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Jutta Haug
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Frage von Torsten W. •

Frage an Jutta Haug von Torsten W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Haug,

was halten Sie von der europäischen Union? Ist diese Ihrer Meinung nach ausgereift oder sprechen Sie sich für strukturelle Änderungen aus?

Halten SIe die EU für demokratisch? Setzen Sie sich für mehr Demokratie in der europäischen Union ein? Was haben SIe persönlich schon getan, um die EU demokratischer zu machen?

Konnten Sie der EU-Verfassung mit gutem Gewissen zustimmen, obwohl absichtlich die Volksentscheide der Franzosen und Niederländer ignoriert wurden? Gerade bei einer so essenziellen Sache wie einer EU-Verfassung sollte doch der Grundsatz der Einstimmigkeit zwischen allen EU-Mitgliedsstaaten gewahrt bleiben, oder sehen Sie das anders?
Irland hat den EU-Vertrag ja auch abgelehnt. Besteht nun die Hoffnung auf eine demokratische Annahme der EU-Verfassung in allen 27 Mitgliedsstaaten, oder versuchen die Staatschefs schon wieder, ihre Wünsche über Tricks und Hintertüren durchzusetzen?

Ich möchte Sie zum Schluss darauf hinweisen, dass das Thema Demokratie in der EU maßgeblich meine Wahlentscheidung beeinflusst, da ich befürchte, dass in Zukunft vermehrt Gesetze über die undemokratische EU-Ebene entschieden werden.

Mit freundlichen Grüßen,
Torsten Wagner

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Wagner,

erst jetzt komme ich dazu, mich der Beantwortung Ihrer Fragen zu widmen. Die Vorbereitung und Beschlussfassung zum EU-Haushalt 2009 im Parlament hat mir als Generalberichterstatterin des Parlaments meine gesamte Aufmerksamkeit und meine Zeit abgefordert.

Nun zu Ihren Fragen, die ich in Abschnitten beantworten möchte.
Zu Abschnitt 1:
Die Europäische Union ist unsere einzige Chance, die unaufhaltsame Globalisierung des Wirtschaftens und Arbeitens, der Güter-, Dienstleistungs- und Finanzmärkte nicht nur zu erleiden, sondern zu gestalten. Die Europäische Union hat als Union der Völker und Staaten nicht ihre endgültige Gestalt, wenn Sie das mit "ausgereift" meinen. Sie wird auch in Zukunft ein Gebilde sein, an dem weiter gearbeitet werden muss.
Zu Abschnitt 2 :
Ja, eindeutig ja! Die Europäische Union ist demokratisch, das Parlament wird direkt gewählt, der Rat bekommt seine demokratische Legitimation durch die nationalen Wahlen. Demokratie ist nie perfekt, auch nicht auf europäischer Ebene. In diesem Sinne setze ich mich "für mehr Demokratie" ein. Das tue ich persönlich das ganze Jahr über während meiner parlamentarischen Arbeit und da vor allem im Haushaltsausschuss. In diesem Ausschuss geht es häufig darum, die demokratische Kontrolle über Planung und Umsetzung europäischer Politiken auszuüben. Das geht häufig nur in Auseinandersetzungen mit dem Rat und der Kommission. Bei der Erarbeitung des Verfassungsvertrages im Konvent habe ich den Mitgliedern des Europäischen Parlaments hinsichtlich einer demokratischen Finanzverfassung zugearbeitet.
Zu Abschnitt 3 :
Ich konnte dem Verfassungsvertrag mit gutem Gewissen zustimmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Konventstext der beste Vertragstext war, den wir haben erreichen können. Sie erinnern sich: im Konvent waren insgesamt 105 Mitglieder und eben so viele Stellvertreterinnen und Stellvertreter. Sie waren Vertreter des Europäischen Parlaments, der nationalen Parlamente, der Regierungen der Mitgliedstaaten, der Regierungen der beitrittswilligen Länder und der Kommission. Vertreter des Wirtschafts- und Sozialausschusses, des Ausschusses der Regionen, der sog. Zivilgesellschaft und der Bürgerbeauftragte waren als Beobachter eingeladen. Sie waren Mitglieder aus allen politischen Familien, nicht nur Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Der im Konvent erarbeitete Text war ein im demokratischen Verfahren erzielter Kompromiss, dem alle Beteiligten zugestimmt haben.
Das Europäische Parlament hat dem Verfassungsvertrag am 12. Januar 2005 mit sehr großer Mehrheit zugestimmt, lange bevor die Referenden in Frankreich und in den Niederlanden mit einem "Nein" endeten.
Aber auch dem vom Europäischen Rat veränderten Verfassungsvertrag, am 13. Dezember 2007 in Lissabon vom Europäischen Rat verabschiedet, konnte ich in der Plenarabstimmung am 20. Februar 2008 zustimmen.
Bisher haben 25 Mitgliedstaaten diesen Lissabon-Vertrag, einen im Übrigen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag wie alle seine Vorgänger, nach ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Verfahren ratifiziert - noch im ersten Quartal 2009 ist dies in Tschechien vorgesehen. In den meisten Mitgliedstaaten ratifiziert das nationale Parlament den Vertrag, in Irland ist seit 1987 ein Referendum Pflicht. In Kraft treten kann der Vertrag erst, wenn ihn alle 27 Mitgliedstaaten ratifiziert haben. Das Prinzip der Einstimmigkeit gilt für jede Vertragsänderung, sowohl das Europäische Parlament als auch alle Mitgliedstaaten müssen sich einig sein. Das bedeutet, dass auch Irland zustimmen muss. Nach welchem Verfahren und mit welchen Konzessionen für die Iren das erfolgen kann, wollen die Staats- und Regierungschefs, der Europäische Rat, beim Gipfel unter tschechischer Präsidentschaft im März 2009 endgültig miteinander vereinbaren.
Zu Abschnitt 4 :
Sehr geehrter Herr Wagner, Sie müssen nicht "befürchten, dass in Zukunft vermehrt Gesetze über die undemokratische EU-Ebene entschieden werden"! Sie sollten vielmehr die verstärkte Zusammenarbeit aller Europäerinnen und Europäer befürworten! In einer globalisierten Welt haben Nationalstaaten allein -und seien sie auch so groß wie der unsrige- keine Chance, Frieden und Wohlstand für ihre Bürgerinnen und Bürger zu sichern. Denken Sie bitte nur einmal an aufstrebende Staaten wie China oder Indien! Nur als gemeinsames Europa sind wir stark genug für den weltweiten Wettbewerb, als gemeinsames Europa mit gemeinsamen Gesetzen und Regeln. Die europäische politische Ebene ist demokratisch verfasst, sie hat eine demokratische Legitimation! Sie als europäischer Bürger in Deutschland können am 7. Juni 2009 demokratisch wieder mit darüber entscheiden, welche Zusammensetzung das Europäische Parlament haben soll: es finden Wahlen zum Europäischen Parlament statt.

Es grüßt Sie

Jutta Haug