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Herbert Schui
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Frage von Hans - Peter P. •

Frage an Herbert Schui von Hans - Peter P. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schui,

wir hören es aus aller Munde: Die Zukunft unseres Landes liegt im Export von Hochtechnologie. Das bedeutet für mich, dass diese Technologie hier in Deutschland nicht nur produziert sondern auch entwickelt wird. Ich fürchte mich vor dieser Zukunft, wenn ich die Schulpolitik oder besser noch die Schulrealität in dieser Zeit betrachte.

Ich frage mich: Wie soll eine international wettbewerbsfähige Elite (das Wort ist nicht beliebt, aber nicht alle können Wissenschaftler werden) ausgebildet werden, wenn an unseren allgemeinbildenden Schulen immer mehr gekürzt wird. Wer will mir z. B. erklären, dass das Abitur nach 12 Jahren besser ist als nach 13 Jahren? Wie sollen die Schüler in kürzerer Zeit den gleichen Stoff besser lernen, ohne dass die Lehrbedingungen verändert werden?

Sowohl Universitäten als auch Handwerkliche Ausbildungsbetriebe beschweren sich seit langem über die mangelhafte Vorbereitung durch die allgemeinbildenen Schulen. Die Lehrer – von der Grundschule bis zum Gymnasium – haben keine Handhabe, Leistung von den Kindern zu fordern. Und viel zu wenige Eltern unterstützen die Lehrer in ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich die Kinder auf das spätere Leben vorzubereiten.

So, nun meine Fragen an Sie als Kandidaten für den Bundestag:

• Welche Priorität hat für Sie die Ausbildung unserer Kinder?
• Halten Sie die Lehrerausbildung in der jetzigen Form für zeitgemäß?
• Wie stellen Sie sich das ideale Schulsystem (Ausbildungssystem) vor?

Ich feue mich sehr auf Ihre Antwort und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen
Hans – Peter Prigge
Dipl.-Ing.

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Sehr geehrter Herr Prigge,

in der aktuellen Bildungsstudie der OECD schneidet Deutschland wieder einmal schlecht ab. Noch geringere Bildungsausgaben findet man nur in der Türkei, der Slowakei, Spanien und Irland. Während der Bildungssektor in Deutschland mit 4,8% des BIPs auskommen muss, finanzieren die Spitzenreiter ihren Bildungssektor mit über 7% ihres BIPs. Auch Frankreich und Großbritannien liegen dabei weit vor Deutschland. Sie können es sich leisten: Sie besteuern Gewinne erheblich höher als Deutschland. In Frankreich werden Kapitaleinkommen mit 40,7 % Steuern und Abgaben belastet, in Großbritannien gar mit 42,7%. Zum Vergleich: in Deutschland haben Kapitaleinkommen eine Steuer- und Abgabenquote von nur 24,4%. Würden in Deutschland die französischen Steuern auf Kapitalerträge erhoben, hätte der Staat zusätzliche Einnahmen in Höhe von 104,9 Milliarden Euro. Bei britischen Steuern wären es 117,8 Milliarden. Alle drei Länder liegen sehr nah beieinander und sind Teil des gleichen, offenen Wirtschaftsraums. Eine Kapitalflucht nach Deutschland blieb trotzdem bisher aus. Eine Erhöhung der Steuern und Abgaben auf Kapitaleinkommen scheint also möglich, ohne eine Deindustrialisierung fürchten zu müssen. Damit wäre eine Erhöhung der Bildungsausgaben auf zumindest 7% des BIP machbar.

In Deutschland hängt die Bildung der Kinder weiterhin vom Geldbeutel der Eltern ab. 76.000 Jugendliche verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss. Nur jedes 8. Kind unter drei Jahren hat einen Krippenplatz. Fast 400.000 Jugendliche warten auf einen Ausbildungsplatz. Studiengebühren schrecken junge Leute vom Studium ab. Lehrerinnen und Lehrer können die Kinder nicht angemessen fördern, weil die Klassen zu groß sind. Keines der alten 15 EU-Länder gibt weniger Geld pro Grundschülerin und Grundschüler aus. Deutschland zählt zudem zur Spitze bei der sozialen Auslese in der Bildung: In der Regel kommen Akademikerkinder aufs Gymnasium. Arbeiterkinder haben dagegen bei gleicher Leistung weniger Chancen. Das Recht auf Bildung für Kinder mit Migrationshintergrund oder mit Behinderung wird in Deutschland systematisch verletzt. Die von der Bundeskanzlerin ausgerufene „Bildungsrepublik Deutschland“ ist ein hohles Versprechen: Die Bundesregierung gibt keinen Euro zusätzlich für die Bildung aus, obwohl wir in einem der reichsten Länder der Welt leben. Die Einführung des G8 hat fast überall zu zunehmendem Leistungsdruck auf die SchülerInnen geführt. Gegen all das regt sich berechtigter Protest: Mit dem Bildungsstreik im Juni dieses Jahres haben über 250.000 Schülerinnen, Schüler, Studierende, Lehrkräfte und Auszubildende für grundlegende Bildungsreformen demonstriert. Die LINKE hat den Bildungsstreik unterstützt und wird weiter für einen bildungspolitischen Richtungswechsel streiten.

