In der Lobbyliste kommt Gabriel gleich mit einem halben dutzend Kontakten vor, andere Ex-Regierende sind im Kanzleramt und den Ministerien sogar Dauergast. Mindestens 143 mal hatte der frühere Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) - inzwischen in Diensten der Deutschen Bahn - in den vergangenen vier Jahren einen Termin mit der Bundesregierung. In der Rangliste folgen zwei weitere CDU-Politiker. Der einstige Staatssekretär im Finanzministerium, Steffen Kampeter, wird 106 mal aufgeführt. Er lobbyiert heute im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und traf sich unter anderem mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auf 77 Termine kommt der ehemalige Kanzleramtsminister und heutige Daimler-Lobbyist Eckart von Klaeden. Dieser ist bei einem Regierungsmitglied sogar ein privat gern gesehener Gast. Im Oktober 2019 erhielt der Autolobbyist aus dem Büro von Thomas Bareiß, dem Parlamentarischen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, eine Einladung zu einem Abendessen in dessen Privatwohnung – im “vertraulichen und gleichgesinnten Rahmen”, wie es in einer Einladung heißt, die Bareiß an “Liebe Freunde” verschickte und die wir hier veröffentlichen.
Im Gesundheitsministerium konnte der Allianz-Lobbyist ganz oben vorsprechen
Warum Konzerne und Interessenverbände mit Vorliebe ehemalige Regierungsmitglieder unter Vertrag nehmen, lässt sich beim früheren Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) beobachten. Als dessen neuer Arbeitgeber Allianz Private Krankenversicherungs-AG im August 2018 ein politisches Anliegen hatte, konnte Bahr im Gesundheitsministerium bei höchster Stelle vorsprechen: seinem Amtsnachfolger Jens Spahn (CDU).
Vorbereitungsunterlagen des Ministeriums zu dem Termin zeigen, dass es Bahr seinerzeit um die Gesundheits-App des Start-ups Vivy ging, an dem die Allianz Versicherung die Mehrheit hält. In Spahns Ministerium gab es zum damaligen Zeitpunkt große Vorbehalte gegen die sogenannte Vivy-App. Die Datenschutzmängel seien eklatant, warnte ein Beamter. Medizinische Daten würden in der Amazon Cloud gespeichert, e-Mails über den Google-Dienst Gmail versendet. "Somit kann Google offensichtlich dennoch in Besitz von Daten wie Name und Geburtsdatum der Versicherten sowie dem Namen des behandelten Arztes kommen (Profilbildung)." Ob Bahr bei seinem Termin erfolgreich war und worum es bei dem Gespräch im Einzelnen ging, wollten weder er persönlich noch der Konzern mitteilen. Eine Sprecherin erklärte, man habe die "fachliche Erfahrung in die laufende Diskussion" einbringen wollen.
Mit Brigitte Zypries schweigt sich auch eine andere Ex-Ministerin zu konkreten Inhalten ihrer Treffen aus. Ein halbes Jahr nach dem Ausscheiden als Wirtschaftsministerin wurde die SPD-Politikerin im September 2018 in ihrem vormaligen Ministerium vorstellig, um mit einer Staatssekretärin über den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten zu sprechen. Mindestens dreimal suchte Zypries in der laufenden Legislaturperiode das Gespräch mit der Top-Beamtin. Es sei um verschiedene Themen gegangen, die man während ihrer Amtszeit "schon öfter ventiliert" hatte, erklärt Zypries auf Anfrage. Auf die Frage, ob sie im Auftrag eines Unternehmens oder Verbandes unterwegs war, antwortet sie: "Ohne Auftrag, privates Interesse." Auch ein weiterer Zypries-Kontakt lässt so manche Fragen offen: Bei Wirtschafts-Staatssekretär Thomas Bareiß setzte sich die Ministerin a.D. vergangenes Jahr für ein Start-up ein, das eine Softwarelösung zur Pandemie-Bekämpfung entwickelt hatte. Dessen Namen wollte sie nicht mitteilen.
