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Lothar Binding
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Frage von Markus W. •

Frage an Lothar Binding von Markus W. bezüglich Lobbyismus & Transparenz

Sehr geehrter Herr Binding,

Demokratie ist, ohne die Meinung der Bürger zu kennen, nicht zu machen. In meinem Umfeld wird immer wieder darüber gesprochen, dass Politiker oft nicht auf Briefe oder Mails antworten. Ich denke jedoch, dass die Bürger ein Recht auf eine Antwort haben, auch dafür werden Sie schließlich gewählt. Zudemversprechen die Kandidat*innen im Wahlkampf Bürgernähe und reden davon, den Bürger*innen „zuzuhören“ usw. Finden Sie nicht, dass Post an Abgeordnete eine Antwort verdient?

Mit freundlichen Grüßen

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wasmuth,
vielen Dank für Ihre Frage hier bei Abgeordnetenwatch.de. In Ihrer Frage schwingt die Erwartung mit, dass ein Brief beantwortet werden sollte. Diese Erwartung nicht zu erfüllen, war früher grob unhöflich. Diese Erwartung stammt aus einer Zeit, in der ein Briefbogen, ein Füllfederhalter oder eine Schreibmaschine zur Hand genommen, ein Briefumschlag adressiert, frankiert und zum Briefkasten gebracht werden mussten. Eine Zeit, in der auch Abgeordnete des Deutschen Bundestages noch jeden Brief persönlich lesen, beantworten, wenigstens diktieren oder entwerfen konnten. Und so altmodisch es sein mag, ich halte es noch immer für respektlos, einen Brief nicht zu beantworten. Wer sich hinsetzt – jeder Bürger, jede Bürgerin – und einen Brief oder eine Mail schreibt, manchmal hoch politisch und allgemein, manchmal auch aus persönlicher Betroffenheit, sollte eine gut überlegte Antwort erhalten. Andernfalls reißt das Band zwischen Volk und seinen Repräsentanten ab.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auf fast jede meiner Antworten, erneut geantwortet wird, oft mit deutlicher Erweiterung des Themenspektrums und sich so ein längerer Dialog aufbaut, ich sage manchmal scherzhaft „Brieffreundschaften“. Dieser oft interessante Austausch ist einerseits hilfreich, andererseits wird so verhindert, anderen Bürger:innen erstmals zu antworten.
So musste ich meinen Grundsatz modifizieren, abschwächen. Ich habe inzwischen den Vorsatz: jede erste Nachricht, Brief oder Mail wird beantwortet. Jede weitere erst dann, wenn alle anderen Bürgerinnen und Bürger ihre erste Antwort erhalten haben. Das halte ich für fair.

Anonyme Zuschrift
Nun gibt es ein neues Phänomen, das diesen Grundsatz unter Druck bringt: Mal in bewusster Täuschungsabsicht, oft einfach, weil die Absender nichts darüber wissen – erreicht mich „anonyme“ Post“, Mails ohne postalische Adresse, ohne Telefonnummer. Im Internet lässt sich schnell eine gefakte, falsche Mail-Absender-Adresse erstellen, ein sogenannter Alias. Mein.Mail@Absender.de lässt sich beliebig manipulieren. Wer nun „ganz normal“ seine korrekte E-Mail-Adresse angibt, wird sich über meine „Unterstellung“ – vielleicht ein Alias – ärgern, denn solche anonymen Mails bekommen eine Standardantwort:
„leider schreiben Sie ohne Absender und ohne Telefonnummer. Bedauerlicherweise erhalte ich einige Post unter falschen Namen - also anonym. Inzwischen mehren sich auch Mails, die oft von selbständig arbeitenden Computerprogrammen anonym verschickt werden. Ich versuche alle, wenigstens die ersten Briefe und Mails von Bürgerinnen und Bürgern zu beantworten, sofern ich sicher sein kann, dass es sich nicht um einen Absender unter einem Alias - der ja mittels E-Mail so leicht möglich ist - handelt.
Damit ich einen Alias ausschließen kann, ist es hilfreich, wenn Sie Ihre postalischen Absenderdaten in einer Mail angeben. Bitte senden Sie mir daher Ihr Anliegen nochmals mit Ihren Absenderdaten und bevorzugt auch Telefonnummer. Nach einiger Zeit erhalten Sie eine fachliche Antwort.
Sie können gerne auch einen Gesprächstermin über mein Bürgerbüro vereinbaren. Ich treffe mich sehr gerne mit Ihnen, um Ihre Meinung zu erfahren.“ Soweit meine automatische Antwort auf möglicherweise anonyme Mails.
Wem sein Anliegen wichtig ist sollte auch keine Probleme damit haben, seine Kontaktdaten anzugeben, wie auch die vollständigen Kontaktdaten des Empfängers bekannt sind. Mir geht es um direkten Austausch – oft lassen sich Fragen viel schneller telefonisch klären.

