Dr. Inge Gräßle
Inge Gräßle
CDU
100 %
15 / 15 Fragen beantwortet
Frage von Mareike V. •

Frage an Inge Gräßle von Mareike V. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Wie gedenken sie zu ACTA abzustimmen und warum?

Was Antworten sie den Millionen Petitionsunterzeichnern und Demonstranten, die ACTA verhindern möchten? Bzw. Haben Sie persönlich Bedenken bzgl. unserer Demokratie und Informationsfreiheit in Verbindung mit dem ACTA-Abkommen?

Im gleichen Zuge möchte ich Sie fragen, wie Sie den Rücktritt von Kader Arif, dem EU-Berichterstatter für das Handelsabkommen ACTA, sehen. Haben Sie dessen Rücktritt und seine Begründung für diesen Schritt zur Kentniss genommen?

Dr. Inge Gräßle
Antwort von
CDU

Sehr geehrte Frau Voss,

vielen Dank für Ihr Schreiben bezüglich ACTA. Ich verstehe die Bedenken, die in Teilen der Bevölkerung hinsichtlich des Produkt- und Markenpiraterieabkommens bestehen und möchte mit meinem Schreiben dazu beitragen, Ihnen meine Position und die Position der EVP-Fraktion zu erläutern. Ich habe mich - wie die EVP-Fraktion - bei der Abstimmung enthalten.

ACTA wurde von den Verhandlungspartnern (auf Seiten der EU als Verhandlungsführerin die Kommission sowie als Vertreter der Mitgliedsstaaten die rotierenden Ratspräsidentschaften) als ein Handelsübereinkommen definiert, mit dem gewerbliche Produkt- und Markenpiraterie bekämpft werden sollte. Auf diese Weise sollte die weltweite Durchsetzung bestehender urheberrechtlicher Bestimmungen koordiniert werden.

Die Probleme, die mit ACTA angegangen werden sollten, sind real und verschärfen sich. Geistiges Eigentum ist einer der wichtigsten Rohstoffe der Europäischen Union. Europa braucht ein wirksames internationales Abkommen, um den Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie aufzunehmen. Gefälschte Produkte bringen jährlich mehrere 10.000 Arbeitsplätze in Deutschland und Europa in Gefahr, verursachen einen Schaden in Milliardenhöhe und sind nicht zuletzt ein Sicherheitsrisiko für Verbraucher, da diese Produkte oftmals nicht europäischen Sicherheitsstandards entsprechen.

Viele der in ACTA aufgeführten Punkte bieten eine nützliche Basis, um den Kampf gegen gefälschte Produkte aufzunehmen und gleichermaßen Produzenten und Konsumenten zu schützen. Das ist für uns unumstritten. Die EU Kommission sagt hierzu eindeutig, dass ACTA im Einklang mit der existierenden europäischen Rechtsordnung steht. Die Bedenken, dass wir in Europa also nicht-konformes ausländisches Recht in die EU importieren sind ungerechtfertigt.

ACTA wurde im Plenum abgestimmt, obwohl die Prüfung von ACTA durch den Europäischen Gerichtshof noch nicht abgeschlossen ist, da sich der Außenhandelsausschuss des Europäischen Parlaments auf Betreiben von SPD und Grünen für eine schnelle Abstimmung über ACTA ausgesprochen hat. Ich bin der Meinung, dass dies ein Schlag ins Gesicht des Europäischen Gerichtshofs ist, da die Prüfung von ACTA erst noch ausstehe. Bedauerlich ist, dass sich SPD und Grüne zu einem solchen Schritt entschlossen haben, obwohl die Vereinbarkeit von ACTA mit den Grundrechten der Europäischen Union und weitere Fragen über die Auswirkungen des Abkommens noch nicht ausreichend geklärt sind und man auch mögliche kritische Punkte des Abkommens noch hätte klären können.

Es muss klar sein, dass ACTA vollständig die europäische Rechtsordnung erfüllt, speziell die Grundrechte-Charta und die Datenschutz-Standards. Außerdem muss gewährleistet sein, dass ACTA keine Interpretation zulässt, die EU-Recht verletzen würde.
Weiterhin haben wir mit vielen Vertretern von Menschenrechtsorganisationen, Datenschutzrechtlern und Bürgern geredet. Auch dies hat uns überzeugt, dass wir in einigen Punkten mehr Rechtsklarheit hinsichtlich der Neuen Medien brauchen.

