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Petra Pau
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Frage von Oliver B. •

Frage an Petra Pau von Oliver B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Pau,

was halten Sie von der Idee, das die Parteien im Vorfeld von Wahlen eine verpflichtende Erklärung abgeben müssen, mit wem eine Koalition in Frage kommt und mit wem nicht?
Das Chaos in Hessen wäre sicher vermieden worden und ich bin mir nicht sicher, ob wir in Hamburg schwarz/grün hätten.
Ich als Wähler könnte mir bei der Wahl überlegen ob ich bereit bin, die von "meiner" Partei vorgeschlagenen, möglichen Koalitionspartner mitzutragen. Ausserdem gibt es dann, zumindest was Koalitionen anbelangt, keinen Wortbruch mehr.

Mit freundlichen Grüssen
Oliver Bremer

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Oliver Bremer,

Ihre Sorge verstehe ich gut. Denn das, was in Hessen geschehen ist, ebenso in Hamburg und vordem schon in anderen Bundesländern, all das ist bestens geeignet, die ohnehin vorhandene Parteienverdrossenheit und den gefährlich zunehmenden Demokratieverdruss, weiter zu steigern.

Von Wählerinnen und Wählern erwartet man, dass sie sich so oder so entscheiden. Ergo können Wählerinnen und Wähler erwarten, dass zuvor klar ist, wofür oder wogegen sie sich überhaupt entscheiden können. Das halte ich für eine Bringpflicht der kandidierenden Parteien.

Gleichwohl teile ich Ihre Überlegung nicht. Sie würde letztlich darauf hinaus laufen, dass Wahlkämpfe auf vermeintliche Lager fokussiert würden. Man kennt diese Spiele: Hie das linke Lager, dort das bürgerliche Lager, egal, ob dies überhaupt stimmt. So tendierten Wahlkämpfe zu Glaubensfragen, Sinn entleert.

Die Vielfalt der Parteien wäre reduziert. Ihre Inhalte gerieten in den Hintergrund. Letztlich liefe das alles auf eine Privilegierung der vermeintlich großen "Volksparteien" hinaus, so wie es in Großbritannien oder in den USA üblich ist. Ich halte diese Wahlsysteme nicht für mehr, sondern für weniger Demokratie.

Nun war ihr Stichwort "Chaos in Hessen".Ja, das ist groß und es wird immer größer und immer irrer. Aber nicht, weil die Parteien zuvor zu wenig verpflichtende Koalitionsaussagen gemacht hätten, sondern weil sie zu viele irrationale Koalitionsaussagen in die Welt gesetzt haben.

Das trifft vor allem auf die Hessische SPD zu. Sie hatte ihren Wählerinnen und Wählern versprochen: Wir wollen einen Politik-Wechsel und wir lösen deshalb die Regierung Koch ab. Und sie hatte zugleich versprochen: Wir machen das, aber nie und nimmer mit der Partei DIE LINKE.

Nun haben wir das Jahr der Mathematik. Aber schon jeder einfache Fingerrechner weiß: Das geht so nicht. Entweder Politikwechsel und Koch ablösen, dann geht das nur mit der Linkspartei. Oder ohne Linkspartei, dann kann man den Politikwechsel und die Ablösung von Roland Koch vergessen.

Noch einfacher gesagt: Andrea Ypsilanti & Co. hatten zu entscheiden: Wie viele Vorwahl-Versprechen will sie brechen? Versucht sie es mit der Linken, dann bricht sie eines. Ignoriert sie die Chance mit der Linken, dann bricht sie zwei. In diese Zwickmühle hat sich die (Hessen) SPD selbst gebracht.

Interessanter finde ich etwas anderes. Alle konservativen Moral-Kommentatoren beklagen, dass die Hessen-SPD ein Versprechen gebrochen habe und sie suggerieren damit, es wäre besser gewesen, zwei Versprechen zu brechen. Es geht ihnen also nicht um Moral, es geht ihnen vehement gegen DIE LINKE.

Und damit wäre ich bei einem Grundfehler der SPD, dem auch die Hessische SPD so lange anhing, bis sie von der Realität eingeholt wurde. DIE LINKE ist politisch inzwischen ein bundesweiter Faktor. Sie lässt sich nicht mehr als ostdeutsche Idiotie am Rande der Bundesrepublik abschreiben.

Ein Fünf-Parteien-System wird auch im Westen normal. Noch wehren sich vehement die CDU/CSU und auch die SPD, diese Tatsache anzuerkennen. Sie fürchten um ihre Vormacht-Rolle, die sie selbst verspielt haben. Deshalb noch mal: Koalitions-Aussagen ersetzen keine Politik-Aussagen.

Mit solidarischen Grüßen

Petra Pau

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