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Tiemo Wölken
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Frage von Lucas K. •

Wird der Emissionshandel an das deutsche Modell angeglichen?

Sehr geehrter Herr Wölken,
wird der Emissionshandel von Cap&Trade zu einer CO2 Steuer umgebaut werden, dafür der Preis aber kontinuierlich gesteigert werden in Zukunft?
Das Problem an Cap&Trade ist, so wie ich es verstanden habe, dass es zu keiner Planungssicherheit für die Unternehmen führen wird, weil die Preisentwicklung nicht planbar ist. Sollte der Preis dann plötzlich sehr stark steigen, wird dies dann mit Sicherheit dazu führen, dass Ausnahmen und Subventionen vergeben werden, damit die Industrie nicht abwandert. Wäre somit eine CO2 Steuer und zusätzlich Ordnungspolitische Maßnahmen (z.B. Verbot von Privatjets, die nicht klimaneutral sind) sinnvoller?
Wie sieht es zusätzlich mit einem Klimageld aus, welches den sozialen Ausgleich und die Anreize für jeden Einzelnen mit berücksichtigt?
Soll außerdem die Landwirtschaft mit einberechnet werden?

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Lieber Herr K.

Grundsätzlich haben Sie Recht -  ein Cap & Trade System ist in der Preisfindung vom Markt abhängig - damit sind die Opportunitätskosten für Betriebe weniger planbar verglichen mit einer CO2-Steuer. Allerdings hat dieses System den Vorteil, dass durch die sinkende Anzahl der vergebenen Zertifikate die Klimawirkung und das sog. Carbon budget für die Marktteilnehmer sehr klar vorgegeben ist. Zwar setzt eine CO2-Steuer auch Anreize zur Dekarbonisierung, jedoch hängt die Größe der daraus resultierenden Investments und Emissionsminderungen von vielen anderen Faktoren ab, wie bspw. der allgemeinen Konjunktur oder der Position der teilnehmenden Betriebe auf dem Weltmarkt. 

Sie sprechen zu Recht ebenfalls die Gefahr der Abwanderung der Industrie ins Ausland an - das sog. 'Carbon Leakage' Risiko. Historisch gesehen war das Problem des EU ETS eher, dass der niedrige Preis und die Überversorgung mit Zertifikaten dazu geführt hatte, dass die Unternehmen keinen Anreiz hatten in saubere Alternativen zu investieren. Verschiedene Reformen Anfang der 2020er Jahre haben jedoch dazu geführt, dass sich der Preis auf einem höheren Level (ca. 65-100€/Tonne CO2) eingependelt hat (Übersicht ETS Preise). Das bisherige System sieht vor, dass bestimmte Industrien, die in internationaler Konkurrenz stehen da ihre Waren stark gehandelt werden, einen großen Anteil der Zertifikate, die sie benötigen, um ihre Emissionen zu decken, gratis zugeteilt bekommen, um sie vor unfairem Wettbewerb zu schützen. Schließlich sind ihre internationalen Konkurrenten nicht vom EU-ETS betroffen, können aber in die EU importieren. 

Dieses System hat jedoch den großen Nachteil, dass es den eigentlichen Sinn des ETS, nämlich Investitionen in die Dekarbonisierung rentabel zu machen, untergräbt. Dies lässt sich gut an einem Vergleich zwischen den zwei großen Sektoren im historischen ETS erkennen: Die Stromproduktion in Europa hat historisch sehr wenig Gratiszertifikate erhalten - zusammen mit nationalen Subventionen wie dem deutschen EEG und europäischen Ausbauzielen hat dies dazu geführt, dass Europas Stromversorgung 2024 bereits knapp zur Hälfte aus Erneuerbaren Quellen stammt.[1] In der Industrie jedoch, die in großem Umfang von Gratiszertifikaten profitiert hat, stehen wir mit der Dekarbonisierung noch am Anfang. 

Um dieses Problem anzugehen hat der europäische Gesetzgeber beschlossen, dass ab 2026 ein neues Instrument schrittweise die Gratiszertifikate ersetzen soll - der CO2-Grenzausgleich (eng. Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Unter dem CBAM müssen Importeure bestimmter emissionsintensiver Waren eine Abgabe bei der Einfuhr entrichten. Die Höhe der Abgabe richtet sich nach der Menge der Emissionen, die bei der Produktion freigesetzt wurden, und dem aktuellen ETS-Preis in der EU (bereits im Ursprungsland entrichtete CO2-Preise können angerechnet werden). Damit wird für gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen heimischen Produzenten unter dem ETS und ausländischen Konkurrenten unter dem CBAM gesorgt.  Um europäischen Unternehmen Zeit zu geben, ihre Produktionsweisen auf den Wegfall der Gratiszertifikate einzustellen, erfolgt dass Abschmelzen der Zertifikate parallel mit der langsam ansteigenden CBAM-Abgabe von 2026-2035.