DIE LINKE tritt für das Recht auf gebührenfreie und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen ein – unabhängig vom Geldbeutel und vom Bildungsstand der Eltern. Die Lehr- und Lernmittelfreiheit muss sichergestellt werden. Bildung ist keine Ware, sondern ein Menschenrecht. Jede und jeder muss sich umfassend bilden, individuell entwickeln und an der Gesellschaft teilhaben können.

DIE LINKE fordert für jedes Kind einen Rechtsanspruch auf gebührenfreie, ganztägige und hochwertige Kinderbetreuung. Die öffentlichen Kindertageseinrichtungen müssen ausgebaut und besser ausgestattet. mehr Erzieherinnen und Erzieher eingestellt werden. Alle Schülerinnen und Schüler sollen bis zur Klasse 10 eine Gemeinschaftsschule besuchen. Davon profitieren alle mehr, als bei der Aussortierung in verschiedene Schulformen, die lediglich die sozialen Unterschiede verstärkt. Mit kleineren Klassen, dem Ausbau von Ganztagsschulen mit sozialpädagogischer Unterstützung an jeder Schule und mehr Lehrerinnen und Lehrer entstehen die Voraussetzungen, um die Fähigkeiten und Stärken jedes einzelnen Kindes und Jugendlichen zu fördern. Dieser Weg ist gerechter als die private Nachhilfe.

DIE LINKE will ein bundesweites Verbot von Studiengebühren, mehr Studienplätze und ein deutlich besseres BAföG durchsetzen, damit sich alle ein Studium leisten können. Individuelle Auswahlverfahren an den Hochschulen sollen wieder abgeschafft werden. Das Bachelor/Master-System muss dringend reformiert werden. Die Zugangsbeschränkungen beim Übergang vom Bachelor zum Master müssen wegfallen. Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung müssen studieren dürfen. Mit einem Erwachsenenbildungsgesetz soll die berufliche und allgemeine Weiterbildung für alle, insbesondere weniger Qualifizierte, gefördert werden.

Um das zu finanzieren, müssen die öffentlichen Bildungsausgaben auf mindestens sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden, wie oben angedeutet. DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass Bund und Länder dazu gemeinsam einen nationalen Bildungspakt schließen. Im Rahmen des von der LINKEN geforderten Zukunftsinvestitionsprogramm in Höhe von 100 Mrd. Euro würden jährlich 18 Mrd. Euro in die Bildung fließen.

Die Lehrerausbildung an den Hochschulen ist mangelhaft und entwickelt sich in den 16 Bundesländern in unterschiedliche Richtungen. Bundesweit fehlen bis zu 16.000 Stellen und das gegliederte Schulsystem erschwert progressive pädagogische Ansätze. Hervorragend ausgebildete und zufriedene Lehrerinnen und Lehrer sind aber die Grundvoraussetzung für gute Bildung. Lehrerinnen und Lehrer tragen eine hohe Verantwortung für eine gerechte und demokratische Gesellschaft.
Sie müssen nicht nur Fachwissen vermitteln, sondern auch junge Menschen in die Lage versetzen, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu hinterfragen und gesellschaftliche Veränderungen zu initiieren. Gleichzeitig müssen sie individuelle Stärken und Schwächen ihrer Schülerinnen und Schüler erkennen - und jeden einzelnen dementsprechend fördern.

DIE LINKE. fordert daher eine bessere Ausbildung und bessere Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer, die Raum lassen zur individuellen Förderung, sowie zur kreativen pädagogischen Arbeit. Dazu müssen zunächst die Bildungsausgaben deutlich erhöht werden, um mehr Lehrerinnen und Lehrer einstellen zu können. Anders kann dem eklatanten Mangel an Lehrkräften nicht begegnet werden. Konzepte wie die "Unterrichtsgarantie-Plus" der hessischen CDU, die Lehrkräfte durch ehrenamtliche Unterstützung ersetzen will, sind keine Lösung.

Schließlich muss auch das Ausbildungssystem reformiert werden: DIE LINKE fordert für die ausreichende Bereitstellung von Ausbildungsplätzen eine Ausbildungsumlage. Ausbildungsentgelte müssen grundsätzlich tariflich vereinbart werden. Die außer- und überbetrieblichen Ausbildungen müssen mit den betrieblichen gleichgestellt werden. Der Jugendarbeitsschutz muss ausgebaut werden, die Jugendauszubildendenvertretung (JAV) gestärkt werden. Schul- bzw. Prüfungsgebühren in der beruflichen Bildung müssen abgeschafft werden. Nicht zuletzt fordert DIE LINKE eine gesetzliche Abgrenzung von Arbeits- und Lernverhältnissen: der Berufseinstieg muss über reguläre Arbeitsverträge stattfinden. Praktika müssen mit mindestens 300 Euro im Monat vergütet werden.

In Bezug auf Ihre Anmerkungen zur Wettbewerbsfähigkeit möchte ich sie nur kurz auf einen Artikel von mir zur Sozialen Marktwirtschaft verweisen: http://www.herbert-schui.de/veroeffentlichungen/andere-beitraege/aufsaetze-essays-andere-beitraege/archive/2009/september/article/soziale-marktwirtschaft-der-entwurf-fuer-eine-autoritaere-gesellschaft.html?tx_ttnews[day]=17&cHash=d3ae9e9b0e

Mit freundlichen Grüßen,

Herbert Schui