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Heidi Kosche
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Ada A. •

Frage an Heidi Kosche von Ada A. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Kosche,

1. Ich finde es sehr gut, dass Sie den erfolgreichen Volksentscheid des Berliner Wassertisches unterstützt haben - und, dass Sie auf Einsicht der Senats-Wasserverträge geklagt hatten.
Wie geht die Sache nun aber weiter? Der Wassertisch sagt, 25 % der Abgeordneten im Berliner Abgeordnetenhaus müssten eine Normenkontrollklage machen, damit eine Rekommunalisierung der teilprivatisierten Wasserbetriebe in Angriff genommen werden kann.
Machen Sie und Ihre Grünen-Fraktion jetzt endlich diese Normenkontrollklage?

2. Die Grünen Ihrer Abgeordnetenhaus- Fraktion haben in der Abendschau (TV) vor einigen Wochen gesagt, dass sie die Sozialleistungen in Berlin noch weiter kürzen wollen. Welche Sozialleistungen meinten die Grünen damit konkret? Wollen sie die kommunalen Mietzahlungen für Hartz-IV-Berechtigte kürzen? Dann würden diese noch zahlreicher an den Stadtrand verdrängt, wo es niedrigere Mieten gibt und es käme zu einer noch größeren Ghettoisierung! Oder was sonst planen die Grünen für Kürzungen im Sozialbereich? Wie könnten Sie so eine unsoziale Politik mit Ihrem Gewissen vereinbaren, wo sich die Abgeordnetenhaus-Grünen gemeinsam mit den anderen Parteien selbst erst kürzlich ihre Einkommen (Diäten) großzügig um fast 10 % erhöht haben?

Würden Sie als direkt gewählte Abgeordnete gegen die Gesetzesvorlagen Ihrer Fraktionsvorsitzenden stimmen, wenn diese finanzielle Verschlechterungen gegen Hartz-IV-Berechtigte oder andere Arme durchsetzen wollen?
Frau Künast will den ÖBS (Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor) abschaffen. Wie stehen Sie dazu? Welche Alternativen wollen die Grünen den Betroffenen dafür bieten?
Was wollen Sie als Direktkandidatin konkret für die Armen und NiedriglöhnerInnen, MinijoberInnen und LeiharbeiterInnen, die oft durch mangelhafte Ernährung (wegen zu wenig Geld u.a. wegen der unsozialen SPD und Grünen "Agenda 2010" - Politik ) gesundheiltlich geschädigt sind, tun?

Mit freundlichen Grüßen
A. Adler

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Hallo Frau Adler,
ich habe Ihre Fragen weiter nummeriert, damit auch andere sich in Frage-Antwort zurecht finden.

zu 1.
Seit den ersten Absichten zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe haben sich die Fraktion als auch die Partei von Bündnis90/Die Grünen dagegen ausgesprochen. Wir haben gegen diese Teilprivatisierung der BWB Politik gemacht - im Abgeordnetenhaus mit alternativen Konzepten und haben mit einer anderen Fraktion Klage eingereicht. Wir sind gegen Privatisierungen besonders in der Daseinsvorsoge, aber wir sagen auch, dass Verkäufe von Berliner Eigentum diesen Landeshaushalt nicht sanieren. Dazu können Sie sich gerne die Aufstellung unseres Haushaltsexperten Jochen Esser ansehen, der die Vermögensverkäufe von Rot-Rot in den letzten 10 Jahren aufgelistet hat. Trotz dieser Verkäufe und auch der Verschlimmerung durch die 5. Änderungsvereinbarung zum Konsortialvertrag hat Rot-Rot die Verschuldung des Landes in den letzten Jahren von 40 Milliarden Euro auf über 60 Milliarden hoch getrieben. Also: Verkäufe von Landesvermögen retten den Berliner Landeshaushalt nicht, auch wenn andere Parteien ihre Verkaufspolitik damit zu rechtfertigen versuchen.
Seit 2006 berate ich mit meiner Fraktion, wann Normenkontrollklagen zu welchen spezifischen Ansatz der Rekommunalisierung sinnvoll sind, um die Teilprivatisierung der BWB rückgängig zu machen. Für eine Normenkontrollklage aber, so wie sie derzeit von einigen Aktivisten des Berliner Wassertisches vorgeschlagen werden, sind 25% der Abgeordneten ötigt. Dazu reichen die Abgeordneten der derzeitigen grünen Fraktion nicht aus! Dazu kommt, dass ich selber nicht sicher bin, ob das Instrument einer Normenkontroillklage gegen das Berliner Betriebegestz das richtige Instrument ist. Verschiedene Juristen sagen einem da immer was Anderes. Wenn so eine Normenkontrollklage erfolgsversprechend ist, werde ich mich dafür einsetzen und bin mir sicher, dass die Grüne Fraktion dem folgt.
Aktivisten des Berliner Wassertisches arbeiten derzeit an verschiedenen Fronten: es gibt das Klärwerk. Dort arbeiten Wassertischler den Privatisierungsweg des Landes Berlin auf in der Hoffnung, einen Ansatz zu Rückabwicklung der Verträge zu finden. Es gibt ein unabhängige Juristengruppe, die mit Prof. Kessler versucht, über EU Recht die verträge zu Fall zu bringen. Sie sehen also, der Berliner Wassertisch arbeitet ernsthast an Lösungen.