Wir sind der Meinung, dass - abseits von hysterischer Berichterstattung über ACTA - eine sachliche Diskussion etabliert und Alternativen detailliert geprüft werden müssen. Nur so können wirkliche Fortschritte bei den Hauptproblemen erzielt werden: Stopp der Einfuhr von gefährlichen, gefälschten Produkten in unsere Märkte, Sicherung des geistigen Eigentums auf dem unsere Wirtschaft aufbaut und weiterhin der Schutz der Freiheit des Internets.

Daher hatte die EVP-Fraktion die Kommission und die Mitgliedstaaten aufgerufen, bei verschiedenen Punkten Klarheit zu schaffen.

1. Vermeidung von Kontrolle im großen Maßstab durch Internet Service Provider

Viele der Bürgeranfragen, die eingegangen sind, betreffen die Angst davor, dass Mitgliedstaaten die jeweiligen Internet Service Provider dazu drängen könnten, in großem Umfang Online-Aktivitäten der Bürger zu überwachen. Die EVP-Fraktion will nicht, dass Anbieter das Internet in unangemessener Weise kontrollieren können. Die Persönlichkeitsrechte jedes einzelnen Bürgers müssen gewahrt bleiben. Deswegen hatte die EVP-Fraktion die Kommission und den Rat aufgefordert, Rechtsklarheit bei der Rolle der Internet Service Provider zu schaffen, wann diese die Aktivitäten der Internetnutzer protokollieren können.

2. Begrifflichkeit der Verletzung der Rechte am geistigen Eigentum

ACTA sollte Verletzungen der Rechte am geistigen Eigentum weitreichend bekämpfen. So wäre es den Unterzeichnerstaaten freigestellt gewesen, Strafverfahren bei nicht-kommerziellen Urheberrechtsverletzungen einzuleiten. Zudem ist unklar, wo die Grenze zwischen kommerziell und nicht-kommerziell zu ziehen ist. Kriminalisierung einzelner Nutzer will die EVP-Fraktion nicht ermöglichen. Deswegen hatte die EVP-Fraktion die Kommission und die Mitgliedstaaten aufgefordert, eine Definition des Begriffs der Verletzungen der Rechte am geistigen Eigentum in kommerziellem Umfang zu erstellen und Rechtsklarheit zu schaffen, unter welchen Umständen Mitgliedstaaten Strafverfolgung gegen Internetbenutzer stellen können.

Da bis zur Abstimmung im Plenum hinsichtlich unserer Kritikpunkte nicht genügend Klarheit geschaffen werden konnte, hat sich die EVP-Fraktion darauf geeinigt, sich bei der Abstimmung zu ACTA zu enthalten, was zur Folge hatte, dass ACTA abgelehnt wurde. Ich möchte zudem betonen, dass ich mich selbst aus Respekt vor der ausstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes und dem laufenden Verfahren enthalten habe.

Wir können also Ihre Bedenken einerseits durchaus nachvollziehen. Andererseits möchte ich aber auch betonen, dass das Urheberrecht dringend einer Reform bedarf und der Schutz geistigen Eigentums gewährleistet sein muss, sowohl um unseren deutschen, aber auch um unseren europäischen Standort zu sichern.
Ziel muss es sein, nun nach der Ablehnung von ACTA im Plenum zeitnah ein geregeltes Abkommen zu erreichen, das offene Fragen beantwortet, Rechtssicherheit schafft und gleichzeitig alte Probleme zufriedenstellend beseitigt während es vermeidet neue Probleme zu schaffen. Nur auf diese Weise können durchaus legitime datenschutzrechtliche Bedenken mit wirtschaftlichen Interessen sinnvoll in Einklang gebracht werden.

Zu Ihrer Frage bezüglich meines französischen S&D-Kollegen und ehemaligen Berichterstatters Herrn Kader Arif MdEP kann ich Ihnen sagen, dass ich seinen Rücktritt zur Kenntnis genommen habe. Dennoch möchte ich auch betonen, dass Herr Arif erst nach Abschluss der ACTA-Vertragsverhandlungen Berichterstatter wurde und somit eigentlich den Vertragstext genau gekannt haben müsste. Zudem hat Herr Arif Ende 2011 dafür gesorgt, dass eine Aussprache zu ACTA im Außenhandelausschuss verschoben wurde. Da Herr Arif recht stark im französischen Wahlkampf eingebunden war, liegt es nahe, dass Herr Arif andere Prioritäten gesetzt hatte.

Ich hoffe ich konnte Ihnen meinen Standpunkt zu ACTA vermitteln und möchte mich nochmals für Ihre Anfrage bedanken.

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Inge Gräßle

Was möchten Sie wissen von:
Dr. Inge Gräßle
Inge Gräßle
CDU