Martin Schirdewan
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DIE LINKE
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Frage von Jens W. •

Frage an Martin Schirdewan von Jens W. bezüglich Humanitäre Hilfe

Sehr geehrter Herr Schirdewan,

ich nehme mit Entsetzen zur Kenntnis, dass an der türkisch-griechischen Grenze Kinder, Frauen und Männer mit Waffengewalt daran gehindert werden, die EU zu betreten und unter katastrophalen Verhältnissen und ohne Zukunftsperspektive im frühen März auf offenem Feld und unter freiem Himmel bleiben müssen. Ich wende mich daher an Sie als meinen gewählten Abgeordneten mit der Frage, wie Sie die Situation einschätzen und ob und wie Sie sich dafür einsetzen, dass diese unchristliche und inhumane Vorgehensweise der EU sofort beendet wird und dass die Menschen vor Ort die notwendige Versorgung erhalten sowie die Möglichkeit, ihr Recht auf Asyl wahrzunehmen.

Mit freundlichen Grüßen,
Jens Wehrmann

Martin Schirdewan
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Wehrmann,

zuerst einmal entschuldige ich mich für die späte Beantwortung ihrer Frage.
Durch die Corona-Pandemie ist auch für mein Team und mich nicht immer ein
normales Arbeiten möglich, deshalb sind nicht alle Fragen zeitnah bearbeitet
worden. Nun aber konkret zu ihrer Frage: Die Situation nicht nur an der
türkisch-griechischen Grenze halte ich für vollkommen inakzeptabel. Sie ist
eine Schande für eine Europäische Union, die sich offiziell die Verteidigung
der Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hat. Sie ist die Folge einer
komplett gescheiterten Flüchtlingspolitik der EU und des so genannten
Flüchtlingspakts mit der Türkei. Daran hat sich seit der Eskalation im März
diesen Jahres und auch nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria nichts
geändert.

Die katastrophalen Zustände in den Lagern in Griechenland sind auch das
Ergebnis des jahrelangen Spardiktats gegenüber dem griechischen Staat. Man
lässt Staaten wie Griechenland, Italien und Spanien mit den Problemen
komplett allein und verweigert die Verteilung und Aufnahme von Geflüchteten
in anderen Mitgliedsstaaten der EU. Die wenigen beispielsweise in
Deutschland aus Moria aufgenommenen Flüchtlinge sind nur ein winziger
Bruchteil der Menschen, die endlich menschenwürdige Unterstützung verdienen.
Verschärft wurde die Situation durch den völkerrechtswidrigen Einmarsch der
türkischen Armee in Syrien, der erneut zu riesigen Flüchtlingsbewegungen
Richtung Türkei und Europa führte. Die Regierung Erdogan hat Flüchtlinge
instrumentalisiert, um von der EU und der NATO Unterstützung für seinen
Krieg in Syrien zu erpressen.

Mit ihrem „Neuen Migrations- und Asyl-Paket“ hat die Kommission ihre
unmenschliche Flüchtlingspolitik weiter zementiert. Die Außengrenzen werden
weiter abgeschottet, Hilfesuchende sollen künftig in Lagern an den
EU-Außengrenzen festgehalten werden. Faire Asylverfahren werden unter
solchen Bedingungen nicht mehr möglich sein. Staaten wie Ungarn oder Polen,
die keine Menschen aufnehmen wollen, können sich durch so genannte
„Abschiebepatenschaften“ frei kaufen.

Die Linksfraktion im Europäischen Parlament war von Beginn an gegen den
Flüchtlingsdeal mit der Türkei und wir setzen uns seit Jahren gegen die
Abschottungspolitik der EU ein. Ich erwarte von allen Beteiligten, dass das
Völkerrecht und die Menschenrechte eingehalten bzw. respektiert werden. Die
Aussetzung des Asylrechts in Griechenland war vollkommen inakzeptabel, genau
wie die jetzt geplante weitere Befestigung der griechisch-türkischen Grenze.
Die Hauptverantwortung liegt jedoch in Brüssel und bei den Regierungen der
EU-Mitgliedsstaaten. Wir brauchen dringend eine Neuregelung der
Dublin-Vereinbarung und eine solidarische Flüchtlingspolitik, die
Schutzsuchende nicht an der Außengrenze abweist, ertrinken oder in Lagern
vegetieren lässt. Aufgabe der EU ist es nicht die Grenzen zu schützen,
sondern die Menschenrechte. Das gilt auch und ganz besonders in Zeiten von
Corona. Die Lager auf den griechischen Inseln müssen aufgelöst, die Menschen
dort endlich in den Mitgliedsstaaten der EU aufgenommen und menschenwürdig
untergebracht und versorgt werden.

Mein Team und ich stehen unter anderem in engem Kontakt zu Mission Lifeline.
Als Ko-Vorsitzender der Linksfraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament habe
ich sowohl dem Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Heiko Mass als auch dem
Bundesminister des Innern Herrn Horst Seehofer geschrieben um mich für die
fehlende Genehmigung beider Ministerien für die Start- und Landeerlaubnis
einzusetzen, damit endlich Geflüchtete nach Deutschland ausgeflogen werden
können. Bis heute jedoch verweigert der Bundesinnenminister die Aufnahme
größerer Gruppen von Geflüchteten, obwohl mehrere Bundesländer wie
Thüringen, Berlin oder Bremen eine Aufnahme zugesagt haben.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Schirdewan

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