Bei 15 Seitenwechseln sah die Regierung "öffentliche Interessen" beeinträchtigt
Zypries ist ein Beispiel dafür, dass auch der Bundesregierung nicht immer wohl ist mit den Lobbyaktivitäten der ehemaligen Amtsträger:innen. Ihren Wechsel in den Beirat der Software-Firma masterplan.com GmbH untersagte das Bundeskabinett Zypries für den Zeitraum von zwölf Monaten. Beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft musste sie sogar 15 Monate pausieren, bevor sie in den politischen Beirat einziehen durfte. Eine solche Abkühlzeit kann die Regierung verhängen, wenn sie "öffentliche Interessen" beeinträchtigt sieht.
2015 war die sogenannte Karenzzeit eingeführt worden, um Interessenkonflikte zu minimieren. Seitdem müssen ehemalige Minister:innen und Parlamentarische Staatssekretär:innen einen geplanten Wechsel in die Wirtschaft oder freiberufliche Tätigkeiten innerhalb von 18 Monaten nach Ausscheiden aus der Regierung melden. Insgesamt 15 mal hat die Bundesregierung nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de inzwischen eine temporäre Auszeit verhängt.
Dass über die Lobbyaktivitäten früherer Regierungsmitglieder so wenig bekannt ist, liegt auch an fehlenden Transparenzpflichten. Demnächst wird zwar ein Lobbyregister in Kraft treten, doch mit wem und in wessen Auftrag Interessenvertreter:innen bei der Bundesregierung Einfluss nehmen, muss darin nicht veröffentlicht werden. Und so können Lobbyakteure weiter von der Öffentlichkeit ungestört ihrer Arbeit nachgehen.
Höchst erfolgreich war dabei der langjährige Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Steffen Kampeter, im Frühjahr 2018. Damals sollte die Ausbildung der Pflegeberufe neu geregelt werden, und der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände traf sich kurz vor Verabschiedung der neuen Verordnung mit seinem Parteifreund Jens Spahn. Zu dem Termin in dessen Ministerium brachte der Lobbyist konkrete Vorschläge für Wahlmodule mit, die die Ausbildung Arbeitgeber-freundlicher machen sollten. In einem internen Papier des Gesundheitsministeriums heißt es danach, dass "grundsätzliche inhaltliche Anliegen der BDA aufgegriffen" worden seien, "ohne die Formulierung ‘Wahlmodule’ aufgreifen zu müssen. Wahlmodule hatte der Minister in der Vergangenheit klar abgelehnt." Zu einem anderen Aspekt hätten sich Lobbyist und Minister laut der Unterlagen sogar ein "westfälisches Ehrenwort" gegeben. Bereits wenige Monate später trat das Gesetz mit den BDA-Wünschen in Kraft.
Der Linken-Abgeordnete Jan Korte, der die parlamentarischen Anfragen zu den Lobbykontakten an die Bundesregierung gestellt hat, fordert Konsequenzen. "Für die Bevölkerung muss klar erkennbar sein, welche Änderungen an Gesetzentwürfen auf die Intervention durch Lobbyistinnen und Lobbyisten entstanden sind", sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion. "Wir müssen das Lobbyregister dringend um den legislativen Fußabdruck ergänzen."
Ein kurzer Draht zur Bundesregierung ist freilich noch kein Garant dafür, dass ein Lobbyanliegen am Ende zum Erfolg führt. Das musste auch Sigmar Gabriel nach seinem Termin mit der Bundeskanzlerin erfahren. Die EU-Bankenabgabe wurde trotz seiner Intervention nicht ausgesetzt.
Update 9. September 2021: Die SZ, die unsere Recherche in ihrer heutigen Ausgabe aufgreift, wirft eine interessante Frage auf: "Durfte sich Sigmar Gabriel als Aufsichtsrat für derlei Themen verwenden? Volker Brühl, Geschäftsführer am Center for Financial Studies an der Frankfurter Goethe-Universität und früher selbst Banker, hält den Vorstoß zumindest für „befremdlich“. Auch zum damaligen Zeitpunkt habe es „keinen vernünftigen Grund“ gegeben, die Bankenabgabe auszusetzen. „Schließlich sind die Banken durch die zahlreichen staatlichen Hilfsprogramme weitgehend von den coronabedingten Risiken abgeschirmt worden“. Gerade als Aufsichtsrat, dessen Aufgabe die Überwachung des Vorstands ist, sollte man nicht einmal in die Nähe des Verdachts von Lobbytätigkeit geraten, erst recht, wenn es sich um ehemalige Politiker handelt, sagt Brühl."
