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Maria Flachsbarth
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Frage von Helen A. •

Frage an Maria Flachsbarth von Helen A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Dr. Flachsbarth,

zur Zeit wird in Deutschland über Volksentscheide auf Bundesebene diskutiert. Wie stehen sie dazu?

Ich danke ihnen im Voraus für ihre Mühe.

Mit freundlichen Grüßen

Helen Arnoldt

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Antwort von
CDU

Sehr geehrte Frau Arnoldt,

haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben vom 29.6.2012 auf der Internetplattform abgeordnetenwatch, in dem Sie mich bitten, meine Ansicht zur Zulässigkeit von Volksentscheiden zu erläutern. Die Diskussion zu diesem Thema ist nicht neu; immer wieder wird die Forderung nach einer Gesetzgebung unmittelbar durch das Volk laut. Es gibt sehr gute Gründe für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Volksabstimmungen, wie etwa die Aktivierung staatsbürgerlichen Bewusstseins oder die Wirkung der öffentlichen Meinung als Ergänzung zur Meinungsbildung in den Parteien. Dennoch möchte ich Ihnen im Folgenden kurz begründen, warum ich nach der geltenden Rechtslage grundsätzlich gegen die Zulässigkeit von Volksabstimmungen auf Bundesebene bin. Zunächst sprechen verfassungsrechtliche Erwägungen gegen die Zulässigkeit einer Volksabstimmung auf Bundesebene. 20 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes formuliert den tragenden Grundgedanken des demokratischen Prinzips, wonach alle staatliche Gewalt auf die Legitimation durch den Volkswillen zurückführbar sein muss. Das Grundgesetz (GG) erwähnt zwar in Art. 20 Abs. 2 "Abstimmungen", bringt aber ansonsten keine weiteren Vorschriften darüber, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen sie auf Bundesebene durchgeführt werden können oder sogar müssen. Im Grundgesetz fehlt - im Gegensatz zum genau geregelten Gesetzgebungsverfahren durch Bundestag und Bundesrat - ein Verfahren zur "Volksgesetzgebung". Das spricht dafür, dass Art. 29 GG, der eine Volksabstimmung, Volksbegehren und Volksbefragungen im Rahmen der Neugliederung des Bundesgebietes - und dann aber nur auf Länderebene zulässt, der einzige Fall in der Verfassung ist und auch bleiben soll, die eine Volksabstimmung zulässt. Genau genommen handelt es sich hierbei auch gar nicht um Abstimmungen des Volkes, sondern um Bevölkerungsteile, die von einer Gebietsänderung betroffen sind. Auch andere verfassungsrechtliche Gründe führen zu dem Ergebnis, dass Volksabstimmungen von unserer Verfassung nicht gewollt sind. Begründet wird dies damit, dass die Vorschrift des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG nicht isoliert gesehen werden darf, sondern immer im Zusammenhang mit dem folgenden Satz, wonach die Staatsgewalt "vom Volke in Wahlen und Abstimmungen durch besondere Organe ausgeübt wird." Das bedeutet, dass sowohl die staatlichen Organe als auch ihre Maßnahmen ihre Grundlagen letztlich in einer Entscheidung des Volkes finden müssen, das Volk aber nicht unmittelbar entscheiden muss. Durch diesen gerade zitierten Satz wird deutlich, dass sich der Verfassungsgeber für eine repräsentative Demokratie entschieden hat. Ebenso weisen die Vorschriften des Art. 38 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG auf strikt repräsentative Demokratie hin, in dem es die Wahl von Abgeordneten zu Volksvertretungen vorsieht, die an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Auch verfassungspolitische Gründe sprechen gegen eine Volksabstimmung. Plebiszitäre Formen der Staatswillensbildung stellen gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren kein "Mehr" an Demokratie dar. Gegenüber der Notwendigkeit zur Reduzierung komplexer Sachfragen auf Ja-Nein-Alternativen im Plebiszit bietet das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren ein größeres Maß an Verfahrensrationalität, Interessenausgleich und Gelegenheit zum Kompromiss. Plebiszite kennen keine Ausschussberatungen, Sachverständigenanhörungen und auch keine Beteiligung der Länder. Wenn im Bund plebiszitär entschieden wird, endet der Föderalismus. Gegen das Verfassungsgebot, dass die Länder an der Gesetzgebung des Bundes mitwirken, würde offensichtlich verstoßen. Letztlich sprechen auch die Entstehungsgeschichte und die Entwicklungsgeschichte unserer Verfassung gegen die Zulassung von Volksabstimmungen. Grund sind nicht nur die schlechten Erfahrungen in der Weimarer Zeit, in der Volksabstimmungen als Mittel politischer Agitation eingesetzt wurden, sondern auch die Verfassungsreform 1992-1994, in der die Einführung plebiszitärer Elemente diskutiert, dann aber doch verworfen wurden.

Wie Sie der Presse der vergangenen Wochen entnehmen konnten, hat Bundesfinanzminister Dr. Schäuble dafür plädiert, eine Volksabstimmung zu zulassen, soweit künftig im Rahmen der Vertiefung der Europäischen Union noch mehr Souveränitätsrechte die Europäische Kommission oder das Europäische Parlament übertragen werden sollten. Seitdem wird intensiv darüber diskutiert, ob eine solche Volksabstimmung sinnvoll und nach unserem Grundgesetz zulässig ist. Ausgangsvorschrift könnte Art. 23 des Grundgesetzes über die Verwirklichung eines vereinten Europas sein, der allerdings über die Zulässigkeit von Volksabstimmungen ausdrücklich nichts enthält. Ich halte eine Diskussion darüber aber sinnvoll, weil möglicherweise weitere EU-Integrationsschritte die nationalstaatliche Souveränität der Bundesrepublik Deutschland grundlegend verändern.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Dr. Maria Flachsbarth