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Jan-Christoph Oetjen
FDP
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Frage von Rainer L. •

Frage an Jan-Christoph Oetjen von Rainer L. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Oetjen,

wie ist Ihre Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen?

Mit freundlichen Grüßen

Rainer Locke

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr L.,

 

vielen Dank für Ihre Anfrage zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Wir Freie Demokraten lehnen ein bedingungsloses Grundeinkommen ab. Die Grundsicherung muss aber unbürokratischer, würdewahrender und chancenorientierter werden – unser Modell dafür ist das einkommens- und vermögensabhängige Liberale Bürgergeld. Ein Grundeinkommen wäre leistungsfeindlich, teuer und ungerecht.

Stattdessen wollen wir das Liberale Bürgergeld. Wir wollen steuerfinanzierte Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung im Alter, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder das Wohngeld in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle zusammenfassen, auch im Sinne einer negativen Einkommensteuer. Selbst verdientes Einkommen soll geringer als heute angerechnet werden. So möchten wir das Steuer- und Sozialsystem verbinden. Die Grundsicherung muss unbürokratischer, würdewahrender, leistungsgerechter, digitaler und vor allem chancenorientierter werden. Daneben sollte der Passiv-Aktiv-Tausch weiterentwickelt werden, bei dem Gelder, die eine Leistungsempfängerin oder ein Leistungsempfänger erhält, in Lohnkostenzuschüsse für einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz umgewandelt werden können.

 

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien wurde folgendes zum Bürgergeld vereinbart:

„Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen. Das Bürgergeld soll die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein.

Wir gewähren in den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezuges die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens und anerkennen die Angemessenheit der Wohnung. Wir werden das Schonvermögen erhöhen und dessen Überprüfung entbürokratisieren, digitalisieren und pragmatisch vereinfachen. Um die Erstattung der Kosten der Unterkunft transparenter und rechtssicherer auszugestalten, schaffen wir einen verbesserten gesetzlichen Rahmen für die Anwendung der kommunalen Angemessenheitsgrenzen und stellen sicher, dass diese jährlich überprüft und ggf. angepasst werden. Dies erleichtert den Kommunen, die Kosten der Unterkunft und Heizung als regionalspezifische Pauschalen auszuzahlen.

Das Bürgergeld stellt die Potenziale der Menschen und Hilfen zur nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt und ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen verändern wir so, dass künftig eine Beratung auf Augenhöhe möglich ist und eine Vertrauensbeziehung entstehen kann. Es werden die Stärken und Entwicklungsbedarfe durch ein Kompetenzfeststellungsverfahren ermittelt, mit dem auch „Soft Skills“ zertifizierbar werden. Die Angebote und Maßnahmen werden im Rahmen einer Teilhabevereinbarung mit den Bürgergeldbeziehenden gemeinsam vereinbart, in einfacher Sprache formuliert und ggf. angepasst. Diese ersetzt die bisherige Eingliederungsvereinbarung. Es gilt eine sechsmonatige Vertrauenszeit. Für Konfliktfälle schaffen wir einen unabhängigen Schlichtungsmechanismus.

An Mitwirkungspflichten, die in der Teilhabevereinbarung festgehalten werden, halten wir fest. Sie werden gesetzlich bis spätestens Ende 2022 neu geordnet. Der Neuregelung geht eine Evaluation voraus. Damit setzen wir auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes um, wie die Kosten der Unterkunft von Sanktionen auszunehmen und Unter-25-Jährige gleich zu behandeln. Ihnen machen wir im Sanktionsfall ein Coaching-Angebot in Abstimmung mit der örtlichen Jugendhilfe (nach § 16h SGB II). Bis zur gesetzlichen Neuregelung schaffen wir ein einjähriges Moratorium für die bisherigen Sanktionen unter das Existenzminimum, das auch für kommunale Jobcenter gelten muss. Wir werden die Nachhaltigkeit der Integration in den Arbeitsmarkt ins Zentrum des Zielsteuerungssystems des SGB II stellen und die hierfür notwendigen Schritte der sozialen Stabilisierung und Teilhabe ebenso berücksichtigen. Das Bürgergeld soll individuelle, ganzheitliche Unterstützung leisten. Dazu sollen auch Instrumente anderer Sozialgesetzbücher genutzt werden. So erhöhen wir die Durchlässigkeit und reduzieren Schnittstellen. Wir wollen die Zusammenarbeit zwischen Jobcentern und Kommunen durch Kooperationsvereinbarungen intensivieren. Wir werden den Jobcentern mehr Gestaltungsspielraum und regionale Verantwortung übertragen und die freie Förderung (§ 16f SGB II) aufwerten.