Update 17. September 2021: Im Bundeswirtschaftsministerium hat man angeblich keine Kenntnis von Veranstaltungen der eigenen Staatssekretär:innen im privaten Rahmen, die über das Ministerium organisiert wurden. Das geht aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage des Grünen Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler hervor und steht im Widerspruch zu den Recherchen von abgeordnetenwatch.de und ZEIT ONLINE (s.o.). Demnach hatte Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß (CDU) im Herbst 2019 über sein Büro im Bundeswirtschaftsministerium "liebe Kollegen und Freunde" zu einem Abendessen zu sich nach Hause eingeladen, darunter den Daimler-Lobbyisten Eckart von Klaeden. In der Einladung, die über Bareiß' Büro-Account im Ministerium verschickt worden war, ist von "einem weiteren" Abendessen "bei uns zu Hause" die Rede.
Laut der Ministeriumsantwort an Kindler habe eine interne Abfrage ergeben, "dass keinerlei private Veranstaltungen oder Treffen der genannten Personen durch das BMWi koordiniert, organisiert oder finanziert wurden." In der Wahl des Veranstaltungsortes sowie Formulierung der Einladungen seien die handelnden Personen frei. Die Versendung von Einladungen könne bei informellen wie formellen Treffen durch das jeweilige Vorzimmer erfolgen. Eine Verpflichtung zur Erfassung sämtlicher informell geführter Gespräche bestehe nicht, "und eine solche umfassende Dokumentation wurde auch nicht durchgeführt".
Kindler bewertet den gesamten Vorgang kritisch. "Staatssekretär Bareiß hat Ressourcen des Bundeswirtschaftsministeriums für die Vorbereitung eines privaten Treffens mit Daimler-Lobbyisten genutzt. Das ist ein unglaublicher Vorgang", sagte er gegenüber abgeordnetenwatch.de. "Dass sein eigener Minister dieses Vorgehen verteidigt, ist unfassbar. Ein Regierungsamt darf nicht für private Zwecke genutzt werden." Natürlich gehöre es zu den Aufgaben eines Staatssekretärs sich auch mit Unternehmensvertretern auszutauschen, aber es müsse eine klare Trennung zwischen privaten und beruflichen Aktivitäten geben, so Kindler. "Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes müssen darauf vertrauen können, dass Regierungsmitglieder ihre Ämter und die damit verbundenen Ressourcen in den Ministerien ausschließlich zum Wohle der Allgemeinheit nutzen. Erodiert das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Trennung der Amtsgeschäfte vom Privaten, dann schadet dies der gesamten parlamentarischen Demokratie.“
Mitarbeit: Andrea Knabe, Andreas Dobrzewski
* Christian Fuchs ist Autor bei ZEIT und ZEIT ONLINE.
Weitere Berichterstattung zu dieser Recherche:
Kommentare
Dieter Sommer am 21.09.2021 um 22:33 Uhr
PermalinkBeim Geld hört jede Freundschaft auf. Freundschaft = Vertrauen gibt es in der Politik schon lange nicht mehr.
Was sind denn z.B. Aufsichtsräte wert, wenn sie bestechlich, weil dem Mammon erlegen?
Da haben wir die Korruption in Reinkultur auf höchster Ebene. Die Gier kennt keine Moral.
Herbert Dirksen am 24.10.2022 um 12:19 Uhr
Antwort auf Beim Geld hört jede… von Dieter Sommer
PermalinkDas mit Gier zu kommentieren, ist falsch, könnte auch mit der Antwort "Neid" folgen.
Jedem Bürger ist es erlaubt, mit Politikern jeder Couleur zu sprechen, auch parteiübergreifend.
Wo kämen wir denn hin, wenn Jedem das Maul verboten werde.
Auch gewisse Erfahrungen aus dem industriellen Millieu gehört in die Politik.