Zu 2.1
Nicht Bündnis90/Die Grünen, sondern Rot-Rot hat einen beispiellosen Sozialabbau mit massiven Kürzungen in der sozialen Infrastruktur betrieben. Die Einsparungen der letzten Jahre sind vor allem auf Kosten präventiver, „freiwilliger sozialer Leistungen“ realisiert worden, die nicht als Rechtsanspruch gesetzlich verankert sind. Dazu gehören quartiersnahe Angebote, Angebote der Nachbarschaftsarbeit, Angebote, die Bezirke aufgrund ihrer Finanzknappheit nicht mehr leisten können.

Das System der sozialen Hilfen in Deutschland - aber auch in Berlin - droht finanziell und inhaltlich außer Kontrolle zu geraten. Dazu tragen nicht nur die demographische Entwicklung, der medizinische Fortschritt, hohe Arbeitslosigkeit und Bildungsmisere bei. Eine wesentliche Rolle spielt auch die Versäulung unseres Sozialsystems und die zunehmende Entwicklung weg von ganzheitlichen Unterstützungsangeboten hin zu spezialisierten Einzelleistungen auf der Basis von Einzelbewilligungen bestimmter Hilfeleistungen durch die Ämter. Die Unterstützungsbedürfnisse von Menschen werden aus dem „normalen Leben“ ausgegliedert und zu speziellen Hilfeanbietern delegiert, die auf der Basis individueller Bescheide arbeiten. Dies führt dazu, dass viele Menschen von vielen verschiedenen Institutionen und Personen betreut und unterstützt werden. Gleichzeitig führt dies immer stärker zur Aussonderung aus dem gesellschaftlichen Umwelt. Um diese Hilfen zu finanzieren werden fallunspezifische und präventive Angebote immer weiter ausgedünnt. Dies ist nicht nur teuer, sondern im Regelfall auch für die betroffenen Menschen unangemessen.
Wir wollen soziale Leistungen nicht kürzen, sondern effektiver einsetzen, damit mehr bei den betroffenen Menschen ankommt.
Wir wollen daher von Berlin aus die bundesweiten Diskussionen aufnehmen und einen Modellversuch „Sozialraumbudgets“ starten. Sozialraumbudgets und sozialräumliche Steuerung sind fachlich unbestritten und als sinnvollere Steuerungsformen als die jetzigen versäulten Modelle anerkannt. In so einem Modellversuch geht es darum, den Weg zu einer flächendeckenden Implementierung der sozialräumlichen Steuerung von Fachpolitiken aber auch Finanzressourcen aufzuzeigen.

Zu 2.2
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben in der Rot-Grünen Regierung die sogenannte Hartz-IV-Reform mit getragen - ein schmerzhafter Kompromiss. Damals schon wurde aber im Gesetz geregelt, dass der Bedarf jährlich festgestellt werden muss. Dies geschieht aber nicht. Wir haben daraufhin Vorschläge entwickelt, wie weitere Fehlentwicklungen beseitigt werden können. Mit der Grünen Grundsicherung liegt ein Konzept auf dem Tisch, durch das die ursprünglichen Ziele der Reform erreicht werden können: eine armutsfeste Existenzsicherung und eine Politik des Förderns, der Motivation und der Anerkennung, die ohne Sanktionen auskommt. Wir fordern konkret:
- Die Regelsätze des Arbeitslosengeldes II müssen für einen alleinstehenden Erwachsenen auf mindestens 420 Euro angehoben und in regelmäßigen Abständen an die Preisentwicklung angepasst werden.
- Kinder und Jugendliche brauchen eigenständige Regelsätze. Diese müssen ihren tatsächlichen altersgerechten Bedarf berücksichtigen.
- Bedarfsgemeinschaften müssen abgeschafft werden. Sie benachteiligen vor allem Frauen und zementieren ihre finanzielle Abhängigkeit. Dies wollen wir über eine erhebliche Abschmelzung des Ehegattensplittings finanzieren.Wer ALG II bezieht, muss gleichzeitig bessere Möglichkeiten haben, sich Geld dazu zu verdienen.
Abschließend: JA, ich würde dagegen stimmen wenn es im Abgeordnetenhaus zu einer Abstimmung käme, die eine Verschlechterung für ALG II Bezieher beinhaltet, egal welche Partei diese vorlegt.
Als DIREKT GEWÄHLTE ABGEORDNETE des Wahlkreises habe ich mich um die Obdachlosen besonders gekümmert und unterstütze seit Jahren zwei Obdachlosenprojekte, eines in der Nostizstr. und eines in der Gitschienerstr. Einerseits spende ich selber aber ich bemühe mich auch, von Anderen Spenden für diese Projekte zu bekommen, übrigens erfolgreich. Zusammen mit Christian Ströbele bin ich Botschafterin für diese Projekte und ich bin das sehr gern.