Der Vermittlungsvorrang im SGB II wird abgeschafft. Die Förderung der Weiterbildung und Qualifizierung werden wir stärken. Die Prämienregelung bei abschlussbezogener Weiterbildung werden wir entfristen. Wir fördern vollqualifizierende Ausbildungen im Rahmen der beruflichen Weiterbildung unabhängig von Dauer und Grundkompetenzen, auch im Umgang mit digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien. Bürgergeldberechtigten kann im Rahmen der Teilhabevereinbarung für die Teilnahme an der Eingliederung dienenden Förder- oder Unterstützungsmaßnahmen ein befristeter Bonus gezahlt werden.

Das Teilhabechancengesetz (§ 16i und § 16e SGB II) wollen wir entfristen und weiterentwickeln.

Begleitendes Coaching und aufsuchende Sozialarbeit werden Regelinstrumente in SGB II und SGB XII. Kinder und Jugendliche bedürfen besonderer Unterstützung für einen gelingenden Bildungs- und Ausbildungsverlauf. Wir werden § 16h SGB II ausweiten, um die Kooperation mit der Jugendhilfe zu stärken und gemeinsame Anlaufstellen zu schaffen. Auf ältere Bürgergeldberechtigte können wir auf dem Arbeitsmarkt nicht verzichten. Wir werden Frauen gezielt mit passenden Angeboten unterstützen und dabei insbesondere darauf achten, dass Mütter von kleinen Kindern früher, auch durch Angebote in Teilzeit (z. B. Teilzeitausbildungen) besser erreicht werden. Ausgehend von den Erfahrungen der Modellprojekte im Rahmen von „RehaPro“ werden wir die präventive Gesundheitsförderung in den Jobcentern stärken. Frauen mit Migrations- und Fluchthintergrund wollen wir besonders fördern. Generell werden wir Angebote stärker mit der Sprachförderung im alltagspraktischen Zusammenhang verknüpfen.

Die Zuverdienstmöglichkeiten werden wir verbessern mit dem Ziel, Anreize für sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit zu erhöhen. Die Anrechnung von Schüler- und Studentenjobs von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II sowie Pflege- oder Heimkindern soll entfallen. Bei Auszubildenden erhöhen wir den Freibetrag.

Wir werden eine Reform auf den Weg bringen, die Bürgergeld (ehemals Arbeitslosengeld II), Wohngeld und gegebenenfalls weitere steuerfinanzierte Sozialleistungen so aufeinander abstimmt, beziehungsweise wo möglich zusammenfasst, so dass die Transferentzugsraten die günstigsten Wirkungen hinsichtlich Beschäftigungseffekten und Arbeitsmarktpartizipation in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung erzielen, die Zuverdienstmöglichkeiten verbessert und Grenzbelastungen von 100 und mehr Prozent ausgeschlossen werden. Zur Entwicklung des Reformmodells wird eine unabhängige Kommission aus mehreren hierfür qualifizierten unabhängigen Instituten beauftragt.

Auch die Möglichkeit für erwerbsgeminderte Personen sowie für Rentnerinnen und Rentner in der Grundsicherung, mit einer Erwerbstätigkeit ihr Einkommen zu verbessern, wollen wir ausweiten. Die Anrechnung von Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Arbeit soll in Anlehnung an das Steuerrecht mit einem jährlichen Freibetrag gestaltet werden.

Eine passgenaue und ganzheitliche Unterstützung erfordert einen ausreichend dimensionierten Betreuungsschlüssel und gut qualifiziertes Personal bei den Jobcentern. Wir werden daher Eingliederungs- und Verwaltungstitel entsprechend ausstatten. Die Übertragbarkeit von Restmitteln werden wir fortführen.

Wir wollen prüfen, ob sozialversicherungspflichtige Erwerbstätige im Bürgergeldbezug in die Betreuung durch die Agenturen für Arbeit wechseln können, auch um Kapazitäten für einen besseren Betreuungsschlüssel in den Jobcentern zu schaffen und ihnen Zugang zu den Qualifizierungs- und Weiterbildungsangeboten im SGB III zu gewähren.

Durch die Einführung einer Bagatellgrenze in Höhe von bis zu 50 Euro werden wir die Jobcenter von Bürokratie entlasten. Um den individuellen Charakter des Bürgergelds zu stärken, werden wir auch im SGB II von der horizontalen auf die vertikale Einkommensanrechnung umstellen. Die Feststellung der Erwerbsfähigkeit wird standardisiert und in Zukunft ausschließlich von der gesetzlichen Rentenversicherung durchgeführt.

Zur Problematik der Obdachlosigkeit von EU-Bürgern richten wir eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein.

Die gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände sehen wir samt ihrer Angebotsvielfalt als wichtigen Partner bei der Förderung des gesellschaftlichen Engagements und Zusammenhalts. Bei der Erstellung des 7. Armuts- und Reichtumsberichts richten wir auch einen Fokus auf verdeckte Armut und beziehen Menschen mit Armutserfahrung stärker ein“ (Koalitionsvertrag ‚Mehr Fortschritt wagen‘, S.  75 - 78).

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Jan-Christoph Oetjen

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