Oder - wie gehen Sie mit jungen Abgeordneten, die außer Schule, Beeinflussung durch ihre Lehrer und Dozenten inne haben und noch keinen Fuß auf eine Baustelle gestellt haben, um?
Erfahrungsaustausch kann man schnell mit dem Wort Lobbyismus auslegen.
Aber - was ist denn mit dem DGB, VERDI und Vergleichbaren, die ihre Abgeordneten reihenweise in der Bundesregierung und den Landesregierungen platziert haben?
Oder auch umgekehrt! Ist da der Redefluß ein anderer, der lautlose?
Man kann meckern. Mir wäre lieb, wenn die Justiz und die Gewaltenteilung funktionieren würde. Das tun sie nicht mehr.
Türkenlouis am 10.10.2021 um 12:43 Uhr
PermalinkMuss man sich da nicht fragen, wer nun das "Pack" ist, wie er einst öffentlich demokratisch legitimierte Wähler einer Partei diffamierte?
Herbert Dirksen am 24.10.2022 um 12:20 Uhr
Antwort auf Muss man sich da nicht… von Türkenlouis
PermalinkEs ist sehr rücksichtslos von Pack zu reden!
Gabriel war nicht immer und auf allen Ebenen erfolgreich, aber er ist Ausgleicher mit eigener Meinung.
Davon brauchten wir mehr!
Christoph Laumann am 10.10.2021 um 18:56 Uhr
PermalinkEntfernt. Bitte beteiligen Sie sich nur, wenn Sie einen konstruktiven Beitrag zur Diskussion leisten möchten. Danke, die Redaktion/lg
Peter Ettinger am 10.10.2021 um 20:51 Uhr
PermalinkEntfernt. Bitte beteiligen Sie sich nur, wenn Sie einen konstruktiven Beitrag zur Diskussion leisten möchten. Danke, die Redaktion/lg
Event 457 am 12.10.2021 um 15:34 Uhr
PermalinkHoni soit qui mal y pense.
Dass Sigmar Gabriel sich als finanzdevoter Opportunist so verhält, ist ja nichts Neues, so hat er 2017 als möglicher Kanzler einer Rot-Rot-Grünen Regierung verzichtet und sich lieber als Außenminister zu Mutti ins warme Lobby-Bettchen gelegt, warm gefüttert bereits auch durch seine Kontakte als Bundesminister für Wirtschaft und Energie 2013-2017.
Jürgen Ludwig am 05.12.2021 um 23:34 Uhr
PermalinkDürfen wir erwarten dass der Lobbyismus im UBA unter unserer Ex-Umweltministerin Saskia Schulze auch untersucht wird?
Karl am 07.12.2021 um 17:02 Uhr
Antwort auf Dürfen wir erwarten dass der… von Jürgen Ludwig
PermalinkBei Saskia Schulze ist definitiv nichts zu holen. Vielleicht bei Svenja Schulze.
Emilie Schlösser am 06.12.2021 um 09:01 Uhr
PermalinkEntfernt. Nutzen Sie den Kommentarbereich bitte um sich sachlich über den Artikelinhalt auszutauschen. Danke, die Redaktion/db
Gisela Urban am 27.04.2022 um 16:58 Uhr
PermalinkHerr Gabriel hat noch mehr Nebenjobs:
Gabriels Job bei Tönnies: Die Kunst des Ausschlachtenshttps://www.faz.net › ... › Politik › Inland
02.07.2020 — 10.000 Euro im Monat, die er von Tönnies erhielt, seien in der Branche kein besonders hohes Honorar. Doch das Engagement von Sigmar Gabriel ...
Herbert Dirksen am 24.10.2022 um 12:22 Uhr
Antwort auf Herr Gabriel hat noch mehr… von Gisela Urban
PermalinkIch glaube, die würden Sie nicht in den Aufsichtsrat wählen!
Margit Eiland am 26.07.2022 um 19:52 Uhr
PermalinkDie SPD Politiker, besonders aus Niedersachsen wußten /wissen alle wie man sich bereichert. Herr Gabriel hat vor Tönnies von VW einen Beratervertrag bekommen.
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