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Frage von Frank M. •

Frage an Jo Leinen von Frank M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Aus dem Dilemma mit der irischen Ablehnung erwachsen nun doppelte und dreifache Probleme. Mich wundert jedoch besonders Frau Dr. Merkels Alleingang, nachdem sie doch Europa mit ihrem "Diplomatie-Können" (da fällt mir das Stichwort Checkbuch-Diplomatie in einem anderen Zusammenhang ein) so verwöhnt hat.

Hätte ein irisches Ja zum Vertrag von Lissabon schon etwas an der heutigen Situation geändert?
Wäre Europa geschlossener aufgetreten?

und: Dänen und Schweden sehen gerade, wie wichtig Europa ist (Währungsunion) - können wiederum auf der politischen Ebende die Ereignisse den Iren ein Umdenken bescheren, oder wird sich aus den wirtschaftlichen Problemen die auf uns zukommen noch mehr Anti-europäischer Zündstoff generieren?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Martischewski,

die juristische Ausgangslage hätte ein irisches Ja zum Vertrag von Lissabon nicht ändern können, da er in jedem Fall erst im kommenden Januar 2009 in Kraft getreten wäre. Sicherlich hätte eine erfolgreiche Ratifizierung des Vertrages durch die irische Bevölkerung aber die politische Geschlossenheit der Mitgliedstaaten gefördert. Das irische Nein zum Reform-Vertrag hat leider die euroskeptischen Kräfte in anderen Staaten wie Tschechien gest?rkt und damit negative Konsequenzen für das gemeinsame Auftreten der EU nach Aussen gehabt.

Umso wichtiger ist es, dass der Vertrag so schnell wie möglich in Kraft tritt. Er bietet der EU mehr Handlungsspielraum und ermöglicht ein effizienteres und geschlosseneres Auftreten. Der Vertrag von Lissabon verringert die Möglichkeiten für einzelne Mitgliedstaaten die gesamte EU zu blockieren. Die EU kann somit schneller und effizienter agieren. Insbesondere die europäische Aussenpolitik wird durch den neuen Vertrag gestärkt. Das neue Amt des Hohen Vertreters der Union für Aussen- und Sicherheitspolitik, dem ein Europäischer Auswärtiger Dienst zur Seite gestellt wird, verleiht der europäischen Aussenpolitik ein Gesicht und sorgt für mehr Kohärenz und Effizienz. Wären diese Reformen bereits vor der Georgienkrise durchgeführt worden, hätte die EU zur Vermeidung der Eskalation in Georgien beitragen können.

Im Hinblick auf die heutige Finanzkrise ist vor allem die Stärkung der Eurogruppe durch den Vertrag von Lissabon von Bedeutung. Die Eurogruppe ist zurzeit nur ein informelles Instrument der EU zur Koordinierung von Wirtschafts- und Finanzpolitik. Mit dem Vertrag von Lissabon wird sie primärrechtlich verankert und erhält mehr autonome Kompetenzen. In Zukunft werden dadurch eine schnellere Reaktion und eine bessere Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitiken in den Euro-Ländern möglich sein.

Die Finanzkrise zeigt deutlich, dass der Euro ein Stabilitätsanker ist. Gerade diejenigen Mitgliedstaaten, die nicht in der Eurozone sind, leiden enorm unter den Folgen der Krise. Dies kann dazu führen, dass in vielen Mitgliedstaaten das Bewusstsein für die Notwendigkeit des europäischen Integrationsprozesses wächst und die Notwendigkeit erkannt wird, dass Europa nur gemeinsam Lösungen für die negativen Folgen der Globalisierung finden kann. Andererseits wird man für die schlechte wirtschaftliche Entwicklung und steigende Arbeitslosigkeit, die insbesondere in Irland zu erwarten ist, einen Sündenbock suchen. Geschwächt werden dadurch die Regierung und etablierte Parteien, gestärkt Populisten die insbesondere der EU für diese Entwicklung geben werden. Der Rückfall in den Nationalismus oder Protektionismus wird aber keine Lösung für die drängenden Probleme bringen. Die europäischen Volkswirtschaften sind eng miteinander vernetzt und nur mit einem gemeinsamen europäischen Vorgehen können die Finanzkrise und die zu erwartende Wirtschaftskrise überwunden werden.

Mit freundlichen Grüssen

Jo Leinen