Sie sprechen zurecht die Bedeutung ordnungspolitischer Maßnahmen für ein funktionierendes ETS und eine kohärente Klimaschutzpolitik an. Nur wenn alle Sektoren aktiv zur Abnahme der Emissionen beitragen, kann auch Cap & Trade funktionieren. Erfolgreiche Beispiele sind hier z.B. die bereits erwähnten Ausbauziele für Erneuerbare Energien und die CO2-Flottengrenzwerte für Autos, die bereits heute zu einem emissionsärmeren Transportsektor beigetragen haben. Neben der bereits erfolgten Aufnahme des innereuropäischen Luftverkehrs in den ETS wären daher aus Sicht meiner sozialdemokratischen Fraktion auch weitere ordnungspolitische Interventionen in diesem Bereich sinnvoll, etwa Begrenzungen für Kurzstreckenflüge, für die es gute Alternativen gibt, oder die von Ihnen angesprochenen Privatjets. Leider konnten wir für solche Schritte auf EU-Ebene bisher jedoch keine Mehrheit finden. 

In der letzten Reform des Europäischen Emissionshandelssystems (EHS) wurde dem bestehenden sog. ETS1, der jetzt Stromerzeugung, Industrie, Schifffahrt und Flugverkehr umfasst, ein neuer, getrennter ETS2 zu Seite gestellt.

 Im ETS2 sollen ab 2027 auch Treibstoffe, die im Straßenverkehr und in Gebäuden eingesetzt werden, mit einem CO2-Preis versehen werden. In den angesprochenen Sektoren gilt zurzeit das deutsche Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG). Das BEHG sieht von 2021 bis 2025 Festpreise für jede Tonne CO2 vor, beginnend mit 25€/t und ansteigend zu 55€/t in 2025. In 2026 sollen Auktionen in einem vorgegebenen Preiskorridor von 55€-65€ stattfinden. Ab 2027 soll dieser Preiskorridor dann der freien Preisfindung von Angebot und Nachfrage weichen. Die EU-Mitgliedsstaaten sind verpflichtet mit den nicht unerheblichen Einnahmen aus diesem System Investitionen in den Klimaschutz zu fördern damit die Emissionen weiter sinken und der Preis nicht aus dem Rahmen läuft. 25% der Einnahmen werden außerdem in den Europäischen Klimasozialfonds abgeführt werden, der Unterstützung für ärmere Haushalte, vor allem auch in den einkommensschwächeren Mitgliedsstaaten organisiert. Als SPD fordern wir seit langem, dass ein großer Teil der deutschen Einnahmen in das von Ihnen angesprochene Klimageld mit sozialer Staffelung investiert werden sollte, damit Klimaschutz keine Einkommensfrage bleibt. Die CDU/CSU hat diese Möglichkeit im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung zumindest nicht ausgeschlossen und die Verhandlungen dauern an - ich hoffe dass ich Ihnen hier in Zukunft ein positives Update geben kann.

Zum Thema Landwirtschaft und Emissionshandel - aufgrund einiger Besonderheiten in diesem Sektor (v.a. die Abhängigkeit der Landwirt*innen von der Lebensmittelindustrie und die begrenzten Möglichkeiten zum Investieren in klimafreundliche Alternativen) ist ein Cap & Trade System hier nur bedingt sinnvoll. Man könnte aber z.B. die vor- oder nachgelagerten Betriebe (Dünger und andere Inputs/Nahrungsmittelverarbeiter) für ein solches System in die Pflicht nehmen. Die Diskussionen und Überlegungen dazu dauern noch an, sowohl in der EU-Kommission, als auch in meiner eigenen Fraktion.

Bitte entschuldigen Sie meine verspätete und sehr ausführliche Antwort, jedoch waren viele der von Ihnen angesprochenen Elemente zwischenzeitlich noch im Fluss und die Zusammenhänge etwas komplexer. Ich hoffe jedoch, dass ich Ihnen mit dieser Auskunft weiterhelfen konnte und bedanke mich für Ihr Interesse an effektiver Klimaschutzpolitik - sie ist wichtiger denn je.

Mit freundlichen Grüßen,

Tiemo Wölken


 

[1] Eurelectric, Electricity in 2024

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