2.3
ÖBS: Es stimmt nicht, dass wir einen Öffentlich geförderten Sektor ablehnen bzw. abschaffen wollen, aber wir lehnen das Konstrukt, das Rot-Rot gewählt hat ab, weil es kein nachhaltiges Modell ist. Die Bundesregierung zieht sich immer mehr aus der Verantwortung für langzeitarbeitslose Menschen zurück. Wir wollen nicht, dass diese Frauen und Männer, die auch bei sich verbessernder Wirtschaftslage kaum Chancen auf einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, abgehängt werden. Wir wissen: Die gesellschaftliche Integration langzeitarbeitsloser Menschen gelingt am besten durch Integration in Arbeit. Wir wollen für diese Menschen zusammen mit den Jobcentern ein Landesbeschäftigungsprogramm ins Leben rufen, das befristete qualifizierende Beschäftigungen anbietet. Ein solches Programm garantiert allgemeinen gesellschaftlichen Nutzen und den Beschäftigten gleichzeitig gesellschaftliche Anerkennung.
Ein immenser Handlungsbedarf besteht bei der Pflege öffentlicher infrastruktureller Einrichtungen, für die keine kurzfristigen Sanierungen oder Instandsetzungen aus öffentlichen Mitteln vorgesehen sind. Zusammen mit den Bezirken könnte hier ein nachhaltiges Beschäftigungsfeld aufgebaut werden. Ein aktualisiertes arbeitsmarktpolitisches Rahmenprogramm (ARP) sorgt für die Umsetzung des Konzepts, das zusätzlich und im öffentlichen Interesse ist, aber ohne die Positivliste auskommen wird. Über eine Bundesratsinitiative werden wir uns erneut für die Kapitalisierung des Arbeitslosengeldes II einsetzen.

2.4
Auch wenn die politischen Entscheidungen zur Verhinderung und Bekämpfung der Armut insbesondere auf der Bundesebene fallen, ist die Landes- und die Kommunalpolitik in der Gestaltung von Bildungs-, Arbeitsmarkt- und sozialer Stadtpolitik in der Pflicht. Die Bekämpfung sozialer Ausgrenzung und das Eröffnen von Teilhabechancen ist ureigenste Aufgabe von Landes- und Kommunalpolitik.
Für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen wird der Wohnraum vor allem in der Innenstadt unbezahlbar. Das weii ich besonders aus dem WK 1, in dem ich kandidiere. Hier gilt es sicherzustellen, dass auch Menschen mit wenig Geld - insbesondere auch ältere Menschen - in ihren Kiezen wohnen bleiben können. Dies macht eine aktive Steuerung des Wohnungsmarktes für diesen Personenkreis erforderlich.
Grundsätzlich sollte das Land Berlin Rechtsänderungen auf Bundesebene anstoßen, wenn bundesrechtliche Regelungen Armutsentwicklung begünstigen. Insbesondere für Menschen mit einer unterbrochenen Erwerbsbiografie, aber auch für Menschen, die aufgrund ihrer Tätigkeit im Niedriglohnbereich im Alter auf ergänzende Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind, brauchen wir eine Mindestsicherung, die so ausgestattet ist, dass sie einen nachhaltigen Schutz gegen Altersarmut darstellt. Zudem ist es notwendig, für langzeiterwerbslose Menschen wieder angemessene Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen.

2.5
Die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, die Verbesserung der Rahmenbedingungen, um prekäre Beschäftigung zurückzudrängen, sind ebenso zentrale Ansatzpunkte, um Armut von erwerbstätigen Menschen und ihrer Familien zu vermeiden. Armutsbekämpfung kann nur dann wirksam sein, wenn ein ganzheitlicher, vernetzter Ansatz gewählt wird, der soziale, gesundheitliche und bildungspolitische Aspekte berücksichtigt. Ein besonderen Schwerpunkt muss in der aktiven und präventiven Armutsbekämpfung liegen.
Um die Entstehung von Armutslagen zukünftig zu mindern, brauchen wir ein Umsteuern der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe von der Krisenintervention hin zu präventiven Maßnahmen. Einen zukunftsweisenden Ansatz zur Bekämpfung der Folgen der Kinderarmut stellen sog. „Präventionsketten“ dar. Dieser Ansatz sieht vor, zum frühest möglichen Zeitpunkt Probleme anzugehen und Ressourcen zu stärken. Dies setzt eine präventive Ausrichtung der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, sowie des Bildungssystems voraus.

Herzliche Grüsse

Heidi Kosche, MdA