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Brigitte Pothmer
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Frage von Bernd S. •

Frage an Brigitte Pothmer von Bernd S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Pothmer,

mit Erstaunen habe ich registriert, dass die mit vielem Getöse eingeführte "Mütterrente" an den Ärmsten vorbei gegangen ist? Bei BezieherInnen von Grundsicherung werden die Einkommen aus der "Mutterrente" im vollen Umfang mit den Grundsicherungsleistungen verrechnet. Wurde nicht postuliert, der Gesetzgeber wolle, dass gerade diejenigen Frauen, die wesentliche Teile ihres Lebens mit Kindererziehung verbracht haben und deshalb gar keine oder nur geringe Rentenansprüche erwerben konnten einen Ausgleich für ihre Lebensleistung bekommen? Die Realität sieht so aus, dass eben nur diejenigen profitieren, die bereits einen Rentenbezug oberhalb des Grundsicherungssatzes haben. Die schlechter gestellten haben im Zweifelsfall nicht einen Cent mehr in der Tasche.
Meine Fragen an Sie sind:
 War Ihnen bekannt, dass die Mütterrente im vollen Umfang mit Grundsicherungsleistungen verrechnet wird und ist dieses Verfahren in Ihrem Sinne?
 Ist es Realität, dass bedingt durch dieses Anrechnungsverfahren Kosten der Grundsicherung aus dem Sozial-Budget verlagert werden in die Rentenkassen und geschieht dies mit Ihrer Billigung?
 Sind Sie dafür, das Gesetz, bzw. dessen Umsetzung beizubehalten, oder meinen Sie es müssten Veränderungen vorgenommen werden, um die von mir beschriebenen Auswirkungen zu verbessern?

Mit freundlichem Gruß

Bernd Schumann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schumann,

haben Sie vielen Dank für Ihre kritische Nachfrage zur so genannten Mütterrente der schwarz-roten Bundesregierung. Ihr Befremden über die Anrechnung dieser Leistung bei der Grundsicherung kann ich sehr gut nachvollziehen. Wir Grünen haben diese Ungerechtigkeit wiederholt kritisiert und treten stattdessen für eine Rentenpolitik ein, die Altersarmut insbesondere von Frauen wirksam bekämpft.

In Anbetracht der großen sozialpolitischen Herausforderung einer zunehmenden Altersarmut kann das Rentenpaket der Bundesregierung nicht überzeugen. So erhalten zwar auch alle rund 300.000 Frauen mit vor 1992 geborenen Kindern, die auf Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen sind, die sogenannte Mütterrente. Da dieses zusätzliche Geld jedoch voll auf die Grundsicherung angerechnet wird, kann sich die finanzielle Situation dieser Frauen durch die Mütterrente nicht verbessern. Wie Sie richtig sagen, wird dadurch außerdem eine bisher steuerfinanzierte Leistung, die Grundsicherung, durch eine beitragsfinanzierte Leistung ersetzt.

Problematisch ist nämlich ferner, dass die Kosten für die verbesserte Anrechnung von Kindererziehungszeiten in Höhe von rund 6,7 Mrd. Euro jährlich nahezu komplett aus Beitragsmitteln der gesetzlichen Rentenversicherung finanziert werden sollen. Somit zahlen alle in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten über höhere Rentenbeiträge und geringere Renten für die verbesserten Leistungen. Die in berufsständischen Versorgungswerken versicherten Ärztinnen und Ärzte oder Abgeordnete müssen sich indes nicht an der Finanzierung beteiligen, erhalten aber, wenn sie Kinder erziehen, ebenfalls Leistungen der Rentenversicherung. Auch diese Ungerechtigkeiten haben wir im Gesetzgebungsprozess immer wieder thematisiert.

Aus unserer Sicht ist es die sozialpolitisch vordringliche Aufgabe, die Erziehungsleistung von eben solchen Frauen und Männern besser anzuerkennen, die auf Grund von Zeiten der Kindererziehung sehr niedrige Renten erwarten. Das grüne Konzept der steuerfinanzierten Garantierente führt ein Mindestniveau von rund 850 Euro für Versicherte mit 30 oder mehr Versicherungsjahren innerhalb der Rentenversicherung ein (vgl. Antrag „Altersarmut bekämpfen - Mit der Garantierente“ der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bundestagsdrucksache 17/13493). Indem - bis zum Inkrafttreten des Rechtanspruchs auf eine U3-Kinderbetreuung - Kindererziehung bis zum 10. Lebensjahr des jüngsten Kindes bei den Mitversicherungszeiten mitgezählt werden, profitieren insbesondere Frauen von dieser Rente. Im Gegensatz zur leidigen Debatte um die Anrechnung von Arbeitslosenzeiten bei der abschlagsfreien Rente ab 63 werden bei der Garantierente Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen keine Beiträge gezahlt wurden, Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit und Nichterwerbstätigkeit wegen Schwangerschaft oder Mutterschutz auf die 30 Versicherungsjahre angerechnet. Maßnahmen gegen Altersarmut müssen frühzeitig ergriffen werden, um langfristig eine Wirkung zu entfalten. Die grüne Garantierente ist konzeptionell ausgereift, nachhaltig finanzierbar und kann sofort umgesetzt werden. Die Rentenbiographien derjenigen, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, sind schon geschrieben. Präventive Maßnahmen allein reichen deshalb nicht mehr aus, um ihre Situation zu verbessern. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich aber darauf verlassen können, dass sie als langjährig Versicherte der gesetzlichen Rentenversicherung im Alter in der Regel nicht auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sein werden.

Über eine nachhaltigere Rentenpolitik hinaus bedarf es auch Vorkehrungen in der Arbeitsmarktpolitik, um insbesondere Frauen gleichberechtigte Möglichkeiten zu eröffnen, höhere eigenständige Rentenansprüche zu erwerben. Arbeitszeiten und Arbeitsumfang sind indes wenig flexibel und die Betreuungsinfrastruktur ist nicht ausreichend oder nicht in gewünschter Qualität vorhanden. Auch sind Frauen in der Arbeitswelt noch immer häufig schlechter gestellt als Männer. Ungleiche Bezahlung und unsichere Arbeitsverhältnisse sind für viele Frauen Realität. Frauen sind außerdem häufiger von Befristungen betroffen als Männer. Arbeit auf Zeit bedeutet oft geringere Bezahlung, weniger Weiterbildung und ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden. Atypische Arbeitsverhältnisse entwickeln sich vielfach zu einer beruflichen Sackgasse und erschweren darüber hinaus die langfristige Lebensplanung und Familiengründung.

Ich hoffe, dass ich Ihnen meine Position deutlich gemacht habe und verbleibe mit freundlichen Grüßen nach Hessisch Oldendorf, Brigitte Pothmer