Frage von Heike W. •

Wie stehen Sie zu Waffenlieferungen nach Israel? Wie sollte die Bundesregierung eine Zunahme antisemitischer Übergriffe verhindern? Wie stehen Sie zur beabsichtigten Einladung Netanjahus?

Wir sind eine Gruppe politisch interessierter Frauen, die sich regelmäßig zu aktuellen Themen austauschen.

Wir sind zunehmend beunruhigt über die Haltung der Bundesregierung zum Geschehen in Israel, dass mit dem Ziel die Hamas zu zerschlagen ein ganzes Volk vertrieben und vernichtet wird, die Siedlungspolitik brutal weitergeführt und kritische Stimmen und NGOs im Land bedroht und verfolgt werden. Die deutsche Staatsräson in Bezug auf den Staat Israel kann nicht bedeuten, eine rechtsradikale Regierung zu unterstützen und mit Waffen zu beliefern.

Auch in Deutschland werden kritisch-solidarische Stimmen zur Situation der Menschen in Gaza und der Westbank unterdrückt und behindert, obwohl unsere Verfassung das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert. Wenn einer kritischen Auseinandersetzung kein Raum geboten wird, dann fürchten wir eine weitere Zunahme antisemitischer Angriffe in Deutschland.

Es erschüttert uns, dass Friedrich Merz Ministerpräsident Netanjahu einladen möchte.

Portrait von Linda Heitmann
Antwort von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sehr geehrte Frau W., 

vielen Dank für Ihre Zuschrift und Ihr aufrichtiges Interesse an einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Situation in Israel und dem Nahen Osten sowie der Haltung der Bundesregierung dazu. Ihre Sorgen und kritischen Fragen nehme ich ernst und möchte auf die verschiedenen Aspekte Ihres Schreibens gerne eingehen.

Zunächst zur Zunahme antisemitischer Übergriffe in Deutschland:

Antisemitismus richtet sich gegen Jüdinnen*Juden – unabhängig davon, wie sie selbst zur Politik der israelischen Regierung stehen. Es ist daher wichtig, Antisemitismus in Deutschland nicht mit Kritik an der israelischen Regierung zu vermischen. Wer jüdische Einrichtungen angreift, Menschen mit Davidstern anpöbelt oder Synagogen bedroht, handelt antisemitisch – das ist keine politische Kritik. Solche Übergriffe sind durch nichts zu rechtfertigen und müssen mit aller Entschiedenheit bekämpft werden, unabhängig von Entwicklungen im Nahen Osten. Dazu setzen wir auf Bildungsarbeit. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht, dass wir weder von Law-and-Order-Rhetorik, noch der Forderung nach Abschiebung in diesem Zusammenhang etwas halten. Die Rechtslage ist tatsächlich eindeutig, dazu haben von uns geladene Sachverständige in einer Anhörung des Rechtsausschusses klar Stellung bezogen. Es gibt allerdings ein Anwendungsdefizit. Das begründet sich wiederum in mangelnder Ausbildung von Polizist*innen, Staatsanwaltschaften und Gerichten. Hier müssen wir nacharbeiten. Wir haben uns für eine Bildungsoffensive von Kindesbeinen, über Schulen und Universitäten bis hin zur Erwachsenbildung stark gemacht. Das wird auch weiterhin unser Weg sein. 

Zum Thema Waffenlieferungen an Israel:

Die Bundesregierung liefert Rüstungsgüter an Israel zur Selbstverteidigung – nicht für einen Angriffskrieg. Israel ist nach wie vor in einer hochbedrohlichen Lage: Die Hamas im Gazastreifen, die Hisbollah im Libanon, schiitische Milizen in Syrien und vor allem das iranische Regime stellen konkrete Bedrohungen für die Existenz Israels dar. Der Iran hat die Vernichtung Israels wiederholt offen angekündigt und unterstützt Terrorgruppen in der gesamten Region finanziell, logistisch und ideologisch. Waffenlieferungen dienen in diesem Kontext dem Schutz von Leben und der Abschreckung weiterer Angriffe, nicht der Eskalation.

Zur deutschen Staatsräson:

Die oft zitierte Formel, Israels Sicherheit gehöre zur deutschen Staatsräson, bedeutet nicht, dass Deutschland jede Handlung der jeweiligen israelischen Regierung gutheißen muss – und schon gar nicht, dass man automatisch eine in Teilen rechtsextreme Regierung politisch unterstützt. Israel ist eine Demokratie mit einer lebendigen Zivilgesellschaft, in der derzeit hunderttausende Menschen gegen die Politik Netanjahus demonstrieren. Unsere Solidarität gilt dem Staat Israel und seiner Bevölkerung, nicht exklusiv einer bestimmten Regierung. Das schließt Kritik an Missständen selbstverständlich mit ein. Kommt es zu Kriegsverbrechen durch die israelische Armee, dann adressieren wir das. Gleichermaßen sollte man in dieser Situation nicht den Kontext aus dem Auge verlieren. Dieser Krieg hat begonnen, weil die Hamas Israel überfallen, 1.200 Menschen ermordet, viele weitere Tausend verletzt und über 200 Menschen verschleppt hat. Diese Terrororganisation führt, wie auch die vielen Demonstrationen von Menschen im Gaza-Streifen verdeutlicht haben, diesen Krieg nicht zuletzt gegen die eigene Bevölkerung. Wir müssen mit den progressiven Kräften in Israel und den palästinensischen Gebieten solidarisch sein. 

Zur Meinungsfreiheit in Deutschland:

Die Behauptung, dass in Deutschland kritische Stimmen unterdrückt würden, muss ich zurückweisen. Es gibt eine lebendige, sehr kontroverse öffentliche Debatte über den Krieg in Gaza, über die israelische Regierung, über Waffenlieferungen und über Deutschlands Rolle. Kaum ein Land wird in deutschen Medien und Diskursen so offen und teils auch scharf kritisiert wie Israel. Veranstaltungen, Demonstrationen, Petitionen und Beiträge in etablierten Medien dokumentieren, dass Raum für Kritik durchaus vorhanden ist. Wo es Einschränkungen gibt – etwa im Fall antisemitischer Parolen oder Aufrufe zur Gewalt – greift das Strafrecht, nicht die Zensur. Das ist notwendig, um Jüdinnen*Juden zu schützen. Denn auch das haben die vergangenen Monate gezeigt: Im Kontext des Protests gegen die israelische Kriegsführung und der israelischen Regierung tauchen immer wieder Akteur*innen auf, die versuchen Gewalt gegen jüdische Communities zu schüren. Dem müssen wir uns klar entgegenstellen.

Mit freundlichen Grüßen

Linda Heitmann, MdB 

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