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Turgut Yüksel
SPD
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Frage von Georg L. •

Frage an Turgut Yüksel von Georg L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Herr Yüksel,

wie fehlerbehaftet der Report des BMI vielleicht auch ist (siehe z.B. Artikel bei SpOn: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,524486,00.html ), so muss man doch sagen, dass Deutschland ein echtes MIgrantenproblem hat. Sie waren bis 1996 ausschließlich türkischer Staatsbürger, kommen aber aus einer anderen Gesellschaftsschicht, als die meisten Migranten. Trotzdem denke ich, dass Sie ein besseres Verständnis bzw. bessere Ideen haben könnten, als die meisten anderen Politiker (schließlich scheint da noch niemand einen großen Wurf gemacht zu haben), was das Thema Integration angeht.
Zu den Fragen:

1.) Durch welche konkreten Maßnahmen auf Länderebene(!) kann Integration wirklich gefördert werden und die Bildung/Aufrechterhaltung einer Parallelgesellschaft (eigene Geschäfte, Arbeitgeber, Minimaldeutschkenntnisse etc.) verhindert werden? Und wie kann man eine weitere Radikalisierung aufhalten?

2.) Thema Kopftuch. Als teil-atheistischer Stoiker bin ich unbedingt für Religionsfreiheit. Wenn zu einer Religion - mal ganz übertrieben - das andauernde Tragen einer Bischofsmitra gehören würde, würde, fände ich das zwar lustig, würde es aber unbedingt akzeptieren (ebenso selbstverständlich würde/wird ja auch eine - zugegeben unauffälligere - Kippa akzeptiert).
Allerdings habe ich gelesen, dass das Tragen des Kopftuches nicht ausschließlich aus religiöser Motivation geschieht und es eben auch eine politische (anti-säkulare; mit der iranischen Revolution sympathierende?) Seite gibt. Ist das richtig? Ich persönlich bin Säkularist. D.h. ich will bei einer Lehrerin weder ein Kopftuch sehen, noch in den Räumen einer staatlichen Schule ein Kreuz. Wenn Schüler sich Rosenkränze umhängen, oder Schülerinnen eben ein Kopftuch tragen, so ist mir das (sofern es ausschließlich im Sinne der Religion oder Mode geschieht) vollkommen egal.

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Antwort von
SPD

Guten Tag Herr Lehrle,

vielen Dank für das Interesse an meine Kandidatur und an meinen politischen Vorstellungen.

Mit freundlichen Grüßen,

Turgut Yüksel

Zur Frage 1:

Die Folgen der jahrzehntelangen Versäumnisse der Integrations- und Sozialpolitik in Frankreich haben die Menschen in den der französischen Vorstädte bitter erfahren müssen. Die Ausschreitungen in Paris sind ein Resultat der gesellschaftlichen Segregation und Stigmatisierung der Kinder von Einwandererinnen und Einwanderer und auch eine Folge der falschen Stadtplanungs- und Wohnungspolitik. Genau diese Entwicklung müssen wir in Deutschland verhindern: Ich möchte nicht, dass in unseren Städten die unterschiedlichen ethnischen Communities ihre eigene Kolonien bzw. ihre Gettos bilden, wie es auch in den englischen Metropolen der Fall ist. Ich möchte keine multikulturelle Gesellschaft, in der wir nebeneinander und aneinander vorbei leben. Deshalb muss es künftig eines der wichtigsten Ziele der Politik sein, bei der Stadtplanungs- und Wohnungspolitik der sozialen und kulturellen Konzentration solcher abgeschotteten Gegengesellschaften entgegenzuwirken, und die Mischung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den Stadtteilen zu fördern. Vor allem über Wohnungsbaugesellschaften, die Eigentum der Stadt und des Landes sind kann die Politik hier vieles leisten. Gerade in Frankfurt zeigt das Modell "Soziale Stadt" große Erfolge, auf denen wir aufbauen, und die wir ausbauen müssen. Es genügt also nicht, das Nebeneinander unterschiedlicher Kultur- und Lebensformen zu tolerieren, man muss dieses Nebeneinander in eine Gesellschaft des »Miteinanders in kultureller Vielfalt« überführen.

Außerdem sind Chancengleichheit im Bildungssystem und Zugang zu Ausbildung sowie zum Arbeitsmarkt die wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche soziale und gesellschaftliche Integration. Dem können wir nur dann gerecht werden, wenn wir den Kindern aus unterschiedlichen sozialen Schichten der Gesellschaft, unabhängig von ihrer kulturellen und sozialen Herkunft, gleiche Ausgangsvoraussetzungen bieten. Das Projekt "Haus der Bildung" der Hessischen SPD ist eine Antwort hierauf. Das kostet Geld, aber schon Kennedy wußte: "Es gibt nur eine Sache auf der Welt die teurer ist als Bildung: Keine Bildung!"

