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Norbert Geis
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Frage von Hubert B. •

Frage an Norbert Geis von Hubert B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Geis: Warumm müssen unser Soldaten in Afghanistan-Eingesätzt werden und in einem Fremden Land Krieg führen und Sterben? Wenn Terroristen einen Angriff auf Deutschland oder Europa machen wollen, können sie das auch außerhalb von Afghanistan! Für mich ist der Einsatz Deutscher Soldaten in Afghanistan eine Provokation für das Afghanische Volk. Kein Volk würde ein Anderes Volk angreifen, wenn es nur Humane Hilfe leistet! Die Bundesregierung sollte sich schämen gegen das Grundgesetz zu verstoßen und Kriegerische Handlungen befehlen.

Mit freundlichem Gruß: Hubert Basso

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Sehr geehrter Herr Basso,

haben Sie vielen Dank für Ihre e.mail, in der Sie sich kritisch mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auseinandersetzen. Ich kann Ihre Bedenken und Ihre Kritik sehr gut nachvollziehen. Dennoch habe ich in der Abstimmung für die Verlängerung votiert. Ich möchte dies aber auch im Folgenden versuchen zu begründen und die Argumente für meine Entscheidung darlegen.

Vor dem Eingreifen der internationalen Gemeinschaft bestand in Afghanistan eine durch die Taliban errichtete Schreckensherrschaft, in der auch fundamentalste Menschenrechte missachtet wurden. Darüber hinaus war Afghanistan ein Rückzugsraum und Trainingsgebiet für Extremisten, die mit Ihrer Gewalt alle liberalen Gesellschaften bedrohten. Aufgrund der weitreichenden Verquickung zwischen der Taliban-Regierung und Al-Qaida wurde den USA in der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 vom UN-Sicherheitsrat das Recht auf Selbstverteidigung zuerkannt. Der folgende Einsatz amerikanisch geführter Streitkräfte in Afghanistan hatte den Sturz der Taliban zur Folge. Seither engagieren sich verschiedene Nationen im Land in dem Bestreben, den Terrorismus zurückzudrängen und rechtsstaatliche Strukturen zu etablieren. Dieses ist im unmittelbaren Interesse der deutschen Sicherheitspolitik, da auch die Bundesrepublik vom internationalen Terrorismus bedroht ist, wie aktuelle Beispiele immer wieder zeigen. Das übergreifende Ziel des Einsatzes ist es, die afghanischen Behörden in die Lage zu versetzen, selbst für Sicherheit und Stabilität in ihrem Land zu sorgen.

Zurückgehend auf eine Initiative der damaligen Rot/Grünen Regierung engagiert sich die Bundesrepublik Deutschland auf folgende Weise in Afghanistan: Die International Security Assistance Force (ISAF) ist eine durch den UN-Sicherheitsrat mandatierte Mission unter Führung der NATO aufgrund der Ursprungsresolution 1386. Ziel der Mission ist die Unterstützung der afghanischen Regierung bei der Schaffung eines sicheren Umfeldes und leistungsfähiger Sicherheitsorgane für den Wiederaufbau Afghanistans. Die Bundeswehr ist durch einen Beschluss des Parlaments seit dem 22. Dezember 2001 (BT-Drucksache: 14/7930 und Verlängerungen) am ISAF-Einsatz in Afghanistan beteiligt. Teil der ISAF-Mission ist auch der Einsatz der Aufklärungstornados der Bundeswehr, deren Aufgaben Aufklärung, Überwachung und Auswertung aus der Luft umfassen. Das Bundestagsmandat für diesen Einsatz (BT-Drucksache 16/6460) hatte bisher eine Obergrenze von 3500 Soldatinnen und Soldaten. Heute hat der Bundestag aktuell über eine Erhöhung des Mandatsumfangs auf 4500 Soldaten entschieden. Eine Erweiterung des Mandats bedeutet nicht, dass dieser Rahmen zwangsläufig ausgeschöpft wird. Viel eher geht es darum, mehr personellen Spielraum zu erhalten, um in unvorhergesehenen Situationen flexibel reagieren zu können. In der Vergangenheit hatte sich das bisherige Mandat vielfach als zu knapp bemessen erwiesen. Grund hierfür sind auch die gestiegenen Aufgaben und Anforderungen in diesem Einsatz. Insbesondere vor dem Hintergrund der zweiten Präsidentschaftswahlen, die 2009 in Afghanistan stattfinden und zu deren Absicherung die Bundeswehr beiträgt, ist mehr Flexibilität wünschenswert.

