Warum gibt es im Jahr 2025 immer noch Sonderrechte für bestimmte religiöse Gruppen in Bezug auf den Wehrdienst?
Laut Wehrpflichtgesetz (WPflG) § 11 Abs. 1 Nr. 1–3 sind „Geistliche evangelischen Bekenntnisses“ sowie „Geistliche römisch-katholischen Bekenntnisses“ vom Wehrdienst befreit.
Zudem heißt es in § 12 Abs. 2, dass Personen mit einem nachgewiesenen ordentlichen theologischen Studium oder einer entsprechenden Ausbildung auf Antrag zurückgestellt werden können.

Sehr geehrter Herr T.,
vielen Dank für diese interessante Frage.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Befreiung von Geistlichen evangelischen Bekenntnisses und Geistlichen römisch-katholischen Bekenntnisses vom Wehrdienst nach § 11 Abs. 1 Nr. 1–3 des Wehrpflichtgesetzes (WPflG) in Deutschland vor allem auf historische Traditionen, religiöse Prinzipien und die besondere moralische Verantwortung von Geistlichen zurückzuführen ist. Diese Regelung berücksichtigt auch die verfassungsrechtlichen Grundlagen, insbesondere das Recht auf Religionsfreiheit und die Wahrung der religiösen Berufsausübung, ohne dass die Gesellschaft in ihrer Verteidigungsfähigkeit signifikant beeinträchtigt wird.
In vielen europäischen Ländern, einschließlich Deutschland, gibt es eine lange Tradition, dass Geistliche (Priester und Pastoren) von militärischen Diensten ausgenommen sind. Dies geht auf das Mittelalter und die frühe Neuzeit zurück, als die religiösen Führer als geistliche Oberhäupter und als Vermittler zwischen Gott und den Gläubigen eine besonders geschützte Stellung in der Gesellschaft hatten. Diese Tradition wurde in vielen Ländern beibehalten, da die geistliche Tätigkeit als wichtiger für das Wohl der Gesellschaft angesehen wurde als die Teilnahme an militärischen Auseinandersetzungen. Während der Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts wurden Geistliche häufig von der Wehrpflicht ausgenommen, weil ihre Aufgabe als Seelsorger, die spirituelle Betreuung der Truppen und die Erfüllung ihrer religiösen Aufgaben als unverzichtbar angesehen wurde. Die christliche Lehre, insbesondere im Katholizismus und im Protestantismus, hat in vielen Glaubensgemeinschaften die Idee der Gewaltverweigerung unterstützt. Ein Priester oder Pastor soll gemäß seiner Berufung nicht aktiv in kriegerische Handlungen eingreifen, sondern vielmehr als Friedensbotschafter und Seelsorger fungieren. Dies steht im Einklang mit den moralischen und ethischen Grundsätzen der Kirchen, die Gewalt als einen letzten, inakzeptablen Schritt betrachten, um Konflikte zu lösen. Priester und Pastoren nehmen eine besondere Verantwortung wahr, die es ihnen aus der Sicht der Kirchen und der Gesellschaft verbietet, direkt in kriegerische Handlungen verwickelt zu werden. Stattdessen sollen sie die spirituelle Betreuung der Soldaten übernehmen und ihre moralische Verantwortung zur Förderung des Friedens und der Versöhnung wahrnehme Die Anzahl der Geistlichen, die vom Wehrdienst befreit sind, ist in der Regel relativ gering, sodass ihre Befreiung keine signifikante Auswirkung auf die militärische Stärke des Landes hat. Diese Ausnahme wurde aus praktischen Gründen beibehalten, da der Dienst von Priestern und Pastoren in der Gesellschaft eine eigene, wertvolle Rolle spielt und ihre religiösen Funktionen als unverzichtbar angesehen werden. Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert die Freiheit der Religionsausübung. Die Befreiung von Geistlichen vom Wehrdienst ist daher auch im Einklang mit diesem Grundrecht, das es religiösen Gruppen ermöglicht, ihre spirituelle Führung unabhängig von militärischen Verpflichtungen auszuüben. Der Staat hat auch die Verantwortung, den freien Zugang zu religiösen Berufen zu gewährleisten und die religiöse Arbeit nicht unnötig durch weltliche Verpflichtungen wie den Wehrdienst zu behindern. Die Befreiung von Geistlichen aus dem Wehrdienst stellt sicher, dass diese ihre religiösen Aufgaben ohne Einschränkungen wahrnehmen können. Die Wehrpflicht wurde in Deutschland 2011 ausgesetzt, und seitdem gibt es keine allgemeine Pflicht mehr zum Militärdienst. Die Diskussionen über eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht oder die Einrichtung einer allgemeinen Dienstpflicht werden wieder geführt, aber es gibt keine Anzeichen für eine grundlegende Veränderung der Regelungen, die religiöse Sonderrechte im Zusammenhang mit dem Wehrdienst betreffen.
Freundliche Grüße
Parsa Marvi