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Udo Bullmann
SPD
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Frage von Ralf K. •

Frage an Udo Bullmann von Ralf K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Dr. Bullmann,

ich danke herzlichst für die wirklich ausführliche Antwort auf meine Fragen.

Leider muss ich Ihnen gestehen, dass ich enttäuscht darüber bin, dass auch Sie den Kern meines Ansinnens wortreich, wenn auch nicht ganz ungeschickt, umschifft haben. http://www.abgeordnetenwatch.de/admin/moderation/images/_btn_loeschen.gif

Der Kern meiner Fragen an Sie wie an andere EP- und Bundestagsabgeordnete lautet:

1. Ist in Ihren Augen ein Parlament, das aus der Stimmabgabe einer Minderheit der Wählerschaft (hier nur 43%) hervorgegangen ist, legitimiert, für das gesamte Volk derart weitreichende Entscheidungen zu treffen?

Ihr Ausweichen zu diesem Punkt ist das, was ich mit des Teufels Furcht vor dem Weihwasser verglich.

Sollten Sie diese Kernfrage bejahen, ergibt sich zwingend folgende Nachfrage:

2. Ab welchem Grad des Wahlboykotts (den sich m.E. die Politik durch regelmässiges Brechen von Wahlversprechen selbst zuzuschreiben hat) geht diese Legitimation Ihrer Ansicht nach verloren? Reichen 57% nicht?

Für mein Demokratieverständnis jedenfalls gibt es hier Grenzen. Es kann doch nicht sein, dass wir ein Parlament, an dessen Wahl nur die Abgeordneten teilnehmen, während der Rest des Volkes die Stimmabgabe verweigert, als durch dieses Volk legitimiert betrachten!

So weit ist es noch nicht, aber dieses Beispiel ist einfach konsequent zu Ende gedacht.

Was die Komplexität des Vertragswerkes angeht: Unsere Volksvertreter, die SELBSTVERSTÄNDLICH hierüber abstimmen, kennen den Inhalt nicht besser als interessierte Normalbürger, eher schlechter (siehe "Panorama befragt Politiker").
Dieses Argument sticht also nicht. Im übrigen: Wenn Vertragstexte so formuliert sind, dass Sie "Otto Normalverbraucher" nicht lesen kann (weil nicht soll), drängt sich die Frage auf:

3. Was wollen die Verfasser gegenüber der breiten Masse verbergen?

Ich bitte Sie, meine nummerierten Fragen konkret zu beantworten.

Und missverstehen Sie mein kritisches Hinterfragen bitte nicht als Ablehnung der Europäischen Idee.

Ich kratze an Ihrem Selbstverständnis, bekehren Sie mich!

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kulikowsky,

ich bedanke mich für Ihre Nachfrage. Zu den von Ihnen genannten Punkten nehme ich wie folgt Stellung.

Punkt 1: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland sowie der Europäischen Union ist die repräsentative Demokratie. Dies bedeutet, dass die Wahlberechtigten Repräsentanten auf Zeit wählen (im Falle des Deutschen Bundestages alle vier Jahre; im Falle des Europäischen Parlaments alle fünf Jahre). Sie sind damit legitimiert, alle für Deutschland beziehungsweise für die Europäische Union relevanten Entscheidungen in der jeweiligen Legislaturperiode zu treffen. Eine sinkende Wahlbeteiligung ist nicht erfreulich, dies ändert jedoch nichts an der Legitimation der frei gewählten Repräsentanten. Auch ich wünschte mir eine breite Wahlbeteiligung auf allen politischen Ebenen. Die Politik muss sich meines Erachtens generell sehr viel stärker mit den wirklichen Ursachen von Wahlenthaltungen auseinandersetzen, statt einfach zur Tagesordnung zurückzukehren. Doch schauen wir genau hin: die Wahlbeteiligung ist häufig dort am geringsten, wo wir Landräte oder Bürgermeister und Oberbürgermeister direkt wählen. Sollen wir hier Deutschlands Städte und Landkreise für unregierbar erklären? Ich halte das nicht für die Konsequenz, die unsere Demokratie stärken würde.

Punkt 2: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments werden in geheimen, freien und gleichen Wahlen bestimmt. Eine Wahlpflicht gibt es im Gegensatz zu etwa Belgien oder Australien in Deutschland nicht. Es steht daher allen Wahlberechtigten frei, von ihrem Wahlrecht gebrauch zu machen. Wer mit der Politik unzufrieden ist, kann eine eigene Parteien gründen und für seine Ideen werben. Auch die Mitgliedschaft in den existierenden Parteien steht allen offen, die sich aktiv an der Gestaltung unserer Gesellschaft beteiligen wollen. Eine Diskussion über eine Mindestwahlbeteiligung, wie sie von Ihnen verfolgt wird, halte ich für nicht zielführend. Viel wichtiger ist, die Offenheit des politischen Systems zu gewährleisten, damit sich alle beteiligen können, die dies wünschen.

Punkt 3: Ich teile nicht Ihre Ansicht, dass Vertragstexte komplex sind, um sie dem Großteil der Bevölkerung vorzuenthalten. Der Lissabon-Vertrag für die Reform der Europäischen Union ist ein völkerrechtlicher Vertrag der von 27 EU-Mitgliedstaaten geschlossen wurde und in erster Linie juristisch hieb- und stichfest sein muss. Der Lissabonvertrag ist gleichzeitig ein Folgevertrag zu den bereits bestehenden Verträgen, die er voll umfänglich übernehmen muss. Dies erhöht den Umfang des Vertrages und erschwert die Lesbarkeit. Das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften hat jedoch eine konsolidierte Fassung des Lissabon-Vertrages erstellt, der die Änderungen im Rahmen des Reformvertrages in die bestehenden Verträge einarbeitet. Sie finden sie im Internet unter http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/st06655-re01.de08.pdf

Gestatten sie mir noch eine abschließende Bemerkung. Der Lissabon-Vertrag wurde nicht vom Europäischen Parlament ausgehandelt, sondern von den 27 demokratisch legitimierten Regierungen der EU-Mitgliedstaaten. Der Deutsche Bundestag (2005 mit einer Wahlbeteiligung von 78,5 Prozent gewählt) sowie der Deutsche Bundesrat (als demokratisch legitimierte Vertretung der Bundesländer) haben den Vertrag jeweils mit Zweidrittelmehrheit ratifiziert. Somit liegt im Falle Deutschlands eine Legitimation auf drei politischen Ebenen vor.

Ich betrachte Ihre Fragen damit als umfänglich beantwortet und verbleibe

mit freundlichen Grüßen
Udo Bullmann

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