Darüber hinaus muss die Politik Menschen zur Selbständigkeit ermutigen und zum Beispiel die Struktur der Sparkassen und Genossenschaftsbanken gegen die EU-Kommission verteidigen, denn diese Banken sind für kleine, mittlere und für Unternehmen in der Gründung von existentieller Notwendigkeit. Die Debatte zur Migration und Integration geht nirgends so weit an der Wirklichkeit vorbei, wie in Fragen der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen: Dass die Kinder der ehemaligen Gastarbeiter heute Unternehmer und Arbeitgeber wurden, finde ich positiv. Sie sind Beispiele für die gelungene Integration. Abgesehen von den vielen Fachkräften mit Migrationshintergrund, die in den Unternehmen über Jahrzehnte hinweg zur deutschen Wirtschaftsleistung beigetragen haben, gibt es schätzungsweise 300.000 ausländische Selbstständige in Deutschland. Mehr als Hälfte der Unternehmer stammen aus den drei größten ehemaligen Anwerbestaaten: der Türkei, Italien, und Griechenland. Von 1991 bis 2003 ist die Zahl der Betriebe mit ausländischen Inhabern in Deutschland von 169.000 auf rund 280.000 gestiegen. Sie beschäftigen über eine Million Menschen und sind in über 90 Branchen tätig. Nach Informationen des Zentrums für Türkeistudien gab es im Jahr 2003 in Deutschland 61.300 türkische Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 28.9 Mrd. Euro. Über 40 Prozent der Mitarbeiter in türkischen Betrieben sind nicht-türkischer Herkunft. Damit ist klar: Ausländer nehmen den Deutschen keine Arbeitsplätze weg - sie schaffen welche. Die Zuwanderer sind keine Last oder Problemgruppe, sondern eine wichtige ökonomische Größe für unser Land und sie leisten genauso ihren Beitrag zum Steuer- und Sozialabgabenaufkommen des Staates wie alle anderen Menschen in unserem Land.

Zusammenfassend:

a.. Keine Parallelgesellschaften zulassen.
b.. Mehr Geld für Bildung.
c.. Ausbau der frühkindlichen Bildung.
d.. Bereitstellung von Wagniskapital, Erhalt der Sparkassenstruktur und Ermutigung zur Selbständigkeit.
e.. Ein mit- und kein gegeneinander der Kulturen.
f.. Stärkung von Projekten wie der Sozialen Stadt.

Zur Frage 2:

Der Islam ist mit fast 3 Millionen Muslimen die zweitgrößte Religionsgruppe in Deutschland. Die Bürgerinnen Bürger muslimischer Herkunft sind ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft. In diesem Sinne muss versucht werden, den Bedürfnissen aller Bürgerinnen Bürger und den Anforderungen einer multireli­giösen Gesellschaft in Deutschland gerecht zu werden. Dies ist ein Gebot der Gleichberechtigung.

Die Mehrheit der muslimischen Migrantin­nen und Migranten wollen sich in diese Gesellschaft integrieren, zugleich ihrer Religion nach­gehen und ihren Gottesdienst ausüben, so wie sie es für richtig hal­ten. Dieses Anlie­gen ist berechtigt und sollte ihnen nicht verwehrt werden. Ich möchte aber im Interesse gerade der ganz überwiegenden Mehrheit der muslimischen Bevölkerung in Deutschland, dass eine klare Grenze zwischen dem Islam und dem Islamismus gezogen wird. Ich möchte Intoleranz nicht mit Toleranz begegnen. Um dieser Ansicht Gehör zu verschaffen habe ich eine Initiative von säkularen Bürgerinnen und Bürgern muslimischer Herkunft in Hessen (ISL) gegründet. Diese Initiative setzt sich für die strikte Trennung von Religion und Staat, die entschiedene Ablehnung der Politisierung der Religion und der Gewaltanwendung im Namen der Religion sowie die uneingeschränkte Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ein. Ich bin davon überzeugt und möchte die anderen auch davon zu überzeugen, dass die Gesamtheit der demokratischen Werte und Normen von allen Menschen, die in dieser Gesellschaft leben, uneingeschränkt zu akzeptieren sind, und religiös begründete Partikularforderungen nur innerhalb dieses Rahmens eine Geltung haben dürfen.

Ich bin dagegen, dass Lehrerinnen während des Unterrichtes ein Kopftuch tragen dürfen. Es ist auch kein Zeichen für den Glauben, sondern ein politischer Kampf, der da von einigen Gruppen geführt wird. Die Bekleidungsfreiheit ist eine individuelle Freiheit, und es sollte jedem Menschen überlassen bleiben, wie er sich kleiden will, solange die Bekleidung nicht öffentlichen, höherrangigen Interessen zuwiderläuft. Lehrerinnen haben einen pädagogisch-erzieherischen Auftrag, sie sind Vorbilder und Identifikationsfiguren für Kinder. Es darf ihnen deshalb nicht gestattet sein, in Schulen mit Kleidungsstücken zu unterrichten, die dem Durchsetzen politisch-religiöser Ziele dienen sollen. Die Schule ist ein neutraler Ort und muss dies auch bleiben. Generell sollten religiöse Symbole im Staatsdienst, die die Neutralität des Staates beeinträchtigen, nicht erlaubt sein.

TURGUT YÜKSEL

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