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Herbert Schui
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Frage von Olaf B. •

Frage an Herbert Schui von Olaf B. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Schui,

wie ist der Standpunkt Ihrer Partei zu der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens?

Vielen Dank für eine Antwort.

Olaf Blohm

Portrait von Herbert Schui
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Blohm,

die Fraktion DIE LINKE. hat gegenüber dem bedingungslosen Grundeinkommen eine sehr reservierte Haltung. Als Alternative fordern wir eine bedarfsorientierte Mindestsicherung. Auch ich persönlich stehe dem Grundeinkommen skeptisch gegenüber. Dies aus den folgenden Gründen: Eine gleiche Verteilung von beruflichen Möglichkeiten und Einkommen lässt sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht erreichen. Dank des wissenschaftlichen Fortschritts und technischer Neuerungen lassen sich viele notwendige Arbeiten mit immer weniger Aufwand erledigen. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Gesellschaft künftig ohne jegliche Arbeit von selber reproduziert. Die Massenarbeitslosigkeit ist darauf zurückzuführen, dass die vorhandene Arbeit in unserem kapitalistischen System unsinnig verteilt ist und unzureichend bzw. teilweise gar nicht entlohnt wird.
Vernünftig ist, die Arbeit durch umfangreiche Arbeitszeitverkürzungen - bei vollem Lohnausgleich - auf mehr Leute zu verteilen. Damit können alle am Arbeitsleben teilhaben. Überdies haben alle mehr Freizeit. Die Linke will eine Gesellschaft, in der alle aktiv dabei sein können, in der alle über die Ausrichtung der Produktion entschieden und mit ihrer Arbeit dem gesellschaftlichen Fortschritt voranhelfen.
Das Grundeinkommen stärkt nicht die Position der lohnabhängig Beschäftigten, sondern die Position der Arbeitgeber. Sie werden bei jeder Gelegenheit auf die soziale Absicherung durch das Grundeinkommen verweisen und mit dieser Begründung Schutzrechte wie beispielsweise den Kündigungsschutz weiter beseitigen und die Löhne senken. Die Massenarbeitslosigkeit - sie wird in dieser Krise weiter ansteigen - sperrt Millionen Menschen vom Arbeitsleben aus. Das bedingungslose Grundeinkommen erhebt lediglich den Anspruch, diese Menschen dauerhaft zu finanzieren - ohne aber ihre Situation grundsätzlich zu verbessern. Richtig ist, dass wir uns dagegen wehren müssen, dass Menschen gezwungen werden, schlechte Arbeit anzunehmen. Wir dürfen dabei aber nicht das Ziel einer Gesellschaft aus den Augen verlieren, die allen gute Arbeit ermöglicht.
Auch das Emanzipationsversprechen des Grundeinkommens ist eher eine Form von Sozialromantik. Emanzipation lässt sich nicht einfach in Euro und Cent auszahlen. Wenn wir für eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen eintreten, müssen wir ihnen auch eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben ermöglichen. Jeder Mensch hat ein Recht auf freie Berufswahl; allen muss es möglich sein, nach ihren Interessen und Neigungen eine Arbeit aufzunehmen. Von dieser Verantwortung kann und darf sich die Politik nicht freikaufen, auch nicht mit einem bedingungslosen Grundeinkommen.
Ein Schulabbrecher, der keinen Ausbildungsplatz findet, könnte mit dem bedingungslosen Grundeinkommen vielleicht auf das lästige Bewerbungenschreiben und damit auf eine Berufsausbildung verzichten. Wer das positiv sieht, übersieht jedoch, dass er sich nicht freiwillig dem Arbeitsleben entzieht, sondern durch die Ausbildungsplatzmisere dazu gezwungen wird, sein Recht auf Teilhabe am Berufsleben hintenanzustellen. Ihm ist kaum geholfen, wenn man ihn mit dem Grundeinkommen weiter sich selbst überlässt und damit de facto aus der Gesellschaft ausschließt. Das Grundeinkommen trägt dazu bei, gesellschaftliche Ausgrenzung zu verewigen, statt allen das Recht zu verschaffen, in der Gesellschaft nach ihren Vorstellungen mitzuwirken.
Der von Befürwortern des bedingungslosen Grundeinkommens öfter geäußerte Wunsch nach einem „Recht auf Faulheit“ entspringt den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Auf die unwürdigen ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse wird mit der Forderung reagiert, sich diesen konsequent zu entziehen, aber nicht mit dem Anspruch, die Arbeitswelt selbst zu humanisieren. Mit einem „Recht auf Faulheit“ ändert sich nichts an den bestehenden Erwerbs- und Produktionsverhältnissen! Deshalb hat die Forderung nach einem Recht auf Faulheit mit einem sozialistischen Anspruch wenig zu tun.
