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Dietmar Nietan
SPD
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Frage von Jutta A. •

Frage an Dietmar Nietan von Jutta A. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Nietan,

Ihr Parteikollege Karl Lauterbach sagt, dass er als einer der wenigen Linken Schröder unterstützt hat, bei dem was zweifellos das Kürzel für den Niedergang Ihrer Partei symbolisiert https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sozialleistungen-hartz-iv-ist-das-kuerzel-fuer-den-niedergang-der-spd-1.4288552 .

Wörtliches Zitat Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung): "Gerhard Schröder hat im Jahr 2005 auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos damit geprotzt, einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut zu haben. Es war also erklärtes Ziel der Agenda und von Hartz IV, die Löhne zu drücken und durch das Aufstockungssystem ein riesiges Lohnsubventionsprogramm für die Wirtschaft aufzulegen. Die Arbeitgeber zahlen Löhne unterhalb des Existenzminimums und der Staat zahlt was drauf, nicht ohne die Leute in eben diese prekäre Beschäftigung zu zwingen. Heute arbeitet fast jeder Vierte für Niedriglohn." https://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-viel-krach-im-haus-europa-1.3928935
Wie dieser Zwang - unter anderem - aussehen kann, zeigt dieses Urteil des Bundessozialgerichts http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=en&nr=15808 auf.

Jetzt, fast 15 Jahre!!! später, sagt Karl Lauterbach, HartzIV muss weg https://twitter.com/FerkelfabrikAT/status/1077115895032487936 .

HartzIV war und ist tatsächlich sehr erfolgreich, was die Entqualifizierung von Akademikern betraf und betrifft https://www.heise.de/tp/features/Exzellente-Entqualifizierung-3314378.html . Eine sehr spannende und für Millionen so erfahrene Realität im Niedrigstlohnsektor.

Meine Fragen:

Was verstehen Sie eigentlich unter Linken, überspitzt formuliert, eher Menschenfreunde oder eher Menschenfeinde?

Zählen Sie sich zu den Parteilinken?

Finden Sie das HartzIV-System eher menschenfreundlich oder eher menschenfeindlich?

Vielen Dank für eine Antwort.

Portrait Dietmar Nietan
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Anderson,

vielen Dank für Ihr Schreiben. Bitte entschuldigen Sie die verspätete Antwort.

Mit der Agenda 2010 hat die SPD einen der umfangreichsten Reformpakete in der Geschichte der Bundesrepublik umgesetzt. Auch im Nachhinein halte ich einiges für richtig. Der Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen, die verstärkte Förderung von Hochschulen oder den Atomausstieg begrüße ich noch heute. Ich gebe Ihnen aber recht, gerade im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen haben wir Fehler gemacht. Vieles war sozial nicht ausgeglichen und deshalb hadert die SPD bis heute damit. Wenn sich Gerhard Schröder damit brüstet, den größten Niedriglohnsektor Europas geschaffen zu haben, dann finde ich das völlig fehl am Platz.

Wir haben in der Vergangenheit aber auch vieles getan, um die Fehler zu beheben. Im Bereich von Hartz IV. hat die SPD in den vergangenen Jahren gegen den Widerstand der Union einiges entschärfen können, so wurden Sanktionen gelockert und wir haben höhere Freibeträge durchgesetzt. Die Leiharbeit wurde von uns neu geregelt, sodass sie wieder auf ihre Kernaufgabe zurückgeführt wurde, Auftragsspitzen zu bewältigen. Wir haben die Parität für die Krankenkassenbeiträge wieder eingeführt, sodass nun Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer wieder zu jeweils zu 50 % die Beiträge zahlen. Auch gegen den Niedriglohnsektor haben wir etwas getan, denn seit 2017 gibt es einen bundesweiten Mindestlohn von inzwischen 9,35 Euro. Dieser reicht zwar längst noch nicht aus, verbessert aber die Lage von prekär Beschäftigten immerhin etwas.

Gerne möchte ich Sie darauf hinweisen, dass wir unlängst erklärt haben: wir wollen Hartz IV. hinter uns lassen. Wir haben deshalb ein Sozialstaatskonzept entwickelt, das im vergangenen Dezember vom Parteitag beschlossen wurde. Hartz IV. soll endlich abgeschafft und stattdessen ein Bürgergeld eingeführt werden. Unwürdige Sanktionen fallen damit weg. Außerdem wollen wir, dass das ALG I länger gezahlt werden kann. Das wollen wir von Qualifizierung und der Lebensleistung abhängig machen. Ich finde, wenn jemand lange gearbeitet hat, dann soll er nicht nach nur einem Jahr Arbeitslosigkeit seinen hart erwirtschafteten Lebensstandard aufgeben müssen. Um die Lage prekär Beschäftigter deutlich zu verbessern, fordern wir endlich einen Mindestlohn von 12 Euro. Unsere umfangreiche Vorstellung von einem Sozialstaat der Zukunft finden Sie im ausführlichen Konzept hier...

https://www.spd.de/fileadmin/Bilder/SPDerneuern/201902_PV-Klausur/20190210_Neuer_Sozialstaat.pdf >

oder auch eine Zusammenfassung dessen hier...

https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Flugblaetter/2019_Q1/ZiA_Flugblatt_Sozialstaat.pdf >

Sie verweisen auf einen Artikel von Heribert Prantl. Eben dieser hat auch einen Artikel zu dem beschlossenen Sozialstaatspapier geschrieben. Er spricht angesichts unseres Konzeptes von einer Wiederauferstehung und lobt ausdrücklich dieses Programm und den neuen Kurs der SPD.

Gerne können Sie seine Meinung dazu hier nachlesen: https://www.sueddeutsche.de/politik/spd-parteitag-sozialstaat-meinung-1.4721976

Unsere Vision von einem anderen Sozialstaat sollte uns Mut machen, endlich in die Zukunft zu blicken, anstatt sich 17 Jahre nach der Agenda 2010 immer noch mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Man sollte die SPD deshalb auch nicht mehr an Fehlern von 2003 messen, sondern an dem, was wir heute für die Zukunft erreichen wollen. Unser Sozialstaatspapier ist eine Vision von einem sozial gerechteren Land, weder die Grünen noch die Linken können ein ähnlich visionäres Konzept vorweisen. Jetzt kommt es darauf an, neue Mehrheiten zu erlangen. Mit der Union werden wir eine sozial gerechtere Zukunft nicht gestalten können.

Zu Ihren abschließenden Fragen: Ja, ich bin ein Linker und nein, linke Politik ist nicht menschenfeindlich. Linke Politik soll das Leben der Menschen zum Guten gestalten und die Gesellschaft zusammenhalten. Ich gebe aber zu, dass es immer schwieriger wird, die Spaltungen (Stadt/Land; Arm/Reich; Alt/Jung etc.) in der Gesellschaft zu überwinden und die Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Aber ich bin mir sicher, dass wir mit unserem Sozialstaatspapier diesem Ziel einen Schritt näher kommen. Damit wir das aber umsetzen können, bedarf es entsprechender Mehrheiten, auch abseits der Union.

Ich lade Sie herzlich ein, sich an den Diskussionen um eine neue Sozialpolitik zu beteiligen. Für Ideen und Anregungen ist die SPD immer dankbar! Ich danke Ihnen für Ihr Interesse!

Mit freundlichen Grüßen

Dietmar Nietan, MdB

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