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Fabio De Masi
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Frage von Petra A. •

Frage an Fabio De Masi von Petra A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr De Masi,

wenn eine Zuwanderung unkontrolliert und nicht in Abstimmung mit den Menschen sondern rein aus ökonomischen oder politischen Gründen erfolgt, ist diese dann gut? Verlierer sind aus meiner Sicht unqualifizierte Zuwanderer, die mit zu großen Erwartungen und Versprechungen nach Deutschland kommen, aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herausgerissen werden und mit der Kultur und der Gesellschaft in unserem Land nicht zurechtkommen. Aber aus meiner Sicht kann auch die hiesige Bevölkerung ein Verlierer sein, wenn eine zu hohe Zuwanderung zu Arbeitsplatzmangel und Ghettoisierung ihres Lebensumfeldes führt, der Sozialstaat belastet wird und somit der Innere Frieden gestört wird. Stimmen Sie dem zu?

Gerne sende ich Ihnen diesen Link mit:

www.fr-online.de/arbeit---soziales/armutsmigration-riexinger-greift-csu-an,1473632,25746234.html

Wie Sie anhand dieses Links sehen können, sagte Herr Riexinger u.a. folgendes:

"Wenn eine Regierungspartei gegen Ausländer hetzt, darf man sich nicht wundern, wenn braune Gewaltbanden Taten folgen lassen. Hetze hilft niemandem."

Was soll denn an dem CSU-Vorstoß "Hetze" sein? Bisher stand besagten Personen meines Wissens diese Sozialleistungen auch nicht zu, oder wie wurde das bis 2013 gehandhabt?

Bei rp-online.de steht u.a. folgende Arbeitsmarktprognose:

"Arbeitslose würden von den neu geschaffenen Arbeitsplätzen aber nur vergleichsweise wenig profitieren. Ihnen fehle es oft an der erforderlich Qualifikation. "Arbeitslose und das Angebot an offenen Stellen passen oftmals nicht zusammen", stellen die IAB-Wissenschaftler fest. Daher würden Unternehmen neue Stellen immer häufiger mit gut ausgebildeten Zuwanderern aus Süd- und Osteuropa besetzen".

Wenn man dieser Prognose glauben darf, wird es für viele Arbeitslose wohl keine neue Chance auf einen neuen Job geben.
Warum missachtet die Politik das?

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Petra Althoff

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Antwort von
BSW

 Sehr geehrte Frau Dr. Althoff,

vielen Dank für Ihre Zuschrift. Sie sprechen ein wichtiges Thema an:

DIE LINKE will keine EU in der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um die niedrigsten Löhne konkurrieren.

Wir streiten für das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Dies bedeutet, dass sich etwa die Bezahlung eines Zuwanderers oder entsandten Beschäftigten in Deutschland nach dem Tarif vor Ort (Bestimmungslandprinzip) nicht nach der Herkunft des Unternehmens (Herkunftslandprinzip) richten sollte. Wir haben unter anderem die EU-Verträge abgelehnt, weil Tariftreue, Streikrecht etc. gegenüber den Binnenmarktfreiheiten der Unternehmen (Dienstleistungs-, Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit) unzureichend geschützt sind.

Die CSU fördert "Prostitution am Arbeitsmarkt" und hat sich erst kürzlich im Europäischen Parlament gegen eine strenge und lückenlose Haftung von Unternehmen (Generalunternehmerhaftung) - etwa bei Nicht-Einhaltung von Mindestlöhnen durch Subunternehmen - ausgesprochen. Immer mehr Zuwanderer werden aber in Scheinselbständigkeit gedrängt, etwa um existierende (allgemeinverbindliche) Mindestlöhne (z.B. im Reinigungsgewerbe) zu umgehen und Sozialabgaben zu sparen. Es existiert ein regelrechter Arbeiterstrich. Die ausgebeuteten Zuwanderer werden dann als Aufstocker zum Amt geschickt, obwohl von den Auftraggebern eigentllich die Differenz zum Mindestlohn sowie Rentenbeiträge nachzuzahlen wären und das Zollamt einzuschalten wäre. DIE LINKE kämpft gegen diesen arbeitgeberseitigen "Sozialmissbrauch der Bosse".

