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Sven-Christian Kindler
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Inga S. •

Frage an Sven-Christian Kindler von Inga S. bezüglich Soziale Sicherung

Mit den aktuellen Plänen einer „Rechtsvereinfachung“ sollen die Hartz-IV-Leistungen zum 60. Mal verändert und verschärft werden. Die vom Verfassungsgericht angemahnten Nachbesserungen (Energiekosten, Elektrogeräte, Regelbedarfe, Brillen) blieben außen vor, auch die angekündigte Entschärfung der Sanktionen scheiterte. Stattdessen erfolgen richtungslose Schlechter- und Besserstellungen mit wenig durchdachten Änderungen wie z.B.
- Statt der Entschärfung bedrohender Sanktionen soll nun auch bestraft werden, wenn Hilfebedürftigkeit nicht verringert wird - eine weitere Sonderstrafe, die es in anderen Sozialleistungen nicht gibt. Fiktive „Was-wäre-wenn-Verläufe" führen in neue Rechtsunsicherheit.
- Wohnkosten sind schon jetzt der strittigste Bereich. Nun sind weitere Hürden mit einer tückischen Obergrenze für die Heizkosten vorgesehen, die zu einer „Rechtsverkomplizierung“ führen.
- Der Ausschluss von Azubis, Schülern und Studenten wurde großteils zurückgenommen - prima. Doch Studierende an Hochschulen in eigener Wohnung bleiben auf dem Weg „ganz nach oben“ ausgeschlossen. Zusätzlich wird für sie die Hilfe bei Mietschulden beseitigt.
- Hilfe in den vielen Notlagen wird für die Nothelfer unnötig erschwert. Überbrückungsdarlehen können nicht mehr abgetreten werden, weil mit der Pfändbarkeit auch die Abtretbarkeit von Alg-II-Leistungen beseitigt wurde.

Eine weitergehende kritische Gesamtkommentierung gibt es in der Bundestagsausschussdrucksache 18(11)484.
Hartz-IV-Bezieher wurden in der Vergangenheit vielfach abgestraft. Dieses Vorhaben verschärft den Rechtsruck von Menschen, die befürchten, mit der Flüchtlingswelle weiter an den Rand gedrückt zu werden. Gefragt ist eine hohe soziale Sensibilität der Politik.
In wie weit teilen Sie diese Bedenken? Was können Sie ggf. tun, um neue Schlechterstellungen oder Verschärfungen für die Betroffenen zu verhindern?

mit freundlichen Grüssen
Inga Schmalz
Mitglied AK-Linden
Arbeitskreis Arbeitslose Linden

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Schmalz,

vielen Dank für Ihre Frage.
Wir sehen die Hartz-IV-Novelle ebenfalls sehr kritisch und haben uns als Fraktion für weitreichende Nachbesserungen stark gemacht. Einige Probleme mit der Novelle die wir ebenfalls sehen haben Sie angesprochen. Weitere Informationen finden Sie u.a. auf der Homepage unseres zuständigen Fachpolitikers: http://www.strengmann-kuhn.de/parlament/parlamentarische-initiativen/eigene-initiativen-2016/buerokratieumbau-wird-beschlossen-chance-zur-verbesserung-sehenden-auges-verpasst.html

Ihre Einschätzung, die Veränderungen in der Hartz-IV-Gesetzgebung führe zu einem Rechtsruck, halte ich jedoch für falsch. Leider profitiert der Rechtspopulismus von der sozialen Ungerechtigkeit in Deutschland, wenn auch rechtspopulistische Parteien mit ihrer neoliberalen Agenda die Schere zwischen arm und reich weiter öffnen würden. Doch dürfen wir auch nicht den „Rechtsruck“ als Problem von Hartz-IV-EmpfängerInnen vereinfachen. Das Phänomen ist vielschichtig. In den Auswertungen der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern hat sich beispielsweise gezeigt, dass Arbeitslose nur einen kleinen Teil der AfD-WählerInnen ausmacht, z.B. gegenüber ArbeiterInnen. Auch Manager und Professoren aus dem Bürgertum wählen die AfD. Die erneute Schlechterstellung von Hartz-IV-EmpfängerInnen gilt es scharf zu kritisieren, aber wir dürfen sozial benachteiligte Menschen nicht pauschal als rechts abstempeln, das wäre eine weitere folgenschwere Diskriminierung.

Mit freundlichen Grüßen

Sven-Christian Kindler

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