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Benjamin Strasser
FDP
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Frage von Ulrich H. •

Frage an Benjamin Strasser von Ulrich H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Wären Sie bereit die Landesverfassung so zu ändern, dass Volksabstimmungen (nicht Bürgerbegehren) zu Themen, die die Bürger bewegen in Baden-Württemberg möglich werden.

Und finden Sie es legitim, dass der Souverän (das Volk) parlamentarische Entscheidungen über eine Volksabstimmung aufheben kann.

Beispiel:
Volksabstimmung zu Stuttgart 21.

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Hausknecht,

vielen Dank für Ihre Frage. Bitte entschuldigen Sie meine verspätete Antwort aufgrund der vielen Anfragen von Bürgern und Verbänden.

Bereits jetzt sind Volksabstimmungen gem. Art. 60 der Landesverfassung möglich. So kann der Landtag sowohl Volksabstimmungen über durch Volksbegehren eingebrachte Gesetzentwürfe abhalten, als auch über vom Landtag beschlossene Gesetze mit den Ausnahmen des Art. 60 Abs. 6 abstimmen lassen.

Die FDP sieht das drängendere Problem bei der mangelnden direkten Beteilung der Bürger vor allem in den hohen Hürden, die der Gesetzgeber an erfolgreiche Volksabstimmungen und Volksbegehren anlegt. Der FDP ist es bei den Koalitionsverhandlungen gelungen, mit der CDU - die bekanntlich direktdemokratischen Elementen sehr kritisch bis ablehnend gegenübersteht - erste Verbesserungen in diesem Bereich zu erreichen. Ergebnis war ein Gesetzentwurf über die Absenkung des Quorums in Art. 60 Abs. 5 der Landesverfassung (abrufbar unter http://www.landtag-bw.de/WP14/Drucksachen/7000/14_7308_D.PDF ). Die Änderung der Landesverfassung erfordert eine Zweidrittel-Mehrheit des Landtags, weshalb die CDU/FDP-Landesregierung auf die Zustimmung von SPD und Grünen angewiesen war. Rot-grün verweigerte jedoch die Zustimmung mit der Argumentation, der Entwurf gehe nicht weit genug. Diese Haltung ist sicher in gewisser Weise nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar ist für mich aber, dass man lieber den schlechteren aktuellen Stand in Kauf nimmt, anstatt kleinen Verbesserungen seine Zustimmung zu erteilen. Aufgrund der fehlenden Mehrheit zog die Landesregierung ihren Entwurf Ende des Jahres 2010 wieder zurück.

Die FDP fordert aber weiterhin nachdrücklich die Stärkung der Elemente direkter Demokratie, insbesondere auch bei Großprojekten. Für die Zukunft möchten aber auch wir noch weiter gehen: das Zustandekommen eines Volksbegehrens soll es künftig ausreichen, wenn es von mindestens 10% der Wahlberechtigten gestellt wird (Absenkung von 1/6 auf 1/10). Ein zur Volksabstimmung gestelltes Gesetz ist beschlossen, wenn es die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen findet und diese Mehrheit mindestens 20% (statt der geplanten 25%) der Stimmberechtigten ausmacht.

Abschließend möchte ich noch kurz auf Ihren konkreten Verweis auf die Debatte um Stuttgart 21 eingehen. Meiner Meinung nach ist eine Volksabstimmung zu Stuttgart 21 rechtlich nicht möglich. Zur Abstimmung gestellt werden können nämlich keine allgemeinen Fragen, sondern nur konkrete Gesetzentwürfe. Das Land Baden-Württemberg kann über das Bahnprojekt keine gesetzliche Regelung treffen. Der Landesgesetzgeber kann nur über solche Gegenstände entscheiden, die in der Kompetenz des Landes stehen. Über den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen der Eisenbahnen des Bundes entscheidet nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes jedoch alleine der Bund. Auch eine Volksabstimmung über ein „Ausstiegsgesetz“ aus der Finanzierung des Landes würde sich gegen die bereits im Staatshaushaltsgesetz enthaltenen Entscheidungen richten und wäre daher nach Artikel 60 Abs. 6 LV nicht volksabstimmungsfähig. Ebenso wenig möglich ist eine Abstimmung über den Weg des Art. 60 Abs. 3 LV. Die SPD verkennt aus meiner Sicht völlig, dass die Vorschrift eine Konfliktlage zwischen Landtagsmehrheit und Landesregierung vorsieht und die Landesregierung daher einen von ihr für richtig gehaltenen Gesetzentwurf dem Volk zur Entscheidung vorlegt. Eine solche Konfliktlage besteht jedoch offensichtlich nicht. Sowohl die Landesregierung als auch die Fraktionen der CDU, SPD und FDP im Landtag stehen nach wie vor zu dem Projekt Stuttgart 21 und der Neubaustrecke. Der Landesregierung ist es durch die Verfassung nicht gestattet, künstlich einen Konflikt herbeizuführen.

Man kann jedoch auch Lehren aus den Vorgängen zu Stuttgart 21 ziehen. Wir von der FDP fordern eine umfassende Reformierung des Planungsrechts in Deutschland. Die Bürgerinnen und Bürger müssen über neue Medien wie das Internet frühzeitig, verständlich und umfassend informiert werden. Ich setze mich für eine verstärkte Nutzung von Mediationsverfahren, wie bei S21 oder dem Ausbau des Frankfurter Flughafens bereits erfolgreich praktiziert, ein. Bürgerentscheide müssen auf regionaler und lokaler Ebene gestärkt werden. Sie schaffen in der Regel eine große Akzeptanz unter der Bürgerschaft. Die Verbesserung des Planungsrechts muss gut und intensiv diskutiert werden. Die Beteiligung daran geht nicht nur meine Partei etwas an. Alle politischen Vereinigungen müssen sich in die Diskussion einbringen.

Ich hoffe, dass ich Ihre Frage umfassend beantworten konnte.

Herzliche Grüße,

Ihr Benjamin Strasser

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