Die CSU hat in dieser Debatte vor einem Sozialmissbrauch durch rumänische und bulgarische Zuwanderer gewarnt und Wiedereinreisesperren verlangt ("Wer betrügt, der fliegt"). Das lenkt vom Kern des Problems - Lohndumping - bewusst ab. Zu den Fakten: Der Anteil von Rumänen und Bulgaren an den etwa 6 Millionen Hartz IV Empfängern in Deutschland betrug im Juli 2013 ca. 38 000 Personen oder 0,6 Prozent. Etwa 90 Prozent der Bulgaren und Rumänen in Deutschland erhalten keinen Cent vom Staat und finanzieren mit Arbeit unsere Krankenhäuser und Schulen. In der Tat gibt es aber Probleme wie die Ghettoisierung von Wohnvierteln, Ausbeutung durch Miethaie, Kinder die nicht zur Schule gehen etc. Hier ist aber nicht der Missbrauch von Sozialleistungen das Problem sondern Überforderung von Kommunen und unzureichender Behördenkontakt. Die Bundesregierung lässt jedoch die Kommunen im Stich. Sie ruft etwa drei Milliarden Euro an EU-Integrationshilfen jährlich nicht ab. Allein durch Steuerhinterziehung- und vermeidung verliert Deutschland jährlich etwa 160 Milliarden Euro bzw. einen halben Staatshaushalt. Das ist Diebstahl - auch an den Kommunen. Für die Steuermafia und ihre Amigos in der CSU gilt aber weiterhin: "Wer betrügt, fliegt erste Klasse!"

Zum Vergleich: Die kühnste Prognose erwartet etwa 180 000 Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien (wobei laut Studien der größte Teil der auswanderungswilligen Rumänen und Bulgaren bereits im EU-Ausland lebt - zum Beispiel in Italien oder Spanien - und vielmehr durch die krisenverschärfenden Kürzungspakte auf dem Umweg nach Deutschland kommt). Würden sie alle Hartz IV beziehen - was völlig unrealistisch ist - kostete das 800 Millionen Euro (ein Viertel der nicht abgerufenen Integrationshilfen). Alle zukünftigen rumänischen und bulgarischen Zuwanderer müssten 200 Jahre Hartz IV beziehen, damit es soviel kostet wie Steuertricks und Steuertourismus unter Patronage der CSU in nur einem Jahr anrichten.

Konkret zur Bewilligung von Sozialleistungen sowie den von der CSU geforderten Wiedereinreisesperren: Letztere sind im Rahmen der Freizügigkeit nur bei Gefahr für die öffentliche Ordnung zulässig. Rechtliche Möglichkeiten, um ungerechtfertigten oder gar missbräuchlichen Ansprüchen auf Aufenthalt oder Sozialleistungen entgegenzuwirken, gibt es bereits jetzt im deutschen Recht. Jährlich werden etwa nur 700 Personen von 400 000 hier lebenden Rumänen und Bulgaren deshalb zur Ausreise aufgefordert. Die Forderung, Sozialleistungen während der ersten drei Monate auszuschließen, entspricht ohnehin der deutschen und europäischen Rechtslage.

Das deutsche Sozialrecht sieht darüber hinaus eine pauschale Ausschlussregelung für Unionsangehörige vor, die eine Arbeit suchen. Man muss arbeitsuchend sein, um Hartz IV in Anspruch zu nehmen. Sozialgerichte zweifeln, ob diese pauschale Regelung mit EU-Recht vereinbar ist. Demnach müsste in jedem Einzelfall geprüft und abgewogen werden, ob einer EU-Bürgerin oder einem EU-Bürger Leistungen zustehen oder nicht. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass Leistungen automatisch zustehen sondern nur, dass Unionsbürger Anspruch auf eine Einzelfallprüfung haben.

Abschließend: DIE LINKE kämpft für mehr gute Arbeit durch eine Stärkung der Binnennachfrage, z.B. über höhere öffentliche Investitionen, die durch gerechte Steuern auf hohe Einkommen und Vermögen von Millionären zu finanzieren sind. Wir wollen keinen Binnenmarkt der nach den Interessen von Lohndrückern und großen Konzernen zugerichtet ist und gerade in Osteuropa die Wirtschaft und die Beschäftigungsperspektiven der dort lebenden Menschen zerstört.

Ich hoffe ich konnte Ihre Fragen hiermit hinreichend beantworten.

Mit freundlichen Grüßen nach Chemnitz,
Fabio De Masi