Die Parteigänger des Grundeinkommens diskutieren nicht mehr darüber, wie die Erwerbsarbeit der Zukunft aussehen kann. Es fehlt die Perspektive, gemeinsam für eine andere Arbeitsorganisation zu kämpfen. Die Arbeitsbedingungen des Einzelnen sind dann am besten, wenn alle gleichberechtigt am Arbeitsleben teilnehmen. Und alle Menschen können dann die meiste Freizeit haben, wenn die Arbeit gleichmäßig verteilt ist. Daher setzt die Fraktion DIE LINKE. auf eine soziale Mindestsicherung für alle, die arm sind, also arbeitslos, krank oder erwerbsunfähig, die sich in Ausbildung befinden, zuwenig Einkommen oder im Alter einfach zuwenig zum Leben haben. Ziel ist es, die sozialstaatliche Verpflichtung zur Schaffung eines wirksamen und zuverlässigen Schutzes vor Armut und sozialer Ausgrenzung wieder aufzugreifen und ihr in einer bürgerrechtlich vertretbaren, repressions- und diskriminierungsfreien Form nachzukommen. Die Grundsicherung soll Armut und Abhängigkeit überwinden und die Mindestbedingungen für ein selbstbestimmtes Leben aller garantieren. Um die steuerfinanzierten Systeme des ALG II, der Sozialhilfe und Grundsicherung im Alter sowie bei Erwerbsunfähigkeit zu einer wirklichen Grundsicherung zu entwickeln, müssen die Regelleistungen auf ein am Bedarf der Betroffenen orientiertes Niveau angehoben werden. Bedarfsorientiert heißt dabei armutsvermeidend und gesellschaftliche Teilhabe sichernd. Jeder und jede, jedes Paar, jede Familie mit Kindern dürfen nicht weniger im Monat zur Verfügung als zum Erreichen der Armutsrisikogrenze (60% des mittleren personengewichteten Haushaltseinkommens) notwendig ist. Für Alleinstehende hieße dies zwischen 860 und 940 Euro und für eine Familie mit zwei kleinen Kindern nicht weniger als 2000 Euro. Eine soziale Grundsicherung muss außerdem repressionsfrei und individuell gewährt werden, d.h. dass Verwandte nicht untereinander für das Lebensnotwendige aufkommen müssen. Auch dürfen aufgebaute Altersicherungen nicht zerstört werden. Eine solche Grundsicherung ist keine ferne Utopie, sondern kann schrittweise auf Basis bestehender Regelungen entwickelt werden. Deshalb fordert DIE LINKE. die Anhebung der Regelsätze auf 500 Euro, höhere Freibeträge für Vermögen (insbesondere für die Alterssicherung), deutlich höhere Freibeträge bei der Anrechnung von Partnereinkommen und eine Neuregelung der Zumutbarkeit von Arbeit, die sich am Qualifikationsschutz sowie an Tarif- und Mindestlohnstandards orientiert, die Anforderungen ab Flexibilität und Mobilität entschärft und die politische und religiöse Gewissensfreiheit berücksichtigt. Dies sind erste Schritte zu einer sozialen Grundsicherung, die diesen Namen auch verdient. Des Weiteren gehören neben höheren Bedarfssätzen auch umfassende Unterstützungsleistungen für Bedürftige zu einem solchen Modell - beispielsweise, indem Weiterbildungsmaßnahmen vermittelt, Schuldnerberatung angeboten oder Therapiemöglichkeiten aufgezeigt werden. Im gegenwärtigen System stehen stattdessen Repression und eine reine Verwaltung der Armut im Vordergrund. Um Auswege aus der Armut aufzuzeigen und zu ermöglichen, reicht es nicht, die Menschen einfach mit Grundeinkommen sich selbst zu überlassen. Notwendig ist daher nicht die Abschaffung der Verwaltung, sondern ihre Umgestaltung. Wir brauchen eine repressionsfreie öffentliche Unterstützungsstruktur, die für die Menschen da ist, sie darin unterstützt, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und ihnen ermöglicht, dieses mitzugestalten - nicht aber Ämter, die Menschen als Kostenfaktoren verwalten und durch restriktive Behandlung ihrer Möglichkeiten berauben.
Gemeinsam mit linken Gewerkschaftsmitgliedern setzen wir der kapitalistischen Ausbeutung das Leitbild guter Arbeit entgegen. Es geht uns nicht darum, endlich nicht mehr von der Arbeitsgesellschaft zu reden, sondern diese von links neu zu entwerfen und radikal zu verändern. Die Entkopplung von Einkommen und Arbeit als zentrale Idee des bedingungslosen Grundeinkommens wirkt diesem Ziel entgegen, weil sie auf Individualisierung setzt und damit die Entwicklung kollektiver Perspektiven einer gesellschaftlich sinnvollen und somit nicht-ausbeuterischen Arbeit versperrt.
Näheres zur bedarfsdeckenden Mindestsicherung finden Sie hier: http://dokumente.linksfraktion.net/drucksachen/7781759280_1700659.pdf

Mit freundlichen Grüßen,
Herbert Schui