Sind Sie persönlich für die Wehrpflicht?
Sehr geehrte Frau Alabali Radovan,
Sie kennen sicherlich den neuen Song von Disarstar "Meine Söhne geb ich nicht". Warum sollte auch nur ein junger Mensch dieses Land verteidigen? In Zeiten, in denen die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird und das Kapital sich mehr und mehr bei wenigen Eliten konzentriert, welche wiederum kaum etwas für die Allgemeinheit tun. Warum also sollten bei immer schlechter werdenden Verhältnissen und größer werdender Prekarisierung, wachsenden Rassismus uvm. auch nur ein junger Mensch dieses Land im Zweifel bis zum Tode verteidigen? Würden Sie Ihr Kind für den Dienst an der Waffe ermutigen?
Der aktuelle Kabinettsbeschluss sieht zwar keine Pflicht vor, aber aufgrund des kaum vorhandenen Interesses, wird die Pflicht vermutlich durch die Hintertür kommen. Ist das sozialdemokratisch?

Sehr geehrter Herr F.,
vielen Dank für Ihre Frage und dass Sie Ihre Bedenken so deutlich schildern. Ich verstehe die Sorgen, die Sie ansprechen – gerade mit Blick auf soziale Ungleichheit, wachsenden Rassismus oder die Frage, warum junge Menschen überhaupt Verantwortung für dieses Land übernehmen sollten. Diese Diskussion nehme ich sehr ernst.
Der aktuelle Kabinettsbeschluss sieht ausdrücklich keine Wiedereinführung der Wehrpflicht vor. Ab 2026 soll es ein Anschreiben an junge Menschen geben, um sie über die Möglichkeiten eines freiwilligen Dienstes zu informieren. Männer ab dem Geburtsjahr 01.01.2008 müssen dann darauf antworten, sind aber frei darin zu entscheiden, ob Sie und in welcher Art sie zur Verfügung stehen. Ab 2027 wird eine verpflichtende Musterung eingeführt, die dazu dient, einen Überblick über die Fähigkeiten und Interessen zu bekommen. Entscheidend ist aber: Der Dienst bleibt dennoch freiwillig. Es geht nicht darum, eine „Pflicht durch die Hintertür“ einzuführen, sondern darum, die Bundeswehr, den Katastrophenschutz und andere Dienste für junge Menschen attraktiver zu machen und besser aufzustellen.
Warum ist das notwendig? Die internationale Lage hat sich dramatisch verschärft. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass Frieden und Sicherheit keine Selbstverständlichkeit sind. Um unsere Demokratie, unsere Freiheit und unsere Art zu leben zu schützen, braucht es eine verlässliche Verteidigungsfähigkeit.
Als Sozialdemokratin ist mir dabei wichtig, dass dies in einem fairen und gerechten Rahmen geschieht. Es geht nicht nur um den Dienst an der Waffe, sondern um verschiedene Einsatzmöglichkeiten – auch im sozialen oder zivilen Bereich. Ziel ist, junge Menschen zu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen, ohne sie zu verpflichten.
Ich weiß: Diese Fragen berühren viele Grundüberzeugungen und sind für viele Menschen schwer. Ich bin überzeugt, dass wir als Gesellschaft gerade in schwierigen Zeiten den Zusammenhalt brauchen – und dass ein freiwilliger Dienst ein Baustein dafür sein kann.
Mit freundlichen Grüßen
Reem Alabali Radovan