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Udo Bullmann
SPD
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Frage von Zinon H. •

Frage an Udo Bullmann von Zinon H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Bullmann,

gerade habe ich ihre Antworten auf die
Fragen von Herrn Heine gelesen und muss sagen, ich fand diese wirklich aufschlussreich. Doch ein paar meiner Sorgen sind noch nicht ausgeräumt, daher habe ich folgende Fragen an sie:

1. Wenn der Vertrag von Lissabon so gut sein soll und den Brügern Europas mehr Mitbestimmung geben soll durch die Stärkung des Parlaments, warum drüfen dann die meisten EU-Brüger nicht selbst darüber (den Vertrag) abtimmen? Hat die EU vielleicht Angst, dass in allen Ländern das geschieht, was in Frankreich und den Niederlanden 2005 und in Irland 2008 passiert ist?

2. Ich finde es zudem höchst undemokratisch, dass die Brüger nur Parteilisten wählen können und keine Direktkanidaten. Wieso?

3. Auf einer Seite der Jungen Liberalen habe ich vor kurzem erst gelesen, dass mittel- und langfristig immer mehr Kompetenzen der Bundeswehr von der Ebene des Nationalstaats auf die EU übergehen soll, so das es am Ende keine nationale, sondern nur noch eine EU-Armee gibt. Ist dies auch die Meinung der SPD und wenn ja warum?

4. Auch wenn der Lissbaon-Vertrag die Identität der Nationalstaaten achtet, so ist die EU doch noch in zahlreichen Bereichen gegenüber den Nationalstaaten weisungsbefugt. Ich habe mir dazu ein kurzes Beispiel ausgedacht:
Nach der Bundestagswahl in Deutschland wird vom Bundestag ein Gesetz zum Verbot von Genmaisanbau durchgebracht. Dann kommt die EU aber her und sagt, dass in der ganzen EU Genmais angebaut werden muss. Dann geht die Bundesregierung zum europäischen Gerichtshof und entscheidet für Europa und gegen Deutschland. Ist so ein Beispiel möglich und wenn ja ist so etwas dann nicht ein Paradebeispiel zur Ausschaltung der nationalen Gesetzgebung?

In der Schule habe ich in Geschichte gelernt, dass der deutsche Nationalstaat 1871 "von oben", also ohne vorherige Zustimmung der Brüger, gegründet wurde. Ich fühle mich heute genau in diese Lage zurückversetzt was die EU betrifft.

Können Sie meine Bedenken entkräften?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Heck,

ich danke Ihnen für Ihre Fragen zum Lissabon-Vertrag, die ich gerne beantworte.

1. Wenn der Vertrag von Lissabon so gut sein soll und den Bürgern Europas mehr Mitbestimmung geben soll durch die Stärkung des Parlaments, warum dürfen dann die meisten EU-Bürger nicht selbst darüber (den Vertrag) abstimmen? Hat die EU vielleicht Angst, dass in allen Ländern das geschieht, was in Frankreich und den Niederlanden 2005 und in Irland 2008 passiert ist?

Antwort: Beim Lissabon-Vertrag handelt es sich um einen internationalen, völkerrechtlichen Vertrag. Für diese Art zwischenstaatlicher Abkommen ist in den wenigsten EU-Staaten eine Volksabstimmung vorgesehen. In Irland, wo es eine Volksabstimmung gab, ließen sich viele Menschen von falschen Behauptungen über die Inhalte des Vertrags in die Irre führen. Ich persönlich habe durchaus Sympathie für mehr direkte demokratische Entscheidungen. Dann sollte die Europäische Union in der öffentlichen Diskussion aber auch den Stellenwert einnehmen, der ihr von dem Gewicht der politischen Entscheidungen längst zukommt. Jeder Mitgliedstaat entscheidet jedoch selbst darüber, in welcher Form über den Vertrag von Lissabon abgestimmt wird. Hier sollte meiner Auffassung nach, die EU auch nicht intervenieren, sondern die nationalen Begebenheiten respektieren.

2. Ich finde es zudem höchst undemokratisch, dass die Bürger nur Parteilisten wählen können und keine Direktkandidaten. Wieso?

Antwort: In Europa gibt es bisher noch kein einheitliches europäisches Wahlrecht. Die Wahlen laufen nach den Vorgaben der einzelnen Mitgliedstaaten ab. Es wäre durchaus begrüßenswert mehr Elemente direkter Demokratie bei den Europawahlen einzuführen. Die entsprechenden Regelungen in Deutschland sehen dies jedoch bisher nicht vor.

3. Auf einer Seite der Jungen Liberalen habe ich vor kurzem erst gelesen, dass mittel- und langfristig immer mehr Kompetenzen der Bundeswehr von der Ebene des Nationalstaats auf die EU übergehen soll, so dass es am Ende keine nationale, sondern nur noch eine EU-Armee gibt. Ist dies auch die Meinung der SPD und wenn ja warum?