Weiterhin engagiert sich die Bundesrepublik in der amerikanisch geführten Operation Enduring Freedom (OEF), die sich auf das Selbstverteidigungsrecht aus Artikel 51 der UN-Charta (Res. 1368, 1373, 1378) stützt. Im Rahmen von OEF können bis zu 1400 Deutsche Soldaten (davon 1000 Marinesoldaten) eingesetzt werden (BT-Drucksache: 16/6939). Hauptaufgabe des OEF-Mandats ist die internationale Terrorbekämpfung. Der deutsche Beitrag zu OEF findet zur Zeit fast ausschließlich im Rahmen des Marineeinsatzes um das Horn von Afrika und um die arabische Halbinsel statt. Hauptauftrag ist die Seeraumüberwachung und der Schutz von Seeverbindungslinien. So sollen vor allem die Transport- und Nachschubwege von Terroristen abgeschnitten werden. Aktuell sind in diesem Rahmen ca. 90 Bundeswehrangehörige im Einsatz, die Mehrzahl hiervon an Bord von Schiffen (Stand: 1. Oktober). Für Afghanistan sieht unser OEF-Mandat momentan noch bis zu 100 Soldaten der Spezialkräfte vor. Da diese jedoch seit Längerem nicht mehr angefordert wurden, wird aktuell diskutiert diese Komponente aus dem OEF-Mandat herauszunehmen. Unabhängig davon wäre ein Einsatz der Spezialkräfte im Rahmen des ISAF-Mandats natürlich weiterhin möglich.

Festzuhalten ist jedoch, dass wir die Wichtigkeit der OEF-Mission in Afghanistan weiterhin ausdrücklich unterstützen. Die Terrorbekämpfung und die Schutzaufgaben, die im Rahmen von OEF durch andere Nationen wahrgenommen werden, sind essentiell für die Sicherheit aller Einsatzkräfte und Aufbauhelfer in Afghanistan. Hervorzuheben ist insbesondere, dass der Großteil der Ausbildung der afghanischen Armee im Rahmen des OEF-Mandats durchgeführt wird. ISAF und OEF sind getrennte Mandate, jedoch in der Zielrichtung aufeinander abgestimmt. Würden wir ISAF, und damit dem Wiederaufbau, die robuste Einsatz-, und Ausbildungskomponente von OEF nehmen, würden unsere Vorhaben in Afghanistan in kurzer Zeit undurchführbar werden. Erst im Zusammenspiel ermöglichen die Missionen einen erfolgreichen Einsatz. Kombiniert ergänzen sie sich zur militärischen Komponente unseres Afghanistan-Konzepts.

Dem Einsatz der deutschen Streitkräfte liegt das Prinzip der "Vernetzten Sicherheit" zugrunde. Dieser Ansatz sieht eine multilateral angelegte, ressortübergreifende Zusammenarbeit vor. Sicherheitspolitik ist weder rein national definiert, noch beschränkt sie sich ausschließlich auf poltische oder militärische Instrumente. Unser Ziel ist es deswegen, nicht nur militärische, polizeiliche und nachrichtendienstliche, sondern auch gesellschaftliche, ökonomische und kulturelle Faktoren in einem multinationalen Konzept wirksam aufeinander abzustimmen. Der Erfolg der zivilen Wiederaufbaubemühungen ist dabei ein essentielles Interesse der Streitkräfte. Nur mit einer funktionierenden wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur kann sich eine selbsttragende stabile Sicherheitslage entwickeln, die das Ziel der Afghanistan-Mission ist. Auf der anderen Seite ist dieser Aufbau momentan unmöglich ohne einen robusten militärischen Schutzschirm, unter dem sich die zivilgesellschaftlichen Prozesse entfalten können. Recht deutlich äußert sich diese Wechselwirkung darin, dass staatliche Hilfsorganisationen und NGOs nur in den Sphären relativer militärischer Sicherheit, wie etwa in Kabul oder im Norden Afghanistans, erfolgreich arbeiten. In den umkämpften Gebieten im Süden Afghanistans -- wo zivile Organisationen Anschläge und Entführungen befürchten müssen -- ist die humanitäre Hilfe fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Da nur durch das gleichzeitige Stärken beider Säulen -- zivilem Aufbau und militärischem Schutz -- Fortschritte zu erreichen sind, versuchen wir durch die vernetzte Sicherheit hier eine möglichst enge Abstimmung zu erreichen. Das neue Fähigkeitsprofil, das sich hieraus für die Bundeswehr ergibt, hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, unter den Oberbegriffen "Schützen, Helfen, Vermitteln, Kämpfen" zusammengefasst.

Bei allen unseren Bemühungen betonen wir das Prinzip des "Afghan Ownership", also die Verantwortlichkeit der afghanischen Stellen. Die Ausbildung der afghanischen Militär- und Sicherheitskräfte hat deswegen für uns eine hohe Priorität. Als Folge tragen die afghanischen Sicherheitskräfte mittlerweile in großem Maße selbst zur Herstellung der Sicherheit in ihrem Land bei und beteiligen sich an gemeinsamen Operationen mit ISAF und OEF, um diesen zunehmend ein "afghanisches Gesicht" geben. Zudem setzt sich die Bundesregierung als Mitinitiator der Europäischen Polizeimission EUPOL dafür ein, dass der Aufbau der nationalen Polizei in Afghanistan weiter voranschreitet. Die dafür vorgesehenen Mittel hat die Bundesregierung von 12 Mio. Euro für 2007 auf 35,7 Mio. Euro für 2008 verdreifacht.

