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Ursula Eid
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Frage von Tim S. •

Frage an Ursula Eid von Tim S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Frau Dr. Eid,

wie stehen sie zum Gesetzentwurf zur Sperrung von Internetseiten, der im Ausschuss durchweg kritisiert worden ist?

Die Kritikpunkte liegen darin, dass es Sperrlisten geben soll, die allein durch das BKA geführt werden. Die Internetseiten deren Inhalte zensiert werden, sind dann ausschließlich (!) dem BKA bekannt und sollen durch keine weiteren Stellen wie z.B. Journalisten, oder Verbraucherschützer geprüft werden. Somit unterliegt der Vorgang als solcher keiner unabhängigen Kontrolle auf strafrechtliche Relevanz und ermöglicht Missbrauch durch Zensur.

Benutzerdaten der Surfer welche eine zensierte Seite aufrufen, werden an das BKA übermittelt.
Wenn somit durch einen Link oder eine automatische Weiterleitung unbewusst oder durch fremden Vorsatz auf eine zensierte Seite geführt wird, werden dadurch unverschuldet Personen einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt.
Selbst ein Verdachtsmoment kann für den betroffenen einen erheblichen Gesellschaftlichen Schaden mit sich bringen.

Von der technischen Seite ist die gefundene Lösung fast nutzlos. Selbst ein durchschnittlich versierter Benutzer kann die Sperre ohne größeren Aufwand aushebeln.
Entsprechende Anleitungen kursieren bereits im Internet. Eine Videoanleitung welche den Vorgang zum nachmachen verständlich erklärt dauert 27 Sekunden!

Im Hinblick auf die bevorstehende Bundestagswahl möchte ich Ihren Standpunkt zu den Kritikpunkten und dem Gesetzesvorhaben wissen.
Da die technische Grundlage dilettantisch ist und ein nicht unerhebliches Risiko für Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit und allgemeine Persönlichkeitsrechte besteht, möchte ich Sie bitten Abstand davon zu nehmen mir zu erklären dass das Gesetz so wie es kommt keine Gefährdung der Grundrechte darstellt.

Ich stehe voll hinter dem Kampf gegen den Missbrauch von Kindern und der Verbreitung von Kinderpornographischem Materialien.

Freundliche Grüße aus Wolfschlugen
Tim Sapounas
Fachinformatiker/Systemintegrator
Student der Informatik

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Sapounas,

die Diskussion über die Sperrung von Internetseiten schlägt hohe Wellen. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum; das Internet ist aber auch kein bürgerrechtsfreier Raum.
Eine Bekämpfung von z. B. Kinderpornografie mit rechtsstaatlichen Mitteln ist möglich. Dem wird aber der von der großen Koalition vorgelegte Entwurf eines „Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen“ nicht gerecht. „Der Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Fassung fällt durch den Rechtsstaat-TÜV“, so Wolfgang Wieland unser Sprecher für innere Sicherheit, anlässlich der Einbringung des Gesetzes vor dem Bundestag am 7.Mai 2009.
Eine Sachverständigenanhörung im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages am 27. Mai hat die Vorbehalte von unserer Seite eindrucksvoll bestätigt. Die rechtlichen und technischen Probleme bei den geplanten Internetsperrungen sind nach wie vor ungelöst. Es bringt gar nichts, jetzt überstürzt und ohne ausreichende Beratung ein handwerklich schlechtes Gesetz zu verabschieden.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wirft eine ganze Reihe schwerwiegender rechtlicher Fragen auf, die alle Bürgerinnen und Bürger betreffen, die das Internet nutzen. So führt die jetzt vorgeschlagene Lösung nicht etwa zu einer Löschung der Seiten. Faktisch geht es um eine Umleitung der Benutzer auf ein Stoppschild. Die Kinderpornografieseite selbst bleibt im Netz und ist mit einigen einfachen Tricks - wie Sie anmerken - auch weiterhin aufzufinden. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass mit einem solchen Stoppschild rund 80 Prozent Gelegenheits- oder Zufallskonsumenten von entsprechenden Seiten ferngehalten werden können.

Wie Sie weiterhin beschreiben, sollen die Daten derer, die zufällig zu einem Stoppschild gelangen und dort auch tatsächlich stoppen - also nicht versuchen, dieses „Schild“ zu umgehen - gespeichert werden und zu Zwecken der Strafverfolgung zur Verfügung stehen. Im Grunde wird aus der Stoppseite, auf die umgeleitet wird, eine Art Fahndungsinstrument gemacht. Gerade dieser auch von uns in der Vergangenheit hervorgehobene Punkt rief auch in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses bei vielen Sachverständigen ganz erhebliche Besorgnis hervor. Die Gefahr, dass die Provider Nutzungsdaten wie IP-Adressen protokollieren und dann an die Strafverfolger weiterleiten, liegt auf der Hand. Das würde bedeuten, dass gerade diejenigen Strafverfolgung zu befürchten haben, die eher zufällig an das Stoppschild stoßen - und nicht weiter suchen. Der harte Kern von 20 Prozent wirklich kriminellen Nutzern bliebe ungeschoren. Ungeschoren bleiben durch das Gesetz ohnehin all diejenigen, die gar nicht erst das www-Netz nutzen, sondern Bilder via Filesharing, MMS, SMS oder auf dem Postweg tauschen. Und dies ist die weitaus größere Zahl innerhalb der pädophilen Szene.

Ein weiterer verfassungsrechtlich heikler Punkt sind auch die in der Anhörung kritisierten neuen Befugnisse des Bundeskriminalamts. Es überschreitet seine Funktion als Zentralstelle, indem es präventiv tätig wird und es schafft eine ständige Beschlagnahmemöglichkeit für die Polizei, ohne richterliche Kontrolle. Das passt nicht in unser Rechtssystem. Das BKA ist eine Behörde, die dem Bundesinnenminister untersteht. Es soll sich in Zukunft praktisch selbst bevollmächtigen. Hier muss man sich die Frage stellen: Wer ist der Gesetzgeber, das BKA oder der Deutsche Bundestag?

Wir Grüne sehen die Chancen, aber auch die Risiken des Internets als weltweite Kommunikationsbörse. Für die Bekämpfung verbotener Inhalte bietet das Gesetz keine geeignete Grundlage.

Die Initiative der Bundesfamilienministerin tut so, als ob die Internetanbieter bisher beim Thema Kinderpornographie die Hände in den Schoß gelegt haben. Das ist falsch. So arbeitet die deutsche Internetwirtschaft mit der Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle (FSM) bereits seit vielen Jahren nach Kräften daran, die Verbreitung solcher Inhalte zu unterbinden. Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit zwischen Beschwerdestellen und Behörden über das internationale Beschwerdestellen-Netzwerks INHOPE ist es in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, umfangreiche Verfahren einzuleiten und eine Vielzahl von Beschuldigten zu ermitteln. Neben der Arbeit der Beschwerdestellen und der Strafverfolgung ist es ausgesprochen wichtig, an Staaten, aus denen häufig Kinderpornografieangebote kommen (u. a. Russland, Staaten der ehemaligen Sowjetunion) auch politische Forderungen nach konsequenter Ächtung solcher Websites und Verfolgung der Verantwortlichen zu richten.
Wir verlangen von der Bundesregierung, dass sie die Vorschläge für eine wirksame Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet sorgfältig prüft und bestehende Projekte wirkungsvoller unterstützt.
Mit freundlichem Gruß,

Dr. Uschi Eid