Portraiaufnahme von Anke Domscheit-Berg mit rotem Hut
Anke Domscheit-Berg
DIE LINKE
94 %
16 / 17 Fragen beantwortet
Frage von Sabine K. •

Hallo Frau Domscheit-Berg, wie begründen Sie Ihr Abstimmungsverhalten/ Ihre Zustimmung bei der Abstimmung zur Impfpflicht?

Sehr gerne folge ich Ihrer Aufforderung (auf Twitter, 08.04.22) und frage nach, welche inhaltlichen Argumente und Gründe Ihre Zustimmung zu einer Impfpflicht erklären. Neben Ihren Klagen über "Manipulationen über konzertierte Massenkommunikations-Aktionen", findet sich auf Twitter auch Ihr Hinweis, das fachfremde PolitikerInnen zu wenig Kompetenz und Zeit hatten, "Pseudo-Fakten zu verifizieren". Welche Fakten haben Sie mit welchen Quellen wie überprüft?
Wo kann ich Ihre Information, das 57% der LINKE-WählerInnen für eine Impfpflicht seien, belastbar nachprüfen? Wie werden Sie mit diesem komplexen polariesierrende Thema ( immerhin 43 % Ablehnende nach Ihrer Quelle) zukünftig umgehen?
Sie beschreiben Ihren Gesundheitszustand am Tag der Abstimmung als schlecht. Da Sie selbst das Thema einbrachten, erlaube ich mir, darauf Bezug zu nehmen ( in der Hoffnung, dass es wieder besser ist) : Wie belastbar sind Entscheidungen in einer solchen Verfassung?
mit erwartungsvollen Grüßen
S. Kroß-D

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau K..,

 

haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage vom 12.4.2022 bzgl. der damaligen  Debatte um die Einführung einer Impfpflicht. Bitte  entschuldigen  Sie  die  späte  Antwort,  Ihre  Anfrage  ist  mir  einfach  durchs  Raster  gerutscht. 

 

Ich informiere mich aus sehr vielen verlässlichen Quellen sehr umfangreich und auch kontinuierlich zum Thema Corona und Corona-Impfung und habe mich nach sorgfältiger Abwägung aller Argumente dafür entschieden, eine allgemeine  Impfpflicht zu unterstützen, ich habe daher auch im Bundestag für den Kompromissantrag gestimmt. Die Entscheidung war nicht leicht, denn natürlich gibt es - wie auch von Ihnen geschildert - gute Argumente auch gegen eine Impfpflicht. Ich habe nach meinem Wissen und Gewissen aber die Argumente für eine Impfpflicht als in der Summe schwerwiegender bewertet und bin deshalb zu der genannten Entscheidung gekommen.

 

Ihnen  sämtliche  Quellen  aufzulisten,  die  zu  dieser  Entscheidung  führten,  ist  leider  nicht  möglich,  denn  es  werden  insgesamt  Hunderte  sein  -  über  die  Dauer  der  Pandemie  hinweg.  Umfragen  von  Medien  hinsichtlich  der  Zustimmung  bestimmter  Wählergruppen  kann  man  selbst  natürlich  nicht  überprüfen  (wie  sollte  das  auch  gehen?),  aber  ich  gehöre  nicht  zu  denen,  die  unsere  öffentlich  rechtlichen  Medien  für  Lügenpresse  halten  und  gehe  davon  aus,  dass  von  diesen  Medien  zitierte  Umfragen  von  seriösen  Umfrageinstituten  stammen  und      professionell  durchgeführt  wurden. 

 

Hier  einige  Argumente,  die  mich  im  Frühjahr  dazu  brachten,  mich  für  eine  Impfpflicht  einzusetzen:

 

Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gilt  nicht nur gegenüber der Impfung, sondern auch gegenüber dem Infektionsrisiko mit einer gefährlichen Krankheit. Da hat der Staat schlicht auch eine Verpflichtung. Denn im  Frühjahr  starben jede Woche über 1000 Menschen an Covid-19, obwohl es  da nur noch das sogenannte “milde” Omikron gab. Wann die nächste Variante kommt, weiß man nicht und welche Eigenschaften sie hat, weiß man auch nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen Herbst und Winter nur dann erträglich hinbekommen, wenn wir eine höhere Impfquote haben, deshalb war ich für die Impfpflicht.

