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Hubertus Heil
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Frage von Norman W. •

Frage an Hubertus Heil von Norman W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Herr Heil,

warum ist es denn nicht möglich wie in Österreich zu Handeln, zwecks Rente, jeder zahlt in den selben Topf ein...Es wären doch viele Lücken gestopft damit.

MfG

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wohlfarth,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihren Vorschlag zum Rentensystem.
In der Diskussion um Reformoptionen von Alterssicherungssystemen lohnt der Blick über den nationalen Tellerrand hinaus. Häufig wird in diesem Zusammenhang auf das österreichische Rentensystem verwiesen. Dieses sei mit Blick auf die Rentenhöhe wesentlich leistungsfähiger als das Deutsche. Und in der Tat: Betrachtet man die nackten Durchschnittszahlen, so zeigt sich, dass die österreichischen Altersrenten um die 50 % höher sind als in Deutschland. Um dabei nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, müssen bei dieser Betrachtung jedoch die Zugangsvoraussetzungen und die Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Demografie oder Lebenshaltungskosten, ins Verhältnis gesetzt werden.

In Deutschland hat man Anspruch auf eine Altersrente, nachdem fünf Jahre ins System eingezahlt wurde („Fünfjährige Wartezeit“), in Österreich hingegen müssen 15 Jahre eingezahlt werden, um überhaupt eine Rente zu erhalten. Aufgrund dieser Fünf-Jahres-Regelung wird der Durchschnitt in Deutschland beispielsweise durch Selbstständige oder Beamte, die nur kurz als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer gearbeitet und deshalb Anspruch auf eine Mini-Rente haben, nach unten gezogen. Das Gleiche gilt für die vor allem noch in Westdeutschland häufig vorzufindende Biographie der Hausfrau, die nur wenige Jahre gearbeitet, aber trotzdem Anspruch auf eine kleine Rente hat. In Österreich gehen all diese Personen trotz jahrelanger Einzahlung leer aus.

Neben den Zugangsvoraussetzungen müssen bei einem Vergleich auch die Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. So ist die demografische Entwicklung in Österreich günstiger als in Deutschland. Kommen in der Bundesrepublik 2,9 Menschen im erwerbsfähigen Alter auf einen Menschen im Rentenalter, sind es in Österreich 3,4. Zudem muss auch gesehen werden, dass die Lebenshaltungskosten in Österreich höher sind – eine gleichhohe Rente also auch „weniger Wert" wäre. Hinzu kommt, dass die Besteuerung der Renten in Österreich höher ist als in Deutschland, so dass sich der Unterschied der Zahlbeträge im Nettovergleich ohnehin wieder ein Stück weit relativiert.

Beim Blick auf das Gesamtsystem der Alterssicherung beider Länder muss außerdem beachtet werden, dass die Alterssicherung in Deutschland in einem größeren Umfang durch Betriebsrenten gewährleistet ist. So haben etwa 60 % der Beschäftigten in Deutschland Anwartschaften auf eine Betriebsrente. In Österreich hatten 2010 hingegen nur rund 34 Prozent der abhängigen Beschäftigten eine Anwartschaft aus einer betrieblichen Rentenzusage, wo-bei die Mehrheit dieser Zusagen sehr gering ausfiel. Betriebsrenten spielen somit in Österreich im Gegensatz zu Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. Ähnliches gilt im Übrigen auch für die private Altersvorsorge.

Und nicht zuletzt liegt der Beitragssatz in Österreich mit 22,8 % deutlich über dem in Deutschland liegt.

Werden all diese Unterschiede des Zugangs, des Beitragssatzes, der Abdeckung der zweiten und dritten Säule im Alterssicherungssystem und der Rahmenbedingungen berücksichtigt, so erklärt sich die Differenz des durchschnittlichen Rentenzahlbetrags, wenn sie sich nicht gar völlig auflösen würde.

All das heißt natürlich nicht, dass es nicht kluge Reformansätze in Österreich gegeben hat, die wir uns als Vorbild für unser deutsches System nehmen können. Im Gegenteil: Österreich hat in seinem System eine Erwerbstätigenversicherung unter Einbeziehung der Beamten und Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung geschaffen, für die sich die SPD schon lange einsetzt. Das österreichische Beispiel zeigt außerdem, dass ein öffentliches Rentensystem im Umlageverfahren finanzierbar und ein Übergang zum „Drei-Säulen-Modell“ wie in Deutschland keine zwingende Notwendigkeit ist. Klar ist allerdings auch, dass ein eins zu eins Vergleich der nackten Zahlen der durchschnittlichen Rentenhöhe der Komplexität des Systems und der es tragenden Rahmenbedingungen nicht gerecht wird.

Die gesetzliche Rente ist ein zentrales Versprechen unseres Sozialstaates: Es geht um die Anerkennung von Lebensleistung, aber auch um Sicherheit im Alter. Darauf muss sich jede und jeder verlassen können. Deshalb haben wir in dieser Legislaturperiode das Rentenniveau stabilisiert und auch die Grundrente eingeführt. Dieses Versprechen müssen wir auch zukünftig halten und wir können es halten, wenn wir auf einen starken Arbeitsmarkt setzen mit einer hohen Beschäftigungsquote und einer anständigen Lohnentwicklung. Je mehr Menschen in den nächsten Jahren in Arbeit sind und je besser die Lohn- und Gehaltsentwicklung ist, desto stabiler ist auch die gesetzliche Rente.
Das ist der Weg, auf den ich setze.

Mit freundlichen Grüßen

Hubertus Heil

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