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Sabine Böddinghaus
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Frage von Andreas R. •

Frage an Sabine Böddinghaus von Andreas R. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Die Ausbildungszeiten gerade im akademischen Bereich gehören in Deutschland zu den längsten weltweit.

Die Folgen sind bekannt: Das im Vergleich zu anderen Staaten lange Studium verlängert die Zeiten, in denen Studierende Bildung konsumieren müssen, während die Zeiten, in denen produktiv für die Volkswirtschaft gearbeitet werden kann bezogen auf die Lebensarbeitszeit stark sinkt.

Ein weiteres Problem ist, dass durch die Verzögerung des Abschlusses die Anzahl der Akademikerinnen, die kinderlos bleiben, mittlerweile auf 44 % gestiegen ist, und das, obwohl 80 % einen Kinderwunsch hegten. Offenbar lassen sich Ausbildung und Familie nicht vereinbaren, wenn man inzwischen erst mit Ende 20 fertig mit dem Studium ist und dann noch durch Arbeit seine eigene Zukunft absichern muss.

Meine konkrete Frage ist daher an sie als selbständige Mutter von 5 Kindern, welche Konzepte ihre Partei vorweisen kann, um die Studiendauer effektiv zu verkürzen, um mehr Frauen gleichzeitig sowohl eine Ausbildung als auch Kinder zu ermöglichen.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Reichardt,

bitte haben Sie Verständnis für die etwas längere Zeit, die sie auf meine Antwort warten mussten: da ich selbst nicht für den Bereich Hochschule zuständig und kompetent bin, wollte ich mich erst bei den entsprechenden Kolleg/innen meiner Fraktion versichern.

Zuerst eine Bemerkung zu Ihrer eingangs formulierten Prämisse: Ich teile die Auffassung, (relativ) lange Studienzeiten wären ein volkswirtschaftliches Problem, nur bedingt. Zum einen habe ich Bedenken, den Wert von Bildung ausschließlich unter ökonomischen Kriterien zu betrachten. Soll heißen: Selbst wenn die Akademiker/innen erst später als in anderen Ländern ihr erworbenes Wissen in die Produktion materieller Werte umsetzen, so stellt doch die gute (Allgemein-)Bildung, die sie an der Hochschule (hoffentlich) auch erworben haben, einen gesellschaftlichen Wert an sich dar - wenn auch keinen, den man direkt in Euro und Cent messen könnte. Zum anderen sind Studierende bereits an den Hochschulen zumindest ein wenig an der Produktion von Wissen beteiligt, und damit - je nach Art dieses Wissens - mehr oder weniger direkt an der Produktion ökonomischer Werte.

Gleichwohl teilen wir als SPD ihre Ansichten, dass das Studium in kürzerer Zeit absolviert werden können sollte, und natürlich auch, dass die Vereinbarkeit von Familie und akademischer Ausbildung verbessert werden muss. Letzteres ist, wie Sie sicherlich wissen, eines unserer zentralen gesellschaftspolitischen Ziele als SPD.

Wie wollen wir die Studiendauer verkürzen? Zuerst einmal hat das relativ hohe Alter der Absolventen in Deutschland auch schlicht etwas damit zu tun, dass die Schulzeit bis zum Abitur bis vor kurzer Zeit generell 13 Jahre betrug. Der Trend in den meisten Bundesländern zur Verkürzung auf 12 Jahre bringt hier also bereits einiges. Schulpolitische Bedingung hierfür ist unseres Erachtens die flächendeckende Einführung von Ganztagsunterricht mit entsprechenden pädagogischen Innovationen, damit die Schulzeitverkürzung keine Qualitätseinbußen oder unproduktiven Leistungsverdichtungen mit sich bringt. Hinzu kommt bei den jungen Männern der Wehr- bzw. Zivildienst, den es in vielen anderen Staaten nicht gibt. Zur Zukunft dieser "Zwangsdienste" steht in der SPD eine grundsätzliche Debatte an - wohl leider erst nach den Bundestagswahlen.

Zur direkten Verkürzung der Studiendauer wird die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor- und Masterabschlüsse beitragen; ein Bachelor kann bereits nach sechs Semestern erworben werden. Wir tragen diese Umstellung unter der Bedingung mit, dass damit auch eine verbesserte, intensivere Betreuung der Studierenden einhergeht (mehr Tutorien, bessere Beratung, bessere Relation Lehrende/Studierende). Dann ist eine Verkürzung ohne Qualitätseinbußen machbar. Ein weiterer Punkt ist die finanzielle Förderung des Studiums, denn die Mehrzahl der Studierenden muss sich seinen Lebensunterhalt nebenbei ganz oder teilweise verdienen, oft mit erheblichem Zeitaufwand. In den letzten Jahren hat die Bundesregierung die Ausbildungsförderung (BaföG) bereits wieder deutlich ausgebaut; hier muss eventuell noch mehr getan werden. Die genannten Punkte erfordern jedoch jeweils, höhere finanzielle Mittel als bisher aufzuwenden - und zwar mehr, als durch eine Verkürzung der Studiendauer möglicherweise eingespart werden kann. Da wir als SPD Studiengebühren nach wie vor ablehnen, müssen wir also die Debatte führen, welchen Anteil ihres Sozialproduktes die Gesellschaft in die Bildung investieren will. Gerade hier liegen wir ja mittlerweile im Vergleich mit vielen Industrieländern eher hinten. Die SPD will grundsätzlich eine Erhöhung der Investitionen in die Bildung, auch wenn dies haushaltspolitisch
oft nur schwer vorstellbar ist.

Zur Vereinbarkeit von akademischer Ausbildung bzw. Karriere und Familie - gerade auch für Frauen - brauchen wir zum einen bessere Möglichkeiten der Kinderbetreuung allgemein: einen Ausbau der Kindertagesbetreuung, wie ihn die Bundesregierung ebenfalls seit einigen Jahren durch ein entsprechendes Programm unterstützt (und mit dessen Umsetzung in Hamburg durch den Senat wir und viele Betroffene äußerst unzufrieden sind!); den bereits genannten Ausbau von Ganztagsschulen; bessere Möglichkeiten und Anreize zur Teilzeitarbeit für Frauen und Männer. Wir müssen auch den Mentalitätswandel (weiter) vorantreiben: dass Väter genauso für die Kinderbetreuung zuständig sind wie Mütter. Damit sollten zum anderen an den Hochschulen entsprechende Maßnahmen korrespondieren: Kinderbetreuungsangebote für studierende Eltern direkt an den Hochschulen; Ausbau von Möglichkeiten eines Teilzeitstudiums an den Hochschulen, um eine flexiblere Studienzeit zu gewährleisten.

Ich hoffe, Ihre Fragen zumindest ansatzweise beantwortet zu haben, und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Sabine Boeddinghaus

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