn das Programm Unstimmigkeiten erkennt, wird die entsprechende Steuererklärung herausgefiltert und einer Sachbearbeiterin oder einem Sachbearbeiter zur händischen Kontrolle vorgelegt. Das Land NRW erprobt ein Modul, das potentielle Risiken erkennen soll. Ziel ist es, bis zu 95 Prozent der einfachen Steuererklärungen automatisiert zu bearbeiten.

 

Seit Mai 2025 wird in vier Pilotfinanzämtern des Landes erstmals ein KI-Modul zur Unter­stützung der Steuerveranlagung eingesetzt. So sollen Steuererklärungen effizienter, schnel­ler und treffsicherer bearbeitet werden – zum Vorteil für Bürgerinnen und Bürger ebenso wie für die Beschäftigten in der Finanzverwaltung. Das neue KI-Modul ergänzt das bewährte Risikomanagementsystem der Finanzverwaltung. Es erkennt Muster in den Steuerdaten und kann gut nachvollziehbare Fälle mit geringem Prüfbedarf gezielt identifizieren. Diese werden automatisiert verarbeitet und damit schneller abgeschlossen. Zudem haben die Mitarbeiterin­nen und Mitarbeiter damit mehr Zeit für die komplexeren Fälle, die weiterhin händisch bear­beitet werden.

 

Gestatten Sie mir noch einige Bemerkungen zum Cum-Ex-Komplex: Zahlreiche Strafverfah­ren sind vor deutschen Gerichten anhängig. Inzwischen wurden auch einige Täter verurteilt, zum Teil zu hohen Haftstrafen bis zu acht Jahren. Gleichwohl ist dieser Skandal noch immer nicht vollständig strafrechtlich aufgearbeitet. Dies ist auch und gerade der hochkomplexen Materie und der internationalen Dimension geschuldet. Ich versichere Ihnen, dass das auch für mich als NRW-Finanzminister höchst unbefriedigend ist.

 

Laut einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (Bundestags-Drucksache 21/548 vom 19.Juni 2025) befinden sich auf Grundlage der letzten Abfrage zu den aufgegriffenen Cum/Ex-Verdachtsfällen zum 31. Dezember 2023 bei den obersten Finanzbehörden der Länder und beim Bundeszentralamt für Steuern insgesamt 380 Cum-Ex-Verdachtsfälle mit einem Volumen nicht anrechenbarer/erstatteter Kapitalertragsteuer inklusive Solidaritätszuschlag von rund 3,8 Milliarden Euro in Bearbeitung. 174 Fälle wurden bislang rechtskräftig abgeschlossen und Kapitalertragsteuer inklusive Solidaritätszuschlag in Höhe von ca. 3,1 Milliarden Euro zurückgefordert. Zu den aufgegriffenen Cum-Cum-Ver­dachtsfällen zum 31. Dezember 2023 befinden sich insgesamt 240 Cum-Cum-Verdachtsfälle mit einem Volumen an geprüften Anrechnungs- bzw. Erstattungssummen in Höhe von ca. 6,7 Milliarden Euro in Bearbeitung. Bei insgesamt 76 weiteren Fällen wurden bislang die Steuerverfahren rechtskräftig abgeschlossen und Kapitalertragsteuer in Höhe von ca. 205 Millionen Euro zurückgefordert bzw. nicht auf die Steuerschuld angerechnet.

 

Wie Sie sehen, ist die Herstellung von Steuergerechtigkeit für die Finanzverwaltung in Nord­rhein-Westfalen nicht nur ein Schlagwort. Wir arbeiten nach Kräften, Steuergerechtigkeit auf allen Ebenen herzustellen und gleichzeitig den Aufwand hierfür für die Verwaltung wie für die Bürgerinnen und Bürger möglichst gering zu halten. Gleichwohl, und auch das gehört zur Wahrheit, wird es auch künftig immer wieder Versuche der Steuerhinterziehung und des Steuerbetrugs geben. Wir werden deshalb nicht nachlassen, möglichst viele dieser Fälle aufzudecken und zu verfolgen.

 

Ihr

Marcus Optendrenk

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