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Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Daniela G. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Daniela G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Göring-Eckhard,

neben vielen anderen Kriterien für meine Wahlentscheidung spielt es für mich eine Rolle, welche Einstellung die Politiker, denen ich meine Stimme gebe gegeüber dem Staat Israel haben. Da ich weiß, dass Sie eine überzeugte Christin sind, würde mich Ihre Antwort auf folgene Fragen sehr interessieren.

Frage 1
Wie bewerten Sie die Aussage: Deutschland hat aus der Geschichte heraus eine besondere Verantwortung gegenüber Israel?

Frage 2
Deutschland hat sich aus der sogenannten „Durban II“-Konferenz im April 2009 in Genf zurückgezogen – aus Sorge heraus, dass diese Konferenz zum Beispiel von Irans Präsident Achmadinedschad zu antisemitischer Hetze missbraucht werden könnte. Wie beurteilen Sie die Entscheidung Deutschlands?

Frage 3
Welche Maßnahmen ziehen Sie in Erwägung angesichts der potenziellen atomaren Bedrohung Israels durch den Iran und angesichts der Tatsache, dass Deutschland der wichtigste westliche Handelspartner des Irans ist?

Frage 4
Die Hamas strebt laut eigener Charta nach wie vor die Zerstörung Israels an, bekennt sich zum Terrorkampf gegen Israel und erkennt bestehende Verträge nicht an. Was ist Ihrer Meinung nach eine angemessene Strategie?

Frage 5
Zum Anliegen der Verbesserung der deutsch-israelischen Beziehungen: Welche Erfahrungen haben Sie persönlich gemacht? Welche Empfehlungen haben Sie – auch für das konkrete Engagement von Bürgern in Ihrem Wahlkreis?

Vielen Dank für die Beantwortung im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen
Daniela Gruß

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Gruß,

Danke für Ihre Email. Ich möchte Ihre Fragen wie folgt beantworten:

Frage 1
Wie bewerten Sie die Aussage: Deutschland hat aus der Geschichte heraus eine besondere Verantwortung gegenüber Israel?

Dieser Satz gilt für mich uneingeschränkt, er gehört zur Staatsräson Deutschlands. Ohne die Shoah wäre der Staat Israel nicht entstanden. Die Verbrechen des Nationalsozialismus prägen die deutsche Identität und bedeuten eine Verantwortung, die niemals ,loszuwerden´ ist. Sie werden und sollen immer in die deutsche Gegenwart hineinragen, weshalb auch die besondere Verantwortung Deutschlands für den jüdischen Staat Israel für immer gilt. Diese Verantwortung reicht aber noch weiter: Politik und Gesellschaft haben dafür Sorge zu tragen, dass der "Staffelstab der Erinnerung" (Paul Spiegel) an nachfolgende Generationen weitergegeben wird. Dieser Verantwortung hat sich Deutschland gerade heute neu zu stellen, da in naher Zukunft keine Überlebenden der Shoah und Zeitzeugen mehr unter uns sein werden.

Überhaupt ist unverdrossene Aufklärungsarbeit gefragt, vor allem wenn die Verbrechen des Nationalsozialismus geleugnet oder relativiert werden. Neben dem "traditionellen" primären Antisemitismus gilt es dabei, sich neuen Formen des Antisemitismus zu widersetzen. Ein sekundärer Antisemitismus, der sich insbesondere gegen den Staat Israel richtet, hat weltweit Konjunktur - nicht nur in der islamischen Welt. In der schulischen und außerschulischen Bildung gilt es deshalb Logik und Gefahren dieses sekundären Antisemitismus zu vermitteln. Aber auch zunächst harmlose klingende Argumentationsfiguren wie die Forderung einer besonderen moralischen Verantwortung von Juden (namentlich Israels) wegen der jüdischen Erfahrung der Shoah gilt es zu thematisieren und zu entlarven.

Frage 2
Deutschland hat sich aus der sogenannten "Durban II"-Konferenz im April 2009 in Genf zurückgezogen - aus Sorge heraus, dass diese Konferenz zum Beispiel von Irans Präsident Achmadinedschad zu antisemitischer Hetze missbraucht werden könnte. Wie beurteilen Sie die Entscheidung Deutschlands?

Ich hielt die Entscheidung der Bundesregierung, die Anti-Rassismus-Konferenz der Vereinten Nationen zu boykottieren für falsch. Es wäre wichtig gewesen, das eigene Gewicht in den Prozess um ein tragfähiges Abschlussdokument einbringen und antisemitischen Äußerungen vor Ort entschieden entgegen zu wirken. Den Menschenrechten, aber auch den Vereinten Nationen, hat die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung einer Nicht-Teilnahme an der Anti-Rassismus-Konferenz einen Bärendienst erwiesen. Menschenrechtspolitik war nie frei von Widersprüchen, doch gibt es keine Alternative, als sich mit diesen Widersprüchen offensiv auseinanderzusetzen. Eine Politik des Rückzuges und der leeren Stühle ist dabei am wenigsten effektiv.

Frage 3
Welche Maßnahmen ziehen Sie in Erwägung angesichts der potenziellen atomaren Bedrohung Israels durch den Iran und angesichts der Tatsache, dass Deutschland der wichtigste westliche Handelspartner des Irans ist?

Frage 4
Die Hamas strebt laut eigener Charta nach wie vor die Zerstörung Israels an, bekennt sich zum Terrorkampf gegen Israel und erkennt bestehende Verträge nicht an. Was ist Ihrer Meinung nach eine angemessene Strategie?

Erlauben Sie mir, auf die Fragen 3 und 4 gemeinsam zu antworten. Eine effektive Außenpolitik gegenüber dem Iran in der Atomfrage kann einzelne, gezielte Sanktionen beinhalten, wie z.B. die geltenden UN-Sanktionen, die darauf zielen, iranische Fortschritte im Atomprogramm zu verlangsamen bzw. zu verhindern. Sanktionen sind aber kein Allheilmittel - inwieweit umfassende Wirtschaftssanktionen den Iran zu einer Änderung seiner Atompolitik veranlassen können, ist höchst unklar. Zu befürchten sind bei einer Totalkonfrontation ohne Verhandlungen auch negative Folgen wie bei den Irak-Sanktionen 2003. So zum Beispiel der Verlust der Transparenz und des Wissens um den Stand des iranischen Atomprogramms mit der Folge eines möglichen militärischen Angriffs z.B. seitens Israels, das über eine militärische Lösung diskutiert. Wirtschaftliche Sanktionen und Handelsbeschränkungen machen nur da Sinn, wo sie die iranische Führung gezielt treffen. Iran hat als Mitglied des Nichtverbreitungsvertrags (NVV) das Recht auf zivile Nutzung der Atomenergie, aber auch die Pflicht, Zweifel an der ausschließlich friedlichen Nutzung auszuräumen. Wir unterstützen eine Kompromisslösung, die sicherstellt, dass das iranische Atomprogramm ausschließlich friedlich genutzt wird. Eine Möglichkeit wäre ein Kompromiss, wie ihn IAEO-Chef Baradei vorgeschlagen hat, nachdem sowohl die Sanktionen als auch das iranische Atomprogramm während der Verhandlungen "eingefroren" werden. Eine effektive Außenpolitik bedeutet auch die Einbindung und Beteiligung des Irans bei wichtigen regionalen Fragen wie der Stabilisierung Iraks oder Afghanistans/ Pakistans. Derzeit unterstützt Iran die Hisbollah im Libanon sowie Hamas in Palästina und Syrien sowie deren gewalttätige und terroristische Aktivitäten. Eine positive Veränderung in den Beziehungen mit Iran wird nur möglich sein, wenn eine Lösung der regionalen Konflikte vorangetrieben wird. Die israelischen Sorgen vor einer iranischen Atombombe sind sehr ernst zu nehmen. Eine Lösung wird nur durch Verhandlungen und mit diplomatischen Mitteln möglich sein. Deshalb halte ich den Ansatz von US-Präsident Obama, direkte Verhandlungen mit dem Iran in Betracht zu ziehen für unterstützenswert. Die Europäische Union und Deutschland verfügen bisher über bessere Beziehungen mit dem Iran als die USA: Sie müssen deshalb ihr Gewicht in die Waagschale werfen und zu einer gemeinsamen Politik gegenüber Iran einen eigenständigen Beitrag leisten.

Frage 5
Zum Anliegen der Verbesserung der deutsch-israelischen Beziehungen: Welche Erfahrungen haben Sie persönlich gemacht? Welche Empfehlungen haben Sie - auch für das konkrete Engagement von Bürgern in Ihrem Wahlkreis?

Zu erst einmal ist die besondere Verantwortung Deutschlands für den Staat Israel stets deutlich zu machen (siehe Antwort zu Frage 1). Auf der zwischenmenschlichen Ebene habe ich mit Israelinnen und Israelis die Erfahrung gemacht, dass ein offener Umgang, etwa indem man von der eigenen Familiengeschichte erzählt, dazu führen kann, dass sich die Beziehungen freundschaftlich vertiefen können. Gerade von der politisch Rechten wird einem ja einzureden versucht, dass es einen deutschen "Schuldkomplex" gebe. Hier werden Schuld und Verantwortung rhetorisch vermischt.

Persönlich habe ich oft genug erfahren, dass Israelis sich eine offene Auseinandersetzung mit ihrem deutschen Gegenüber wünschen, nie wurde ich mit Schuldvorwürfen konfrontiert. Empfehlungen möchte ich eigentlich nicht geben, denn jeder Mensch und jede Begegnung sind anders. Wie in jedem zwischenmenschlichen Kontakt ist es schön und wünschenswert, dass man sich unvoreingenommen, ohne Ressentiments und Vorurteile gegenübertritt.

Mit vielen Grüßen,

Katrin Göring-Eckardt

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