Obwohl wir noch am Anfang des Weges stehen, haben unsere fortlaufenden Bemühungen zu eindeutigen Erfolgen geführt. So wurden die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit durch die Verabschiedung der Verfassung und verschiedener Gesetze auf ein in Afghanistan bisher unbekanntes Niveau gehoben. In der Verfassung werden z.B. Frauen und Männer gleichgestellt, die wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen haben Verfassungsrang und traditionelle Formen der Unterdrückung sind verboten worden. Darüberhinaus hat die afghanische Regierung im Jahr 2008 zunehmend Eigenverantwortung im Wiederaufbauprozess übernommen und eine auf fünf Jahre angelegte Nationale Entwicklungsstrategie (ANDS, Afghanistan National Development Strategy) vorgestellt. Befördert wird die positive Entwicklung durch den voranschreitenden Aufbau von staatlichen Institutionen und Fachkräften. Hieraus resultieren beispielsweise Erfolge im Bildungssektor (fast 75% aller Jungen und 35% aller Mädchen gehen inzwischen zur Schule) und im Gesundheitsbereich (85% der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu medizinischer Basisversorgung). Auch die Zahl nationaler Entwicklungsprogramme wie das National Solidarity Programme, welches bereits über 20.000 Projekte erfolgreich beendet hat und aktuell 18.000 weitere betreibt, ist weiter ansteigend. Darüber hinaus engagieren sich 21.000 gewählte Gemeinderäte speziell im Bereich Entwicklung.

Die Drogenproblematik betreffend, unterstützt die Bundesregierung die afghanische Regierung und die Partner der internationalen Gemeinschaft. Diese können seit der Londoner Konferenz 2006 auf eine detaillierte Drogenbekämpfungsstrategie zurückgreifen. Die Komplexität des Drogenproblems beeinflusst alle Bereiche des Wiederaufbaus. Die Bekämpfung erfordert ein langfristig angelegtes und umfassendes Vorgehen, welches nur erfolgreich sein kann, wenn wir wirtschaftliche Alternativen zum Drogenanbau schaffen Ein schnelle Lösung für diesen Missstand wird es nicht geben. Fortschritte werden jedoch dadurch sichtbar, dass die Summe der Anbauflächen für Mohn im Norden des Landes, in dem die Bundeswehr im Einsatz ist, insgesamt rückläufig ist.

Ein Rückzug der Bundeswehr zum jetzigen Zeitpunkt würde lediglich dazu führen, alle Fortschritte, die bisher gemacht worden sind, in Frage zu stellen. Auch die Sicherheit in Deutschland ist direkt vom Erfolg der Afghanistan-Mission abhängig. Im Falle eines Endes des Engagements der internationalen Streitkräfte würde das Land innerhalb kürzester Zeit wieder zu einer Ausbildungsstätte für Terroristen werden, von denen auch für die deutsche Bevölkerung eine direkte Bedrohung ausgehen würde. Ein Rückzug aus Afghanistan würde Deutschland nicht vor Terroranschlägen schützen, wie manche behaupten. Wir würden uns bestenfalls das kurzfristige Wohlwollen von jenen Fanatikern erkaufen, die die Werte unserer Gesellschaft ohnehin als dekadent und schwach verachten. Viel dramatischer wären jedoch die Auswirkungen in Afghanistan selbst. Durch einen Rückzug würden wir alle Afghanen im Stich lassen, die sich keine Rückkehr in das Mittelalter und zu den Gewaltorgien der Taliban wünschen. Deutschlands Glaubwürdigkeit als Schützer seiner Bürger -- aber auch als ehrlicher Vertreter humanitärer Grundwerte -- stünde zur Disposition, wenn wir uns im Angesicht solcher Perspektiven unserer Verantwortung entziehen würden.

Wir nehmen die Frage des Wiederaufbaus in Afghanistan außerordentlich ernst und unterliegen bei unserer Analyse der Situation keinerlei ideologischen Denkbarrieren. Für einen Erfolg des Einsatzes in diesem Land sind wir bereit, neue Wege zu beschreiten. Unser Vorgehen und unser Konzept für Afghanistan ist das Ergebnis langfristig angelegter außen- und sicherheitspolitischer Erwägungen. Gleichzeitig versuchen wir der hohen Verantwortung gerecht zu werden, die wir für die afghanische Bevölkerung übernommen haben und die weiterhin Vertrauen in unsere Arbeit setzt.

Sehr geehrter Herr Dr. Silber, auch mir ist die Entscheidung nicht leicht gefallen und ich verstehe jeden Angehörigen und Betroffenen, der sich gegen den Einsatz stellt. Ich hoffe aber dennoch, dass Sie zumindest Verständnis für meine Position aufbringen können.

Mit freundlichen Grüßen