Antwort: Die Regelungen des Lissabon-Vertrags sehen solch eine Entwicklung nicht vor. Die Verteidigungspolitik bleibt auch bei Inkrafttreten des neuen Vertrags in den Händen der Mitgliedstaaten. In Deutschland hätte damit weiterhin der Deutsche Bundestag das letzte Wort. Die SPD setzt sich jedoch für mehr Koordination im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ein, da dies Europas Rolle stärkt und friedliche Konfliktregelungen in der Welt voranbringen kann.

4. Auch wenn der Lissabon-Vertrag die Identität der Nationalstaaten achtet, so ist die EU doch noch in zahlreichen Bereichen gegenüber den Nationalstaaten weisungsbefugt. Ich habe mir dazu ein kurzes Beispiel ausgedacht: Nach der Bundestagswahl in Deutschland wird vom Bundestag ein Gesetz zum Verbot von Genmaisanbau durchgebracht. Dann kommt die EU aber her und sagt, dass in der ganzen EU Genmais angebaut werden muss. Dann geht die Bundesregierung zum europäischen Gerichtshof und entscheidet für Europa und gegen Deutschland. Ist so ein Beispiel möglich und wenn ja ist so etwas dann nicht ein Paradebeispiel zur Ausschaltung der nationalen Gesetzgebung?

Antwort: EU-Richtlinien und Verordnungen müssen auch jetzt schon von den EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Der Lissabon-Vertrag gibt aber den demokratisch gewählten Institutionen, das heißt den nationalen Parlamenten und dem EU-Parlament deutlich mehr Mitsprache- und Kontrollmöglichkeiten, als der gegenwärtig gültige Nizza-Vertrag. Beispielsweise räumt der Vertrag von Lissabon den nationalen Parlamenten erstmals ein Veto-Recht ein, das sie nutzen können, wenn ihrer Meinung nach ein Gesetzesvorhaben der EU gegen das Subsidiaritätsprinzip verstößt.

Zu Ihrem Beispiel: Die EU kann keine Pflicht zum Anbau von Genmais beschließen. Das einschlägige EU-Recht, die sogenannte Freisetzungsrichtlinie im EU-Sekundärrecht, enthält eine Schutzklausel. Diese erlaubt es Mitgliedstaaten bei Bekanntwerden neuer Gefahren für die menschliche Gesundheit oder Umwelt, die Verbreitung bereits zugelassener Gen-Sorten - jedoch ausschließlich auf ihrem Territorium und vorübergehend - zu untersagen. Wenn Genmais dauerhaft verboten werden soll, muss die deutsche Bundesregierung im EU-Ministerrat für eine qualifizierte Mehrheit für dieses Vorhaben werben. Dieser Entscheidungskorridor zugunsten der Mitgliedstaaten ist durchaus zu begrüßen.

5. In der Schule habe ich in Geschichte gelernt, dass der deutsche Nationalstaat 1871 "von oben", also ohne vorherige Zustimmung der Bürger, gegründet wurde. Ich fühle mich heute genau in diese Lage zurückversetzt was die EU betrifft.

Antwort: Regelmäßige Umfragen in der EU, die im Rahmen des sogenannten Euro-Barometers durchgeführt werden, zeigen seit Jahren dasselbe Bild: eine deutliche Mehrheit der EU-Bürger ist für die EU und für eine weitere Mitgliedschaft ihres Landes in der EU. Der Lissabon-Vertrag ist der erste Vertrag, der die Möglichkeit europäischer Bürgerbegehren einführt. Mit einer Million Unterschriften können die Bürgerinnen und Bürger die EU-Kommission auffordern, zu einem konkreten Thema, das in ihre Zuständigkeit fällt, aktiv zu werden.

Im Gegensatz zu 1871 kann sich heute jeder Bürger in Parteien oder anderen Organisationen engagieren und für seine Überzeugungen um Unterstützung und Mehrheiten kämpfen, ohne Repressalien fürchten zu müssen.
Die deutsche Geschichte ist ein guter Hinweis - sie war über die Jahrhunderte hinweg geprägt von Kriegen und Kleinstaaterei, Rivalitäten und Grenzkonflikten über Land oder Rohstoffe. Es ist uns gelungen, Nationalismus und Militarismus hinter uns zu lassen. Mit Ihrer Stimme haben Sie die Möglichkeit, die demokratische Willensbildung durch ein Europa von unten zu organisieren. Europa lebt vom Mitmachen und sich einmischen. Wer nicht wählen geht, lässt am Ende andere entscheiden.

Mit freundlichen Grüßen,
Udo Bullmann

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