Helmut Scholz
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DIE LINKE
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Frage von Mareike W. •

Frage an Helmut Scholz von Mareike W. bezüglich Menschenrechte

Sehr geehrter Herr Scholz, ich möchte von ihnen gerne wissen was sie tun, um auf europäischen Grund für die Geflüchteten auf Lesbos und in allen weiteren überfüllten Flüchtlingslagern geltendes Menschenrecht einzufordern und umzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen

Helmut Scholz
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Wanke,

ich bedanke mich für Ihre Frage.

Meine Fraktionskollegin Cornelia Ernst war in den letzten Jahren mehrfach in den Lagern vor Ort und sie bezieht klar Stellung, welche ich vollumfänglich mittrage: „Dass es das unmenschliche Hotspot-System gibt, daran haben die bisherigen Regierungen unter Bundeskanzlerin Merkel wesentliche Schuld. Solche Lager sind nicht der ordentliche Normalzustand in der EU, sondern die gewollte Folge des mittlerweile gescheiterten EU-Türkei-Deals, der maßgeblich von Berlin aus eingefädelt wurde. Die eigentlichen EU-Gesetze, das individuelle Recht auf Asyl wurde und wird dafür jeden Tag in tausenden Fällen gebrochen. Wir fordern die Kommission und die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, noch in diesem Jahr Schluss zu machen mit dem unmenschlichen System Hotspot.“

Die Nachrichten aus Lesbos sind schockierend. Das dortige Camp war schon lange hoffnungslos überfüllt, die Bedingungen katastrophal und es war nur eine Frage der Zeit, bis das Corona-Virus das Lager erreicht. Das Lager wurde 2015 (!) errichtet – weil keine EU-gemeinschaftliche, schon damals längst überfällige Reform der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik unternommen wurde.

Die aktuelle Katastrophe war vorhersehbar. Es ist eine Schande für die 27 EU-Mitgliedstaaten, dass sie nicht verhindert werden konnte.

Die Bereitschaft vieler Städte und Regionen in einzelnen Mitgliedstaaten, die vorhandenen und zum Teil freien und ungenutzten Kapazitäten in Flüchtlingsunterkünften unkompliziert und schnell zur Verfügung zu stellen, sollte nunmehr als eine neue, zumindest kleine Chance für ein gemeinsames Umdenken aufgenommen werden. Allein in Deutschland sind viele Kommunen und Städte bereit, sofort Geflüchtete aufzunehmen. Unterbringungsprobleme gäbe es keine. Darüber hinaus haben sich einige Bundesländer, auch mit Regierungsbeteiligung der LINKEN, zu zusätzlichen Aufnahmeprogrammen bereit erklärt. So gesehen ist sofortige Hilfe möglich.

Langfristig bedarf es nach wie vor einer grundlegenden Reform des Asylsystems, insbesondere der Dublin-II-Verordnung. Das Europäische Parlament hat bereits vor mehreren Jahren eine Position erarbeitet, mit der eine humanitäre Katastrophe wie diese von vornherein hätte verhindert werden können. Die Regierungen und politischen Mehrheiten in den EU-Mitgliedsstaaten waren allerdings seit fünf (!) Jahren nicht in der Lage, im Europäischen Rat auch nur ein Verhandlungsmandat zu beschließen. Jede Änderung der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik blieb somit blockiert.

Sehr geehrte Frau Wanke,
die Europäische Kommission hat nun für Ende September einen neuen "Pakt für Migration und Asyl" angekündigt. Ich kann Ihnen versichern, dass DIE LINKE. im Europäischen Parlament alles in ihrer Macht stehende tun wird, damit dieser Pakt auf Solidarität und einer gerechten Aufteilung der Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten beruhen wird. Zugleich möchte ich darauf verweisen, dass die linke Fraktion im Europäischen Parlament zahlreiche praktische Schritte unternommen hat, um z. B. die Initiativen zur Seenotrettung im Mittelmeer (Sea Watch u.a.) zu unterstützen, dass wir den Aufbau des FRONTEX-Systems ablehnen, und immer wieder die völkerrechtliche Verantwortung aller EU-Mitgliedstaaten für eine humanitäre und solidarische Neugestaltung der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik in konkrete Vorschläge haben einfließen lassen (www.guengl.eu). Deshalb werden auch die von Ihnen aufgeworfenen Fragen einen wichtigen Platz hinsichtlich der Themenfestlegungen in der bevorstehenden Konferenz über die Zukunft Europas einnehmen. Ich werde mich dahingehend aktiv dafür einsetzen.

Ich möchte Sie bitten, sich auch gegenüber der Bundesregierung und anderen nationalen Regierungen, sowie den sie tragenden Abgeordneten in Bund und Land, weiter zu engagieren - damit diese sich nicht hinter der zynischen Ausrede der Notwendigkeit einer europäischen Lösung verstecken und sofort beginnen, humanistisch und in Übereinstimmung mit allen internationalen völkerrechtlichen Pflichten und Möglichkeiten endlich zu agieren!

Mit der Verantwortung der turnusmäßigen EU-Ratspräsidentschaft ist die deutsche Bundesregierung in den verbleibenden Monaten bis zum Jahresende 2020 einer doppelten Verantwortung verpflichtet: Sie muss mit der Aufnahme der Moria-Geflüchteten beginnen und so ein Zeichen für Europa setzen.

Die kurzfristige Lösung für Moria liegt auf dem Tisch: Die EU kann und muss dringend humanitäre und medizinische Hilfe leisten, die Menschen so schnell wie möglich evakuieren und in andere EU-Mitgliedstaaten umsiedeln - sowie das Lager endgültig schließen.

Auf EU-Ebene gilt es darüber hinaus, sich für die Abschaffung des Hotspot-Systems, die Auflösung aller Hotspot-Lager und für eine finanzielle Unterstützung der auf den griechischen Inseln betroffenen Bevölkerung einzusetzen. Die Schutzsuchenden aus diesen Lagern sind im Rahmen eines fairen Aufnahmesystems auf andere EU-Mitgliedstaaten zu verteilen und dabei müssen die Interessen und bestehenden sozialen Kontakte der Geflüchteten zentral berücksichtigt werden.

Mit freundlichen Grüßen

Helmut Scholz

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