Warum haben Sie den immensen Schulden - wie das sogenannte Sondervermögen eigentlich genannt werden müsste - zugestimmt und damit unseren nachfolgenden Generationen diese Last aufgebürdet?
Sehr geehrter Herr Lehmann,
ich kann Ihre und die Zustimmung der anderen CDU-Abgeordneten zum o. g. Thema nicht nachvollziehen. Weder hat sich innerhalb der Tage nach der Wahl die Weltsituation noch die im Land verändert, dass diese Eile geboten gewesen wäre und das bei einem so weitreichenden Thema. Abgeordnete sind Ihrem Gewissen und dem Wählerwillen verpflichtet, entscheiden aber mit Fraktionszwang. Für diese weitreichende Entscheidung wäre ausreichende Beschäftigung mit den Auswirkungen der Entscheidung so wichtig gewesen und diese hatten Sie nicht. Wenn die Befürchtung besteht, der neue Bundestag, der ja dem Wählerwillen entsprechend zusammengesetzt ist, anders entscheidet, dann hat das sicher Gründe und wenn es nur der Wählerwille wäre. Mir macht der Schuldenberg und die damit verbundene Kriegspropaganda (die ich nicht für voll nehme, aber andere evtl. schon) ein mehr als unsicheres Gefühl die Zukunft betreffend. Ihnen nicht?

Sehr geehrte Frau E.,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre kritischen Anmerkungen zu unserer Zustimmung zum sogenannten „Sondervermögen“ und zur damit verbundenen Lockerung der Schuldenbremse.
Ich kann Ihre Sorgen hinsichtlich der Verschuldung und der Verantwortung gegenüber kommenden Generationen gut nachvollziehen. Auch ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht – im Gegenteil: Als CDU-Abgeordneter, der sich immer für solide Staatsfinanzen eingesetzt hat, war dieser Schritt außergewöhnlich und bedurfte einer besonders gründlichen Abwägung.
Zunächst möchte ich klarstellen: Es handelt sich nicht um Schulden im klassischen Sinne für konsumtive Ausgaben, sondern um ein gezieltes, zweckgebundenes Sondervermögen – etwa zur Stärkung unserer Infrastruktur, zur digitalen Modernisierung und zur Sicherung unserer Verteidigungsfähigkeit. All diese Punkte sind nicht beliebig aufschiebbar, sondern drängend – nicht zuletzt auch aufgrund der veränderten geopolitischen Lage seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Sie sprechen die Schnelligkeit der Entscheidung an – auch das verstehe ich. Doch der Bedarf, entschlossen zu handeln, war real: Es ging darum, Deutschland und Europa in einer unsicheren Weltlage handlungsfähig zu halten. Der Verzicht auf diese Investitionen hätte nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich und gesellschaftlich langfristige Schäden angerichtet.
Zur Frage der Generationengerechtigkeit: Es ist richtig, dass wir eine Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen haben – aber diese besteht eben nicht nur im Sparen. Sie besteht auch darin, Deutschland zukunftsfähig zu machen: resilient, sicher, technologisch führend und ökologisch nachhaltig. Investitionen in diese Bereiche sind nicht das Gegenteil von Verantwortung, sondern ihr Ausdruck.
Was den Fraktionszwang betrifft, so möchte ich betonen: Es gibt in Deutschland keinen Zwang im juristischen Sinne. Ja, Entscheidungen werden in Fraktionen abgestimmt – das ist auch wichtig für Stabilität und klare Linien in der Politik. Doch jedes Mitglied des Bundestags entscheidet letztlich nach seinem Gewissen. Ich habe mit meinem Gewissen gerungen – und bin zum Schluss gekommen, dass dieser Schritt notwendig ist.
Ihre Bedenken sind nicht unbegründet, und ich nehme sie ernst. Demokratie lebt vom kritischen Dialog – und ich danke Ihnen, dass Sie diesen mit mir gesucht haben.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Lehmann MdB