 

Erst mit einer höheren Immunitätsquote werden wir auch bei einer nächsten Welle vermutlich ohne 2G und 3G auskommen können, weil dann keine 4.000-5.000 Menschen pro Monat mehr sterben werden (das sind leider überproportional Menschen ohne Grundschutz durch Impfungen), weil die Krankenstände in kritischen Bereichen geringer sein werden (am höchsten ist die Ansteckungsrate von Ungeimpften zu Ungeimpften und am Geringsten von Geimpften zu Geimpften, außerdem sind die Krankendauern bei Geimpften kürzer und die Erkrankung weniger schwerwiegend und seltener ohne langfristige Folgen). Selbst mit Omikron hatte die Uniklinik in Köln Anfang März einen Krankenstand von fast 700 (inkl. Quarantäne) und musste wieder Operationen verschieben. Ein sehr lieber Freund von mir starb im Februar in Frankfurt am Main, er hatte eine Krankenhauseinweisung aber mehrere Tage war kein Bett frei - weil so viele Corona-Patient:innen die Betten belegt hatten, als dann ein Bett frei war, war es für ihn zu spät. Mit einer höheren Impfquote in der Gesellschaft hätte er vielleicht nicht sterben müssen. Die häufig geäußerte Behauptung, es hätte keine Überlastung des Gesundheitswesens gegeben, ist schlicht falsch, das habe ich von vielen Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen aus erster Hand ganz anders erfahren, aber auch im persönlichen Umfeld, wo Operationen über ein Jahr verschoben werden mussten wegen Corona.

 

Was mir in der Debatte auch viel zu kurz kam und kommt, ist das Thema Long Covid. Immer noch haben wir extrem viele Neuinfektionen – an vielen Tagen  zur  Zeit  sogar mehr als in jedem anderen Land in der Welt. Ich verfolge seit Beginn der Pandemie diese Zahlen jeden einzelnen Tag. Im  Frühjahr  hatte  ich  mal  die  Zahlen  ausgerechnet,  in  der Woche 4.-10.4.2022 waren 1.032.871 Menschen neu infiziert worden und mit PCR nachgewiesen, (selbst positive Schnelltests in Bürgerzentren werden bei der Statistik gar nicht erfasst, die tatsächlichen Zahlen sind also weit höher). Etwa 10% der Ungeimpften und ca. 5% der Geimpften bekommen Long Covid, bei etwa 75% Geimpften und 25% Ungeimpften werden das also allein aus der letzten Woche 38.733 Geimpfte und 25.822 Ungeimpfte sein, insgesamt 64.555, die Long Covid bekommen. Wären jedoch 95% geimpft gewesen, dann würden allein in der letzten Woche 10.000 Menschen weniger Long Covid bekommen. Diese unfassbar hohe Anzahl Long Covid Fälle ist eine enorme Belastung für unser Gesundheitswesen aber auch für die Wirtschaft, von den Erkrankten und ihren Familien ganz zu schweigen. Ich kenne etliche Menschen, die wegen Long Covid seit Monaten kein normales Leben mehr leben können. Auf einen Reha-Platz muss man ewig warten, es gibt einfach nicht genug. Alles das ist AUCH eine Überlastung des Gesundheitswesens, über die aber viel zu wenig geredet wird.

 

Wir wissen zwar nicht, was für neue Virusvarianten da eventuell noch auf uns zukommen, aber sicher ist, dass Omikron nicht die letzte war und bisher haben die vorhandenen Impfungen bei jeder Variante einen hohen Schutz gegen schwere Erkrankung und Tod geboten. Die absolute Mehrheit medizinische Fachkolleg:innen teilen die Ansicht, dass die Impfung sicher ist und in Sachen Gesundheitsschutz die Vorteile ihre möglichen Nachteile weit überwiegen.

 

Ich sehe daher die Impfentscheidung auch nicht als rein individuelle Entscheidung, denn wie oben beschrieben, hat sie schwerwiegende Folgen auch für den Rest der Gesellschaft. Es ist ein Akt der Solidarität, der Menschenleben rettet und wenn möglichst viele mitmachen, uns allen die ersehnte Freiheit wieder zurückgibt. Und Solidarität gegenüber denen, die Schutz brauchen, ist zutiefst in den Werten der Linken verankert. Solidarität mit denen, die sich nicht selbst schützen können, Solidarität mit überlasteten Fachkräften im Gesundheitswesen, Solidarität mit denen, deren Freiheitsrechte zu oft und zu lange eingeschränkt sind - mit schwerwiegenden Folgen.

 

Ich habe mich dazu gemeinsam mit anderen MdB der Linken auch schon einmal erklärt, hier kann man das nachlesen: https://www.kathrin-vogler.de/themen/gesundheit/details-gesundheit/mit-allgemeiner-impfpflicht-auf-den-naechsten-herbst-vorbereiten/

 

Antworten auf viele Einzelfragen finden sich auf der Homepage meiner Fraktionskollegin Kathrin Vogler, die Gesundheitspolitikerin ist: https://www.kathrin-vogler.de/themen/gesundheit/details-gesund-gesamt/faq-corona/ 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Anke Domscheit-Berg 

 

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