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Muhterem Aras
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Frage von Bettina S. •

Frage an Muhterem Aras von Bettina S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Guten Tag Frau Aras,

im November 1918 erhielten Frauen in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht. Seither haben Frauen viel erreicht. Sie selbst wurden gewählt und sind Abgeordnete im baden-württembergischen Landtag.

--> Welche Bedeutung hat das Frauenwahlrecht für sie in Zeiten erstarkender rechter Gruppierungen / Parteien, die erzkonservative Frauen- und Familienbilder propagieren und ihre antifeministische Haltung kaum verbergen?

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, mit freundlichen Grüßen

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau S.,

Ihre Anfrage formulierten Sie bereits vor einiger Zeit – und doch hat sie kein bisschen an Relevanz und Aktualität eingebüßt. Entschuldigen Sie deshalb bitte die verzögerte Rückmeldung und lassen Sie mich heute noch zu Ihrer Frage Stellung beziehen.

Zunächst haben Sie vollkommen recht: Als am 12. November 1918 mit dem Aufruf des Rats der Volksbeauftragten die rechtliche Grundlage für das Frauenwahlrecht geschaffen wurde, sind wir dem Versprechen der Demokratie – von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit (!) – einen großen Schritt näher gekommen. Doch auch 2018 – 100 Jahre später – waren wir noch nicht am Ende des Weges angekommen.

Zwar regiert unser Land seit 13 Jahren eine BundeskanzlerIN, im Bundeskabinett sitzen sieben Frauen (und neun Männer) und im Kabinett der Landesregierung immerhin vier Frauen (und sieben Männer). Und auch meine Wahl zur ersten Landtagspräsidentin in der Geschichte Baden-Württembergs ist, da haben Sie Recht, in dieser Reihe zu nennen.

Gleichwohl: Einzelne Bäume geben noch keinen Wald. Mit der letzten Bundestagswahl ist der Frauenanteil im Deutschen Bundestag gesunken – auf einen Stand von vor 20 Jahren (31 Prozent). Im Landtag von Baden-Württemberg sitzt gerade mal ein Viertel weibliche Abgeordnete. Ähnlich sieht es bei den Stadt- und Gemeinderäten aus. In den Kreistagen liegt der Frauenanteil bei lediglich 19 Prozent. Was die politische Repräsentanz von Frauen angeht gehen wir also nicht etwa weitere Schritte nach vorne – wir gehen zurück!

Das ist ein Problem, dem wir uns stellen müssen. Denn Parlamente sollen Spiegel der Gesellschaft sein – doch die Verzerrung des Bildes ist eindeutig. Aber auch jenseits der politischen Parität in den Parlamenten sieht die gesellschaftliche Realität leider immer noch oft anders aus: Frauen verdienen für die gleiche Tätigkeit im Schnitt rund 20 Prozent weniger als Männer. Auf den obersten Führungsetagen der Wirtschaft sind Frauen schwer zu finden. Weibliche Vorbilder in Kultur und Wissenschaft sind deutlich unterrepräsentiert.

Insofern ist ein Kleinreden des Themas á la „Feminismus und Kampf für Gleichberechtigung? Brauchen wir doch gar nicht mehr. Ist doch schon alles erreicht“ eindeutig fehl am Platz. Das galt bisher und das gilt unverändert. Denn natürlich ist vieles von dem, was Frauen in den vergangenen hundert Jahres erreicht haben, für die Mehrheit der Gesellschaft mittlerweile alltägliche Selbstverständlichkeit. Doch sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, dass eine vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter in allen Teilen der Gesellschaft Konsens sei.

So stoßen einige Errungenschaften noch immer auf Ablehnung; und auch ein modernes Frauen- und Familienbild löst längst nicht bei allen Begeisterungsstürme aus. Im Gegenteil, finden sich auch heute noch Vertreterinnen und Vertreter eines rückständigen, eindimensionalen Frauenbildes, das sich wohl am ehesten in dem (überspitzten) Slogan „Frauen zurück an den Herd“ zusammenfassen lässt.

Dass hier die Rückabwicklung dieser Errungenschaften gleicher gesellschaftlicher Teilhabe teilweise offen gefordert wird, ist erschreckend. Dies im Blick müssen Frauen allerorts nicht nur weiter für ihre Gleichberechtigung kämpfen, wir müssen auch als Gesellschaft dafür eintreten, dass bereits Erreichtes nicht infrage gestellt wird.

Aus all diesen Gründen freue ich mich sehr über den gesellschaftlichen Diskurs, den das 100-jährige Jubiläum des Frauenwahlrechts anstößt; bezugnehmend auf Ihre Frage kann also auch die Bedeutung des Frauenwahlrechts, gerade in diesen Zeiten – auch zur Schaffung eines Bewusstseins für den langen Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter – nicht überschätzt werden.

Herzliche Grüße
Muhterem Aras

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