Gestohlene Betroffenheit
Und dann gibt es die „anonyme“ Massen-Post an 709 Bundestagsabgeordnete, oft am Verteiler zu erkennen. (Ähnlich betroffen sind natürlich das Europäische Parlament oder die Länderparlamente) Entweder stellt ein Verband oder eine Interessengruppe einen Mustertext ins Internet oder bietet gleich eine Versandplattform an. Eine Mail wird „an alle“ geschickt. Manchmal wird ein eigener Text verschickt, sehr oft auch einfach ein von solchen Plattformen kopierter Text – allerdings so in einen Brief mit Anrede und Grußformel eingebettet, quasi als individueller Brief getarnt, dass man glauben könnte, da schreibt jemand persönlich an mich persönlich. Oft triefen diese per copy und paste generierten Briefe vor lauter Betroffenheit, Mitgefühl, Verantwortung, Rücksichtnahme, Friedenssehnsucht, Klima- und Naturschutz und starken Appellen an die Empathie der Mitglieder des Parlaments.
In Wahrheit ist die „Betroffenheit“ mit zwei Klicks kopiert. Diese Betroffenheit nenne ich „gestohlene Betroffenheit“. Wäre den Absendern „Ihr“ Anliegen wichtig, hätten sie sich selbst kurz Gedanken zu einem Text gemacht, sie hätten zwei drei Zeilen geschrieben, in ihren eigenen Worten, mit echter Empathie. Solche Mails berühren mich viel stärker, als kopierte Texte. Oft ist den Absendenden nicht einmal der wahre Autor oder die Autorin der Texte bekannt oder wessen Interessen dahinterstecken. Oft rufe ich Bürger:innen nach solchen Mails an und sie können sich kaum daran erinnern, dass sie sich daran beteiligt haben – so wichtig war ihnen das Thema also.
Solch scheinbar individuellen Texte kommen dann zwar in so großer Zahl, dass die individuelle Beantwortung unser Team in seiner eigentlichen Arbeit blockiert, allerdings auch wieder in so geringer Zahl, dass ein Rückschluss auf die Mehrheitsmeinung nicht möglich. Eine im Wesentlichen sinnfreie Aktion.

1:N-Kommunikation zerstört Kommunikation
Da frage ich, ob diese Absender:innen auch 709 Antworten erwarten? Es ist schnell zu sehen, wie eine solche 1:N-Kommunikation Kommunikation zerstört. So müssen sich N Büros mit gleichen Texten beschäftigen, obwohl Absender oder Absenderin weder aus dem eigenen Wahlkreis kommt, noch eine spezielle Frage zum eigenen Fachgebiet/Ausschuss stellt. Dadurch müssen dann ernstgemeinte Fragen aus dem Wahlkreis oder zum Fachausschuss auf eine Antwort unnötig lange warten. Durch eine Adressangabe ließe sich hingegen gleich die oder der zuständige Abgeordnete ermitteln. In der SPD-Fraktion gibt es daher auch die Vereinbarung, im Regelfall Anfragen an die oder den zuständigen Wahlkreis- oder Fachabgeordnete:n weiterzuleiten.
Denn stets, wenn die Anzahl der eingehenden Mails die Kapazitäten unseres kleinen Büroteams übersteigt, fallen alle Grundsätze zusammen und es wird nur noch Post aus dem eigenen Wahlkreis oder aus den eigenen Themenfeldern beantwortet. Eine ärgerliche Notmaßnahme – interessant ist es dann, wenn sich Leute darüber beklagen keine Antwort zu erhalten, die selbst die Ursache für die Unmöglichkeit einer Antwort geliefert haben.
Auf solche wortgleiche Massenpost antworte ich zwangsweise mit identischen Texten, mit Textblocks – obwohl ich Textblocks nicht mag. Kann ein Gedankenaustausch stärker degenerieren?

Unterschriftenlisten sind o.k.
Anders sieht es aus, wenn Unterschriftenlisten geschickt werden. Da wird keine Antwort erwartet, es geht um die große Unterstützerzahl eines Anliegens. Zu solchen Themen ist dann oft etwas in den Plenarprotokollen des Bundestages oder auch auf meiner Website zu finden.

Die falsche Petition
Merkwürdig finde ich auch Petitionen, die keine Petitionen sind. In Deutschland gib es ein sehr gutes Petitionsrecht. Bürger:innen können so direkt Anliegen in die parlamentarische Beratung bringen. Dazu finden Sie viel unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/a02/petitionsausschuss_befugnisse-532078
Dann gibt es auch Petitionsplattformen, die eine Art privatisierte Petition anbieten. Viele Bürgerinnen und Bürger, denen oft das offizielle Petitionsrecht nicht bekannt ist, bitte mich dann sogar, diese „Petition“ zu unterstützen. Aber erstens unterzeichne ich ja keine Petition an mich selbst und zweitens würde ich, wenn ich nicht im Parlament arbeiten würde, den gesetzlich vorgesehenen Weg wählen, weil ich weiß, wie gewissenhaft Petitionen im Bundestag bearbeitet werden.

Dem kommunikativen Vorhof der Unterwelt fern bleiben
Die letzten beiden Abstimmungen zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes haben leider noch zu einem neuen Tiefpunkt in der Kommunikation geführt: Hass und Hetze. Zuschriften enthalten Verschwörungstheorien, sind geschichtsvergessen (Stichwort „Ermächtigungsgesetz“), verläugnen die Gefahren des Corona-Virus, sind gegen Masken, gegen Impfen, gegen Abstandsregeln und natürlich gegen Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen. Nach der namentlichen Abstimmung im Bundestag finden wir in der kommunikativen Unterwelt das offizielle, öffentlich zugängliche Abstimmungsergebnis zum „Entwurf eines vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 21. April 2021 als: „Todesliste deutscher Politiker“. Auf diesem Niveau angekommen, will es mir nicht gelingen Zuschriften zu beantworten.

Hoffentlich hilft Ihnen meine Antwort ein gutes Stück weiter.
Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding