Frage an Joseph Fischer von Martin H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Knoll,
Fischer gehörte in der Studentenzeit der linksradikalen und maoistischen Gruppe "Revolutionärer Kampf" an. Ich nehme daher an, daß er selbst diese Ideologie zum Teil vertreten hat. Hat er sich von dieser Vergangenheit inzwischen deutlich distanziert?
Was das Waffenembargo und Fischers Haltung angeht, so hat er am 10.12.2003 nach einem Antrag der FDP zur Befragung der Bundesregierung bzgl. des EU-Waffenembargos die Haltung der Bundesregierung, die auch er vertritt, wie er betonte, dargestellt und die war: für eine Aufhebung des EU-Waffenembargos, wie Schröder dafür geworben hatte. Amnesty International wurde bei der Befragung am selben Tag aus der Süddeutschen zitiert, mit den Worten: "Die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung sei an einem Tiefpunkt angelangt", was Fischer nicht nachvollziehen wollte. Sie erinnern sich? Somit Danke ich Ihnen erstmal für den Hinweis, daß offensichtlich Fischer seine Meinung geändert hat. Ich darf also davon ausgehen - da Schröder ja weiter an der Aufhebung festhält - daß Fischer in Zukunft dieser Haltung des Kanzlers nicht mehr tolerieren wird? Wird das auch Basis von möglichen Koalitionsverhandlungen?
Die letzte Frage haben Sie leider nicht beantwortet: wird Joschka Fischer sich dafür einsetzen, Entwicklungshilfe nur an Länder zu vergeben, die die Menschenrechte einhalten? Daß China Entwicklungshilfe erhält, können Sie ja nicht abstreiten. Und daß die Zahlungen an Israel inzwischen nicht mehr "Entwicklungshilfe" heißen, ändert nichts daran, daß in anderer Form welche an den STAAT Israel vorhanden sind.Um genau zu sein: Die Gesamtleistungen deutscher Wiedergutmachung beliefen sich Ende 2000 auf rund 55 Mrd. EUR, davon entfallen ca. 40% auf Israel bzw. Empfänger in Israel.
MfG
Martin Hoffmann
Sehr geehrter Herr Hoffmann,
zur ersten Frage: Joschka Fischer gehörte der Gruppe "Revolutionärer Kampf" an, wie etwa auch der verstorbene Kabarettist Matthias Beltz, der Varieté-Chef Johnny Klinke, der grüne Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit und der FAZ-Leitartikler Thomas Schmid. Diese Gruppe war nicht maoistisch, das wird sie auch nicht, auch wenn Sie es noch mal behaupten. Stattdessen gehörte sie zum Feld der „Spontaneisten“, die sich von anderen K-Gruppen in etlichem unterschied. Ich zitiere mal aus dem Buch „Der Unvollendete – Das Leben des Joschka Fischer“ von Matthias Geis und Bernd Ulrich (Berlin 2002), was sich hinter den „Spontis“ ideologisch so verbarg: „Die K-Gruppen leiteten ihren Revolutionsanspruch gern aus der Tendenz des historischen Prozesses her und versuchten mit großer dogmatischer Strenge, den aktuellen Stand der Klassenkämpfer präzise zu fassen. Die Spontis hingegen nahmen es nicht so genau. Ihre theoretischen Hinterlassenschaften lesen sich eher wie Eruptionen eines Lebensgefühls, einer Wut auf alles, die „Scheißarbeit“, den „Scheißkonsum“, im Grunde „die ganze Scheiße“, die die gesellschaftliche Ordnung der Republik eben ausmacht. Statt des bieder-bierernsten Revolutionspathos und der Strenge der Marxisten-Leninisten demonstrierten die Spontis schon früh einen Unernst, eine Freude am Aktionismus mit subkultureller Einfärbung. Während sich die Dogmatiker wie spießige Streber im Dienste der Revolution gebärdeten, bewahrten die Spontis in ihrer Provokationslust und ihrem Hang zur überraschenden Volte etwas vom antiautoritären Erbe der 68er-Bewegung.“ (S.55)
Von dieser Vergangenheit hat sich Fischer deutlich distanziert, rückblickend nannte er das auch einen „ganzen Irrsinn“. Die Ereignisse des bundesdeutschen Terrorherbstes 1977 leiten bei ihm einen Erkenntnisprozess ein, den er selbst als "Illusionsverlust" und "Illusionsabschleif" kennzeichnet. Falls Sie in Fischers Frankfurter Zeiten und seine Aufarbeitung dieser Phase seines Lebens interessiert sind, dann empfehle ich Ihnen dringend die Lektüre des o.g. Buches. Zur zweiten Frage: Gerade in Zeiten, wo schon viele Sozialdemokraten nicht mehr an die Fortführung der rot-grünen Koalition glauben, tut es gut zu lesen, dass wenigstens Sie das noch tun. Und sollten wir von Bündnis 90/Die Grünen die SPD wie schon 2002 zur Regierung verhelfen, werden wir dieses Mal deutlich in den Koalitionsvertrag schreiben, was mit uns bezüglich der China-Politik geht und was nicht.
Zur dritten Frage: Unsere Entwicklungspolitik ist bestimmt vom Prinzip der Partnerschaftlichkeit. Länder müssen selbst klare Prioritäten definieren und Eigenverantwortung übernehmen. In der Afrikapolitik hat die besonders von Deutschland unterstützte Initiative für eine neue Partnerschaft für Afrika (NEPAD) Modellcharakter für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit gewonnen. Good Governance und damit die Einhaltung der Menschenrechte sind eine wesentliche Grundlage dieser Politik. Realpolitisch ist dies nicht so leicht durchzuhalten. Sie haben das Beispiel China ja bereits erwähnt. Deutschland hat eigene Interessen an einer Zusammenarbeit mit China. Für uns Grünen ist z.B. die Umweltpolitik eine wichtige Vorgabe. Gerade bei der Kooperation zur Lösung globaler Umweltprobleme ist eine Zusammenarbeit mit großen Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien unerlässlich. Dabei besteht oft auch ein direkter Zusammenhang zwischen Umwelterhaltung und Armutsbekämpfung. Um aber nicht menschenrechtspolitisch blind zu sein, unterstützen wir etwa den Deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialog. Um aber ehrlich zu sein, ist es uns sowohl in der China- als auch in der Russlandpolitik nicht gelungen, den Bundeskanzler von seinem überwiegend wirtschaftspolitischen Blickwinkel abzubringen und unsere menschenrechtlichen Kritikpunkte gegenüber diesen Ländern stärker zu äußern. Aber ich bin optimistisch, dass wir dies in einer neuen Regierungsauflage, an die Sie ja auch glauben, besser machen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Knoll
Wiss. Mitarbeiter Joschka Fischer MdB