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Özcan Mutlu
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Frage von Uli K. •

Frage an Özcan Mutlu von Uli K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Lieber Herr Mutlu,
im vergangenen Jahr wurde viel über das Kopftuchverbot diskutiert. Während die Verfechter des Verbots das Kopftuch als politisches Symbol werten, sahen die Gegner des Verbots einen Einschnitt in die Religionsfreiheit. Weiter wird hier argumentiert, dass gerade jenen Musliminen, die z.B. als Lehrerinnen über einen Universitätsabschluss verfügen, die Möglichkeit verwehrt wird zu zeigen, dass sich ein religiös muslimisches Leben durchaus mit Bidlung und Demokratie vereinbaren lassen.
Auch die Partei der Grünen scheint in dieser Frage gespalten zu sein.
Welche Position nehmen sie in dieser Diskussion ein und wie verhalten sie sich zu der Frage, ob z.B. jüdische Lehrer eine Kopfbedeckung oder christliche Lehrer eine Kette mit Kreuz tragen dürfen?
Vielen Dank
MFG
Kasaki

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Frau oder Herr Kasaki,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich sehr gerne beantworte. Dass wir es mit dem Diskriminierungsverbot sehr genau nehmen, ist gerade im multireligiösen Berlin auch ein Gebot politischer Vernunft. Die religiöse Neutralität des Staates ist gerade in unserer Stadt mit über 100 unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften eine Voraussetzung für ein freies, gerechtes und friedliches Zusammenleben.

In der Diskussion geht es immer um die Unterscheidung zwischen „auffälligen Kleidungsstücken“ auf der einen Seite und „demonstrativen Symbolen“ auf der anderen Seite. Dass das Kopftuch „auffällig“ ist, scheint klar, was jedoch heißt „demonstrativ“? Kruzifixkettchen gelten als nicht demonstrativ, da sie als „Symbole, die als Schmuckstücke getragen werden“ gelten und somit „von der Regelung nicht erfasst werden“. Bündnis 90/ Die Grünen sind der Auffassung, dass die unpräzisen Formulierungen zu große Interpretationsspielräume bieten und damit zu einem Lex-Kopftuch ausarten können, was wir natürlich nicht wollen! Unser Vorschlag war, Kleidungsstücke und Symbole gleich zu behandeln und an das eindeutige Kriterium der Sichtbarkeit anzuknüpfen. Wenn es um einen verfassungsrechtlich so sensiblen Bereich geht, sollten wir uns als Parlament und als Gesetzgeber der Aufgabe nicht verschließen, nach langer Diskussion mit guten Argumenten Gesetze auch präzise zu formulieren.

Persönlich habe ich natürlich überhaupt kein Problem damit, wenn eine Muslima privat oder in der Öffentlichkeit ein Kopftuch trägt, auch meine Mutter hat jahrelang ein Kopftuch getragen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn eine Muslima im Beruf – beispielsweise als Sachbearbeiterin im Sozialamt – ein Kopftuch trägt. Hier geht es jedoch um die Schule, in der eine Lehrerin quasi auch die personifizierte Staatsgewalt ist. Meiner Meinung nach, überwiegt in der Schule die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler, und die ist uneingeschränkt einzuhalten.
Zweifellos hat auch eine verbeamtete Lehrkraft das Recht auf freie Religionsausübung und kann dies im Privatleben durch Symbole und Zeichen aller Art zu bekunden. Im Unterricht hat sie jedoch diesbezüglich dezent aufzutreten. Denn das "islamische" Kopftuch wird weder als modisches Accessior noch als rein privater Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses verstanden, sondern als plakative Darstellung eben einer bestimmten Ideologie. Man muss unterstellen, dass dies in aller Regel auch so gemeint ist. Dabei behandelt der Koran die Frage nach dem öffentlichen Auftreten der Frau an fünf verschiedenen Stellen, ein Gebot der Kopf-Verschleierung lässt sich nicht finden. Mit dem kompromisslosen Beharren auf dem Kopftuch unter allen Umständen werden mindestens unterschwellig bestimmte Ideologien, besonders hinsichtlich der Rolle und des Selbstverständnisses der Frau, transportiert, die über das rein religiöse Bekenntnis weit hinausgehen.

In einer Demokratie ist es natürlich nicht verboten, Ideologien aller Art zu vertreten, nur darf dies nicht in der staatlichen Schule geschehen. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für den Islam, sondern für jedwede sich religiös oder weltanschaulich begründende Haltung. Es geht hier auch nicht darum, unsinnige Ängste vor dem Islam oder den Muslimen zu schüren, sondern um ein unmissverständliches Festhalten am Prinzip des religiös neutralen öffentlichen Schulsystems. Und in diesem ist ein ideologisch so aufgeladenes Zeichen, wie es das Kopftuch heute nun einmal darstellt, durchaus kontraproduktiv. Darüber hinaus wird die Gesellschaft ihre Balance zwischen dem positiven religiösen Bekenntnis einerseits und dem Recht auf negativer Religionsfreiheit andererseits noch finden müssen. Ich hoffe, Ihre Frage hiermit beantwortet zu haben. Auf meiner Homepage, finden Sie weitere Informationen:
http://www.mutlu.de/suchen/23075.html?searchshow=kopftuch
http://www.mutlu.de/suchen/19235.html?searchshow=kopftuch

Mit freundlichen Grüßen

Özcan Mutlu